Wellnessreise: Alte Liebe rostet nicht
In Heilwasser gebadet, mit Sesamöl massiert. Ayurveda-Kuren gibt's nicht nur in Kerala. Man muss die Rhön nur zu nehmen wissen.
Hätte es im 19. Jahrhundert schon Klatschblätter wie „Gala“ oder „Bunte“ gegeben, ihre Geschichten hätten wohl oft in der bayerischen Rhön gespielt. Allein für Bad Kissingen liest sich die Liste berühmter Gäste wie die Top 100 des Fin de Siècle: Otto von Bismarck, Alfred Nobel, Heinrich Schliemann, Gioachino Rossini. „Sisi zum vierten Mal in Bad Kissingen – so entspannt ihre kaiserliche Hoheit!“ hätte auf der Titelseite gestanden, oder: „Lola Montez und Ludwig I. in Bad Brückenau: Wie steht es um die Liebe des bayerischen Königs und der irischen Schauspielerin?“
Heute bleiben von den feudalen Extravaganzen nur die Gebäude, in denen sie stattfanden. Überlebensgroß und steinern thront König Ludwig I. im Kurpark Bad Brückenau. Mit dem Finger deutet er auf das Haus, in dem im Jahr 1847 seine Geliebte übernachtete. Mehrere Wochen waren die beiden hier zur Kur, seine Gattin hatte der Herrscher ins nahe gelegene Bad Kissingen verfrachtet. Inzwischen ist darin ein Café mit Spielautomaten untergebracht, derzeit ist Winterpause. Rostfarbene Laubbäume säumen die langen Kieswege zwischen den Gebäuden. Vereinzelt stehen weiße Gartenstühle und Bänke aus Metall auf den sauber getrimmten Rasenflächen. Menschen sitzen hier an diesem Vormittag keine.
Mit 29 Jahren fühlt man sich zu jung für "Anwendungen"
Bis ins frühe 20. Jahrhundert waren Trinkkuren groß in Mode. Das mineralstoffhaltige Wasser galt als Heilmittel für fast jedes Übel. Während langer Kuraufenthalte erholten sich die Schönen und Mächtigen Europas und der Welt in den fränkischen Kurorten, nahmen Bäder, spazierten über die Anlagen, logierten in den imposanten Gebäuden. Heute denkt man bei Bad Kissingen, Bad Brückenau und Bad Bocklet eher an seine Großeltern und die Farbe Beige, an Kurschatten und unerträgliche Trägheit. Irgendwie fühlt man sich mit 29 Jahren zu jung für „Anwendungen“.
Hinter der Königsstatue führt eine breite Treppe hinauf zum Kursaalgebäude von Bad Brückenau. König Ludwig, so heißt es auf der Webseite der Kurverwaltung, wollte keinen Luxusbau errichten. Das opulente Neurenaissancegebäude am Ende der Treppe muss also ein Versehen sein. An der Tür zum Hauptraum, dem König-Ludwig-I-Saal, weist ein Flyer auf die wöchentliche Veranstaltung „König Ludwig lädt zum Tanz“ hin. Die Wände und hohen Decken sind raffiniert bemalt, Adler, Rosenornamente, geflügelte Löwen – Italien, wie der bayerische König es sich vorstellte.
Im Nebenraum, der natürlich Lola-Montez-Saal heißt, würden achtmal im Jahr Theaterstücke aufgeführt, erzählt die Kurdirektorin, Gastspiele der unterfränkischen Landesbühne. Die seien durchaus experimentell im Ansatz. Bei einer Aufführung vor zwei Jahren hatte fast das gesamte Publikum in der Pause den Saal verlassen. Wegen einer Nacktszene in der ersten Hälfte. Lola Montez hätte das wohl gefallen.
In Bad Bocklet, nur wenige Autominuten von Bad Brückenau entfernt, soll dann die erste Anwendung stattfinden. Auf die futuristisch anmutende Rezeption glotzt ein riesiger Elchkopf, neben dem offenen Kamin steht dekorativ ein hölzernes Wurzelmännchen. Die Anwendung beginnt in einem Besprechungsraum neben der Eingangshalle, „Ayurvedische Diagnostik und Massage“ steht auf dem Programm. Die traditionelle indische Heilkunst, die sich mit eigener Ernährungslehre, Yoga und Pflanzenheilkunde ganzheitlich um den Patienten kümmert, ist bei gesundheitsorientierten Menschen heute so angesagt wie im 19. Jahrhundert die Trinkkur bei Zaren und anderen Hochwohlgeborenen. Hier in Bad Bocklet haben sie die Kur, für die manche bis nach Sri Lanka reisen, als Alleinstellungsmerkmal entdeckt.
Der Masseur stellt sich dann als Prince vor
Ein Arzt aus Kerala in Indien erklärt wenigen Männern und vielen Frauen mittleren Alters nun die Grundzüge der ayurvedischen Lehre. Er erzählt von den drei Doshas, also Lebensenergien, die sich im besten Fall im Gleichgewicht befinden sollten. Als Vata-Typ, so lernt man hier, also als Windtyp, müsse man sich um sein Pitta kümmern, sein „Feuer“. Das sei momentan ein wenig gestört. Näher erörtern lässt sich das nicht, denn jetzt führt eine junge Frau im Sari in ein Behandlungszimmer.
Der Masseur deutet auf die Liege. Das Geständnis, dass dies die erste Massage sei, lächelt er freundlich weg. Und stellt sich dann als Prince vor. Er schaltet eine kleine Stereoanlage ein. Unaufdringliche Instrumentalmusik wabert durch den Raum, Prince beginnt mit der gefürchteten „Anwendung“. Intensiver Geruch von Sesamöl breitet sich im Raum aus, während Prince sich durch Verspannungen knetet, auch durch jene, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hatte. Vergessen ist das Fachwerkhaus, Kerala liegt in der Rhön. Jetzt, nach Sesam duftend und mit wackeligen Knien, sofort die Mutter anrufen: sich entschuldigen, Ayurveda nie ernst genommen zu haben.
Ein bisschen Foxtrott, ein bisschen Erholung
Eigentlich ist Bad Bocklet ein Dorf. 4500 Einwohner leben hier, große Einfamilienhäuser säumen die Straßen, ein zu moderner Kirchturm ragt aus dem umliegenden Wald. Hätte 1724 nicht ein Pfarrer eine Quelle entdeckt, deren Wasser ein wenig seltsam schmeckte, es wäre wohl ein Dorf geblieben. Doch der Leibarzt des Fürstbischofs fand die Quelle, so steht es im Bocklet-Booklet von 1990, „vortrefflich“ und der Bischof beauftragte einen Barockbaumeister, die Quelle zu fassen. Von da an pumpte die Kirche Geld in den Ausbau des Dorfes zum Kurort.
Die barocke Gartenanlage am Ortsrand erinnert bis heute daran. „Für das Beste der leidenden Menschheit“ steht in goldenen Lettern auf dem Giebel des Hauptgebäudes der Kuranlage, darunter ranken sich Pflanzenreliefs. In einem überdachten Innenhof plätschert die Stahlquelle in ein rostrotes Steinbecken. Im Sommer werden hier Konzerte veranstaltet, dann stehen die Kieswege voller Stühle, auf denen Menschen sitzen. Jetzt im Herbst frieren nur ein paar nackte Barockstatuen im Nieselregen.
Im Kurhaus nebenan gibt es Schwarzwälder Kirschtorte, Käsekuchen und Cappuccino-Sahne. In der Eingangshalle steht, wie ein Denkmal für sowjetische Kosmonauten, der Heilwasserbrunnen, daneben ein Becherspender. Eine kleine Frau mit Dauerwelle und Lodenmantel nimmt sich einen Plastikbecher. Katharina Hain ist schon zum siebten Mal hier, auf Seniorentanzfreizeit – ein bisschen Walzer und Foxtrott, ein bisschen Erholung. Sie nimmt einen Schluck aus dem Plastikbecher. Ob sie denn was spüre vom Heilwasser? „Was kann’s bei mir denn noch viel helfen?“, fragt die 85-Jährige. Es gebe ihr aber ein gutes Gefühl. Sie hält ihren Becher noch einmal unter den Wasserstrahl und schlurft in den Saal nebenan, wo schon die Tanzgruppenleiterin wartet.
Bad Kissingen prahlt mit sieben Quellen
Mit dem Kleinbus geht es weiter nach Bad Kissingen. Die Stadt, die an das Ufer der fränkischen Saale drängt, ist mit ihrer breiten Fußgängerzone und dem historischen Ortskern das Gegenteil des kleinen Bad Bocklet. Dass sich hier alles ums Wasser dreht, scheint sie mit unzähligen Wasserspielen und Springbrunnen noch mal extra klarmachen zu wollen. Herzstück dieses H2O-Spektakels ist die Kuranlage. Wie eine Stadt in der Stadt liegt sie da.
In ihrer Mitte steht, am Rand des Kurgartens, die Wandelhalle. Sie erinnert so sehr an eine Kathedrale, dass man als ehemaliger bayerischer Messdiener beim Eintreten reflexhaft seine Mütze abnimmt. Zwischen den hohen Bogenfenstern und beige gefliesten Säulen bewegen sich um kurz nach neun Uhr morgens nur wenige Gäste. Rushhour ist hier früher am Tag, von sieben bis neun schenken die „Brunnenfrauen“ im Seitenschiff der Halle das Heilwasser aus. Welches man denn probieren wolle, fragt eine und reicht einen bunten Becher, so groß wie ein türkisches Teeglas. Mit sieben Quellen prahlt Bad Kissingen, und jede soll ihre eigene Wirkweise haben. Eine hilft gegen Gicht, eine andere beseitigt Verstopfung. Auch gegen Herz-Kreislauf-Probleme, Blutarmut und Katarrh gibt es Wasser.
Die Brunnenfrau zapft das erste Glas, verdünnt es ein wenig, schwenkt es und schickt einen zum Wandeln: langsam trinken und dabei Runden drehen. Das entspanne Körper und Geist und helfe, die Inhaltsstoffe besser aufzunehmen. Der erste Schluck schmeckt wie ein rostiger Nagel. Im Rhythmus des Schlenderns trinkt es sich leicht, wieder am Brunnen angekommen, probiert man das zweite Glas, diesmal unverdünnt. Man ist schließlich nicht zum Spaß hier. Leise Flötenmusik dudelt aus versteckten Lautsprechern durch die gekachelte Kirche, in deren Mitte eingetopfte Palmen stehen. Draußen vor den Bogenfenstern ist es diesig, ein fettes Eichhörnchen hüpft durch den Kies.
Auf einmal ist man nicht sicher, ob draußen gerade das 21. Jahrhundert beginnt oder das 19. endet. Ob Zar Alexander und Sisi heute wohl schon da waren, oder ob sie entschieden haben auszuschlafen?
Reisetipps für die Rhön
ÜBERNACHTEN
Das Kurhotel Kunzmann’s in Bad Bocklet ist seit vier Generationen in Familienbesitz, Zimmer ab 85 Euro. Feudaler schläft man im
Schlosshotel Bad Neustadt, für knapp 100 Euro. Dort gibt’s auch eine Hochzeitskapelle.
ENTSPANNEN
In der Franken-Therme in Bad Königshofen baden Kurgäste in Deutschlands erstem Heilwassersee. Neben dem Wasser helfen Moorpackungen, Hot-Stone-Massagen und ein Saunadorf beim Runterkommen.
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