Maris Hubschmid traut sich was: Als ich zum Kaninchen mit Puschelschwanz wurde
Kleine Peinlichkeiten lassen sich nicht immer vermeiden. Aber was ist so schwierig daran, einen diskreten Hinweis zu geben?
Ich stelle mich in die Mitte des Raumes. Drehe mich. Sehen alle, dass ich mein kleines Schwarzes in die knallrote Strumpfhose gestopft habe? Überraschte Blicke, die ich auffange, schnell muss ich fangen, denn die Gäste wenden sich rasch ab von dieser Frau und ihrem Missgeschick, gucken lieber zu Boden.
Eine Frau besucht eine Gala. Sie trägt ein neues Kleid, für das sie mehr Geld ausgegeben hat, als vernünftig ist. Aber ein Kleid wie dieses trifft man nicht oft im Leben: Es ist die perfekte Verbindung. Tiefschwarz fließt es, umspielt sanft ihre Beine, tanzt jede Bewegung nach.
Was ist das Peinliche an dieser Geschichte? Der Hintern?
Den Mantel abgeben, noch mal schnell zur Toilette gehuscht, die Haare sehen gut aus – bereit für den großen Auftritt. Kaum im Saal, sieht sie Frauen flüstern, ein Gast zeigt auf sie, selbst die Kellner scheinen nur noch halb bei der Sache. Sie genießt die Aufmerksamkeit, gönnt sich ein Glas Champagner, schlendert umher, beklatscht die Musiker. Später an der Schlange fürs Buffet beugt sich ein äußerst attraktiver Mann zu ihr vor. „Gnädige Frau, Sie haben Ihr Kleid in der Strumpfhose stecken.“
Diese Frau war nicht ich. Ich habe nur Trost gespendet ob der Scham. Doch was ist eigentlich das Peinliche an dieser Geschichte? Der Hintern? Der hätte, wie ich trösten konnte, auch enthüllt bestimmt eine gute Figur gemacht. Bestand nicht vielmehr die Bloßstellung in der Erkenntnis, dass alle anderen mehr gewusst hatten als sie? Zeugen eines Kontrollverlusts wurden und ihr Wissen vorenthielten? Wie gemein, dass sie so lange niemand aufgeklärt hatte! Aus Bosheit? Schadenfreude? Oder: War es ihnen peinlich?
Streng genommen liegt ja Peinlichkeit im Auge des Betrachters.
Die Frau in der Mitte des Raumes bin ich. Ah, mein „Malheur“ ist bemerkt worden. Drei Damen rechts, auch der Herr hinten haben Notiz genommen. Wann werden sie mich zur Seite nehmen?
"Ich habe Ihnen doch nicht auf den Po geguckt"
Ich steuere auf den Herrn zu. „Kennen wir uns nicht?“ Er verneint, kommt ins Stottern. Ich übe mich im Smalltalk, drehe mich noch einmal, um Sekt von einem Tablett zu nehmen. Er muss doch sehen, dass meine Rückfront der eines Kaninchens mit Puschelschwanz nicht unähnlich ist. „Wieso sagen Sie mir nicht, dass mein Kleid in der Strumpfhose steckt?“, frage ich. Er sieht erschrocken aus. „Das habe ich gar nicht bemerkt.“ „Unmöglich“, sage ich. „Ich habe Ihnen doch nicht auf den Po geguckt“, beteuert er. Schließlich gibt er verlegen zu: „Ich dachte, darauf sollte Sie besser eine Frau aufmerksam machen.“
Also geselle ich mich zu den drei Damen, denen sofort das Gespräch erstirbt. „Ihr Kleid ist großartig“, sage ich zu einer Endvierzigerin in Samtgrün. Hat sich Scarlett O’Hara nicht ein ähnliches aus den Vorhängen auf Tara genäht? „Da fühle ich mich doch ein wenig underdressed.“ – „Na, Sie haben Ihr Outfit ja mit der Strumpfhose aufgepeppt“, sagt eine der drei gedehnt. Die Mundwinkel der Dritten zucken. „Finden Sie das gelungen? Das war so eine Last-Minute-Idee“, strahle ich. „Oder sollte ich das Kleid doch lieber über der Strumpfhose tragen?“ Jetzt wird die Grüne rot.
Ich verstehe, wenn sie sich auf den Arm genommen fühlt. Aber was ist so schwierig daran, einen diskreten Hinweis zu geben? Ich gehe zur Toilette und hole die Strumpfhose aus meinem Kleid.
Im Spiegel sehe ich die grüne Dame, die ans Waschbecken tritt und ihr Make-up auffrischt, etwas Lippenrot mit einem Tempo abtupft, die Hochfrisur neu steckt. Wir gehen gemeinsam in den Saal zurück. Ich werde ihr nicht sagen, dass Teile des Taschentuchs ein Nest in ihrer Frisur gefunden haben.
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