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Blick aufs Stadtzentrum von Mekka mit der Moschee und dem Hochhausensemble. In dessen Mitte: Der "Clock Tower".
© SL Rasch

Heilige Stadt Mekka: Allahs Architekt

Gerade ist für Muslime der Pilgermonat, da besuchen Millionen das heilige Mekka. Nichtmuslime dürfen die Stadt nie betreten. Ein Deutscher errichtet dort spektakuläre Bauten. Hier erzählt Bodo Rasch von seinem Mekka.

Der Mann, der in Mekka auf Millionen Quadratmetern Zelte errichtet hat und dessen gigantischer Halbmond über der Stadt thront, residiert mit seiner Firma in Leinfelden-Echterdingen, südlich von Stuttgart. Mahmoud Bodo Raschs pakistanischer Assistent kommt zum S-Bahnhof. Auf dem Weg zum Anwesen des Architekten ziehen blankgeputzte Straßen und Einfamilienhäuser vorbei – bis wir abbiegen und es nur noch hohe Bäume gibt. Wispelwald. Er lässt eher an die Gebrüder Grimm als an 1001 Nacht denken. Rasch sitzt im ersten Stock am Schreibtisch, darüber eine OP-Leuchte, im Regal der Koran. In der Sofaecke stehen Fotos von Mekka. Der 70-Jährige, Sohn eines Bauhaus-Architekten und einer Malerin, war Schüler von Frei Otto, der das Münchner Olympiastadion entworfen hat. Sein Büro SL Rasch (SL für „Special and Lightweight Structures“) ist bekannt für Zeltbauten, riesige, einklappbare Standschirme, islamisches Design. Rasch hatte Aufträge in der Schweiz, auf Barbados, in Malaysia, Turkmenistan – und immer wieder in Arabien. Der „Sir Norman Foster des Orients“, wie ihn der „Spiegel“ mal genannt hat, spricht ein sanftes Schwäbisch.

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Das erste Mal habe ich Mekka im Dezember 1974 besucht. Die muslimische Pilgerzeit fiel damals mit Weihnachten zusammen. Es war eine spontane Entscheidung. Die Wallfahrt, der Haddsch, hat mich als Architekt interessiert, und außerdem steckte ich an einem Punkt, wo es nicht mehr weiterging. Mit einem One-Way-Ticket und meinem letzten Geld bin ich nach Saudi-Arabien geflogen.

Im Jahr zuvor hatte ich als Gastprofessor für leichte Flächentragwerke in den USA gearbeitet. Das heiße Klima in Texas halten Saudi-Araber besser aus als andere. Es gab einen unter meinen Studenten, Sami Angawi, mit dem ich mich angefreundet habe. Er hat mir Bilder vom Haddsch gezeigt, die mich sehr beeindruckt haben. Ein Meer von Zelten bis zum Horizont, das hat mich nicht mehr losgelassen.

In Dschidda, etwa eine Autostunde entfernt von Mekka, habe ich Sami getroffen. Er hat mir mit allem geholfen, sein Vater war Pilgerführer, deshalb kannte er sich aus. Für Nichtmuslime ist Mekka eine verbotene Stadt. Noch in Dschidda bin ich vor Gericht zum Islam übergetreten. Schließlich habe ich einen Brief der Regierung bekommen, in dem stand, dass ich nach Mekka darf.

War ich auf Sinnsuche? So kann man das nicht sagen. Ich war eine Art Hippie, und über Religion hatte ich mir nicht viele Gedanken gemacht. Es war eher so: In dieser Phase, in der es mir sehr schlecht ging, hat mich der Islam gefunden. Wenn man ertrinkt und sieht einen Rettungsring, fragt man sich nicht, wo er herkommt. Diese Religion hat mir gegeben, was mir fehlte, und das hat sich bis heute bewährt.

Vor Mekka gibt es einen Checkpoint, der sieht aus wie eine große Grenzstation. Wenn nicht im Pass steht, dass man Muslim ist, wird man abgewiesen und muss eine Straße um Mekka herum nehmen.

Die Stadt liegt im Wadi Ibrahim, einem Trockenflussbett, das sich früher mit Wasser füllte, wenn es regnete. Es ist ein karger Landstrich, hin und wieder hat es Bäume. Die Berge sind sandfarben bis braun. Im Zentrum der Stadt steht die größte Moschee der Welt, mit neun Minaretten. Dank einer Erweiterung wird sie bald über eine Million Menschen fassen können. Im Gebäude gibt es heute viel weißen, kühlen Marmor.

Bei meinem ersten Besuch waren die Temperaturen in Mekka angenehm, zwischen 30 und 35 Grad. Im Sommer können es auch mal über 50 Grad werden. Trotz der Menschenmassen riecht es nicht schlecht, denn Moslems waschen sich häufig. Aber dafür gibt es leider den Qualm der Autos und Reisebusse, eine Errungenschaft, die ja letztlich von hier aus Stuttgart stammt!

Was Bodo Rasch beim Haddsch am meisten beeindruckte

Himmlisch. Bauarbeiter auf einem Teil des von SL Rasch entworfenen Halbmonds, der auf dem „Clock Tower“ thront.
Himmlisch. Bauarbeiter auf einem Teil des von SL Rasch entworfenen Halbmonds, der auf dem „Clock Tower“ thront.
©  SL Rasch

Anfang der 70er Jahre gab es bei jedem Haddsch schon um die zwei Millionen Pilger. Diese enormen Zahlen sind mit dem Flugverkehr entstanden. Früher dauerte eine Pilgerreise mehrere Jahre, und ein Pilger war danach ein weiser Mann. Heute fliegen Sie hin, bleiben eine oder zwei Wochen und fliegen wieder nach Hause.

Die Zeitrechnung folgt im Islam dem Mondkalender. Der Haddsch findet im letzten der zwölf Mond-Monate statt. Am siebten Tag dieses Monats gehen die meisten Pilger nach Mina, das ist eine Zeltstadt etwa sechs Kilometer im Osten von Mekka. Von dort bricht man anschließend nach Arafat auf – ein offenes, flaches Tal etwa zwölf Kilometer östlich, wo sich eine zweite Zeltstadt befindet.

Der wichtigste Teil der Wallfahrt ist der neunte Tag, und am Abend, genau mit Sonnenuntergang, setzt sich die Masse der Pilger wieder Richtung Mina in Bewegung. Etwa die Hälfte geht zu Fuß, die anderen sitzen in tausenden Bussen und Autos. Fahrzeuge und Fußgänger sollten radikal getrennt werden, heute ist es immer noch gemischt, ein unbeschreibliches Chaos. Die, die zu Fuß gehen, sind in zwei Stunden am Ziel, die im Bus brauchen 20. Wegen der Staus. Es ist ein ungeheuer großer Strom an Menschen.

Am zehnten Tag, dem Tag des Opferfestes, findet in Mina die symbolische Steinigung des Teufels statt. Es gibt drei Stelen, auf die mit Kieselsteinchen geworfen wird. Da wollen Millionen von Pilgern vorbei, und es gibt natürlich Gedränge. An dieser Stelle wurden früher oft Leute zu Tode gedrückt. Heute sind die Stelen von einem Bauwerk mit vier Geschossen umgeben, auf die die Pilger verteilt werden. Dadurch wurde dieses Problem erst mal gelöst.

Nach der Steinigung bringt man ein Schlachtopfer. Auch das ist ein infrastrukturelles Problem. Für Millionen Pilger braucht es Millionen Tiere, meist Schafe. Oft wird das Fleisch danach eingefroren und in arme Länder verschickt.

Zum Abschluss müssen Sie in der Moschee in Mekka die Kaaba, das quaderförmige Gebäude, in dem der schwarze Stein eingelassen ist, sieben Mal umrunden. Anschließend werden die Pilgergewänder abgelegt und die Festkleider angezogen. Auch ich trage dann einen Thawb, das weiße Gewand arabischer Männer.

Am Haddsch hat mich am meisten das Zusammengehörigkeitsgefühl der gesamten Menschheit beeindruckt. Da finden Sie einen hohen Staatsdiener neben den armen Leuten aus seinem Land, alle in den gleichen weißen Pilgergewändern. Sie sehen Menschen von überallher und hören hunderte Sprachen. Arabisch und Englisch, aber auch Hindi, Persisch, Türkisch, Bahasa, Wolof, Igbo … Ich erinnere mich an eine fröhliche Szene. An dem mehr als fünf Meter tiefen Flussbett, dem Wadi Arafat, gibt es auf beiden Seiten eine betonierte Böschung, 45 Grad, zehn Meter lang. Zwar existieren zwei Brücken für Fussgänger, aber die reichen bei Weitem nicht aus. Also müssen Sie auf der einen Seite runterrutschen und auf der anderen wieder hochklettern. Insbesondere für ältere Menschen ist das schwierig. Die Art, wie sich die Pilger dabei gegenseitig helfen, das ist erhebend.

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Kurze Unterbrechung. Rasch muss ans Telefon, nicht zum letzten Mal während unseres Gesprächs. Und der nächste Termin wartet schon. Zwei Mal wurde das Interview abgesagt, weil der Architekt kurzfristig verreisen musste. Mehr als 200 Menschen arbeiten in seiner Firma, die meisten in den Büros am Keßlerweg, nahe dem Wispelwald. Auch zwei von Raschs Söhnen, Achmed und Mustafa. Wenn man dort durch die Gänge läuft, schaut man in Gesichter aus aller Welt, die Mitarbeiter kommen aus mindestens 20 Ländern. Architekten, Ingenieure, Informatiker, Designer ...

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Ich bin mittlerweile oft in Mekka gewesen, sieben Mal habe ich den Haddsch mitgemacht. Außerhalb der Pilgerzeit ist es eine normale Stadt, mit Schulen, Geschäften, Krankenhäusern. Industrie gibt es nur wenig, und auf irgendeine Weise leben alle der etwa zwei Millionen Einwohner von den Pilgern. Viele Mekkaner hatten früher Wohnungen in der Innenstadt, mittlerweile haben sie sich in die Außenbezirke verzogen. Da bauen sie ihre Häuser, in jedem erdenklichen Stil.

Was Rasch zur Kritik an Saudi-Arabien sagt

Zelte in Mina.
Zelte in Mina.
© SL Rasch

Es gibt enormen Druck auf Saudi-Arabien, mehr Pilger zuzulassen. 2012 kamen über drei Millionen. In naher Zukunft sollen fünf Millionen erlaubt sein. Die Stadt wird seit Jahren radikal umgekrempelt, damit sie dem Ansturm gewachsen ist, eine U-Bahn ist in Bau.

1974 konnte ich noch Reste vom islamischen Mittelalter sehen. Das meiste davon ist abgerissen worden. Um die Moschee herum sind gewaltige Hochhäuser entstanden, mit Hotels, von Mövenpick bis Fairmont, und Shoppingmalls. Handel ist wichtig in Mekka. Einige Pilger verkaufen Sachen, um ihre Reise zu finanzieren, andere wollen Andenken.

Unser Büro hat unter anderem die Uhr auf dem größten Turm entworfen, der mit 609 Metern mindestens das zweithöchste Gebäude der Welt ist. Das Projekt ist vor zwei Jahren fertiggestellt worden. Ursprünglich war das ein normales Hochhaus, die Entscheidung, noch eine Uhr daraufzusetzten, fiel nachträglich. Deshalb musste die Uhr leicht sein: ein Stahlbau mit einer Verkleidung aus Glas- und Kohlefaserteilen und einer Oberfläche aus Keramik. Den Turm kann man 30 Kilometer weit sehen, die Uhrzeit kann man noch aus etwa zehn Kilometer Entfernung lesen, denn das Ziffernblatt hat einen Durchmesser von 43 Metern. Wir haben auch die Turmspitze über der Uhr entworfen, der Halbmond hat einen Durchmesser von 24 Metern und hat im Inneren vier Geschosse.

An dem Komplex gab es Kritik, viele haben den Verlust historischer Gebäude beweint. Sicher sind diese Hochhäuser nicht für die Ewigkeit gebaut. Ich denke aber, das neue Mekka braucht einen so hohen Turm – als Orientierungshilfe. Sie können nun mal nicht Millionen Pilger empfangen mit einer Infrastruktur, die nur für 100 000 Menschen ausgelegt ist.

Eine Panik habe ich nie erlebt, aber ich habe beobachtet, wie Menschen zu Tode kamen. Einmal sah ich eine Pilgergruppe, die saß auf ihrem Gepäck, dann kam die große Menge, die Gruppe lief weg, ließ ihre Sachen stehen – und ein paar Leute stolperten darüber. Die Menschen dahinter sind zwangsläufig über die Gefallenen geschoben worden.

Schon 1974 haben mein saudischer Freund und ich das Haddsch Research Center an der Uni in Dschidda gegründet. Wir haben begonnen, überhaupt mal Daten zu sammeln: Wie viele Pilger gibt es, wo kommen die her, wie bewegen die sich? Heute ist das Institut in Mekka. Ich bin nach sieben Jahren ausgestiegen, habe mit dem Material meine Doktorarbeit geschrieben. Meine Erkenntnis war, dass man den Fußgängerverkehr in Mekka und die Unterbringung in einfachen Zelten fördern muss. Damals gab es mal den Vorschlag einer englischen Ingenieursfirma, den ganzen Haddsch zu motorisieren, also Millionen von Pilgern in Autos zu bewegen, dabei braucht ein Auto so viel Platz wie 100 Menschen, ein unmögliches Unterfangen.

Dank meiner Kenntnisse und Kontakte habe ich 1985 den ersten kleinen Auftrag in Saudi-Arabien bekommen. Mit der Zeit wurden es mehr. Besonders stolz sind wir auf das, was wir in der Prophetenmoschee in Medina geleistet haben. Schattenspendende Schirme und gleitende Kuppeln – und 15 Jahre später ein wandelbares Dach mit 200 000 Quadratmetern, das in etwa drei Minuten aufgefahren werden kann, das größte wandelbare Dach der Welt.

Wir haben auch eine fahrbare Treppe für die Kaaba entwickelt. An deren Seite, in zwei Metern Höhe, gibt es nämlich eine Tür. Es ist ein großes Privileg, da hineingehen zu dürfen. Drinnen ist es aufgrund der Sonnenbestrahlung sehr warm. Deshalb hat die Treppe eine Anlage, die gekühlte Luft in die Kaaba bläst.

Wenn Sie nach Mina kommen, können Sie auf zweieinhalb Millionen Quadratmetern Zelte sehen, die wir Ende der 90er Jahre entworfen haben. Deren Vorgänger waren aus Baumwolle, wodurch immer wieder verheerende Feuer ausbrachen. Die neuen Zelte bestehen aus Teflon-beschichteten Glasfasern. Sie sind etwa fünf Meter hoch und für die Grundfläche gibt es unterschiedliche Größen: vier mal vier und acht mal acht Meter.

Reiche Europäer gehen vielleicht zu sechst in so ein Zelt, arme Afrikaner manchmal in Gruppen von 30 Pilgern. Mit Frei Otto haben wir 1978 Zelte entworfen, die man an Berghängen aufstellen kann. In Mina gibt es da viele ungenützte Flächen. Aber diese Hänge sind eben 40, 50 Grad steil. Die Idee hat sich nicht durchgesetzt, man hätte sich intensiver mit der Frage beschäftigen müssen, wie man die Berge für hunderttausende von Leuten erschließen kann. Pilger aus Afghanistan oder Jemen sind steile Berge gewohnt, bei anderen ist es zu schwer.

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Im Keßlerweg arbeiten Männer in einer Werkstatt am Modell einer Moschee, anderswo werden an Computern Filme geschnitten, und in einem Eck hängen Pläne für das 480 PS starke Wüstenmobil „Desert Ship 2“: „Es kann als hochflexibles mobiles Büro verwendet werden und ist auch für die Falkenjagd ausgestattet“, heißt es auf der Firmenhomepage. Saudi-Arabien, wo SL Rasch vor allem Geschäfte macht, ist eine absolute Monarchie, der Islam ist Staatsreligion und wird streng ausgelegt, es gibt die Todes- und Körperstrafen.

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Die deutsche Kritik an den politischen Verhältnissen in Saudi-Arabien beruht sicher zum Teil auf Missverständnissen. Gesetzliche Vorschriften gibt es in jedem Staat, und ich muss die nicht alle richtig finden. Ich arbeite und lebe gern dort. Der Widerstand gegen Neues ist geringer als hier. Von Frei Otto bin ich eine wissenschaftliche Arbeitsweise gewöhnt, so objektiv wie möglich – nicht wie bei uns in der Architektur. Und in Saudi-Arabien gibt es Probleme zu lösen. Die Pilger in Mekka muss man versorgen, sonst gibt es Tote. Das sind fundamentale Bedürfnisse. In Deutschland geht es nicht mehr so sehr um Funktion, sondern nur darum, ob jemand noch ein Hochhaus erfindet, das anders aussieht als alle anderen.

Das heißt aber nicht, dass uns die Ästhetik von Gebäuden nichts bedeutet. Im Islam sind bildende Kunst und Musik verpönt, deshalb hat sich das Talent der Muslime ganz auf Ornamentierung und Architektur konzentriert. In der islamischen Welt finden Sie die schönsten Bauten der Welt: von der Alhambra in Andalusien bis zu den Moscheen von Isfahan, von der blauen Moschee in Istanbul bis zum Tadsch Mahal in Indien.

Dass ich vor allem in Saudi-Arabien arbeite, liegt an meiner Spezialisierung für die heiligen Stätten. Das ist für mich als Muslim natürlich etwas Besonderes. Wenn Mekka in China wäre, wäre ich mehr in China. Allah hat es so eingerichtet, al Hamdulillah.

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