Gesellschaft: Alfred Kerr: sein Leben Der berühmte Kritiker ist auch Biograf Berlins
Vor 1933 gab es in Deutschland kaum einen an Theater und Literatur Interessierten, der den Namen Alfred Kerr nicht kannte. Kerr – viel gelesen, viel gerühmt und viel befeindet – war der bekannteste, der sprachmächtigste von allen, die über das Theater, über dramatische Literatur und Fragen des politischen Alltags schrieben.
Vor 1933 gab es in Deutschland kaum einen an Theater und Literatur Interessierten, der den Namen Alfred Kerr nicht kannte. Kerr – viel gelesen, viel gerühmt und viel befeindet – war der bekannteste, der sprachmächtigste von allen, die über das Theater, über dramatische Literatur und Fragen des politischen Alltags schrieben.18 Jahre lang erschienen seine Rezensionen und Kommentare im Berliner „Tag“, von 1919 bis 1933 dann im „Berliner Tageblatt“. Die von Theodor Fontane eingeleitete Entwicklung Berlins zur Hauptstadt der Kritik erreichte mit ihm ihren Höhepunkt.
Kerr, als Sohn des jüdischen Weinhändlers Emanuel Kempner in Breslau geboren, kam 1887 als Student nach Berlin, kürzte und schärfte seinen Vaternamen zu ‚Kerr‘, um nicht mit der Schriftstellerin Friederike Kempner in Verbindung gebracht zu werden. Er war geprägt von Heinrich Heine und Ludwig Börne, hatte ihren scharfen Geist, ihren Witz, ihren Blick auf die Wirklichkeit und ihre lustvoll-kritische Schreibenergie. Unter dem Eindruck ihrer „Briefe aus Paris“ übernahm Kerr 1895 – da war er gerade 27 Jahre alt – für seine „Breslauer Zeitung“ eine damals übliche Form der kulturellen Berichterstattung, den erzählenden, oft im Plauderton vorgetragenen Bericht über politische, gesellschaftliche Ereignisse, Moden, Kriminal- und Todesfälle, Veränderungen der Sitten in der aufstrebenden Reichshauptstadt.
Vom 1. Januar 1895 an fünf Jahre lang, Woche um Woche schrieb er seine „Berliner Briefe“. Der frühere Feuilleton-Chef von „FAZ“ und Tagesspiegel, Günther Rühle, hat sie vor gut zehn Jahren in Breslau wiederentdeckt und unter den Titeln „Wo liegt Berlin?“ und „Warum fließt der Rhein nicht durch Berlin?“ im Aufbau-Verlag kommentiert herausgegeben. Sie erregten viel Aufsehen, wie ein vergessenes Hauptwerk von Alfred Kerr.
Diese Edition war der Anlass, Vermutungen nachzugehen, die sich jetzt bestätigten: 25 Jahre lang, von 1897 bis 1922, schrieb Alfred Kerr auch für die „Königsberger Allgemeine Zeitung“ sonntags „Berliner Plauderbriefe“. Von diesen sind hier auf der Doppelseite acht erstmals wieder in Auszügen zu lesen – Kerrs „Plauderbriefe“ umfassen die hohen Jahre des Kaiserreichs, Ausbruch des Ersten Weltkrieges, den Wechsel der Kriegsstimmung in der Heimat, die Gründung der ersten deutschen Republik. Und die Zeit bis zum Beginn der Inflation. Ich beschreibe in dem Stück rechts oben diesen Fund und seine Bedeutung für Berlin.
Anders als viele zeitgenössische Schriftsteller sah Kerr sehr bald, wohin die Weimarer Republik trieb. Hitler, dessen NSDAP und SA, erkannte er früh als Gefahr und ergriff aktiv Partei gegen sie. Im „Berliner Tageblatt“ setzte er dafür seine Zeichen; eine Zeile aus dem Gedicht von 1931, „Grammatik-Stunde“ mag genügen: „Du siehst den Nazi, der ungestört/Den Massenmord herauf beschwört…“
Noch vor der Machtübergabe an die NSDAP kündigte Joseph Goebbels an, dieses „schreibende Gesindel (...) an die Wand“ zu stellen. Darunter auch Kerr. Als sein Pass eingezogen werden sollte, floh er schwer grippekrank am 15. Februar 1933 aus Berlin nach Paris, dann im März 1936 nach England, wo er bis 1948 lebte – in Armut. Seiner Sprache beraubt, konnte er kaum journalistische Arbeit verkaufen.
Seine Kinder lebten sich in England ein, seine Tochter Judith Kerr wurde als Schriftstellerin weltberühmt, sein Sohn Michael der höchste Richter Englands und geadelt. 1948, mit 80 Jahren, setzte Kerr sich zum ersten Mal in ein Flugzeug und ging in Hamburg ins Theater. In der folgenden Nacht erlitt er einen Schlaganfall. Als er erfuhr, dass er nicht wieder arbeiten können würde, setzte Alfred Kerr seinem Leben selbst ein Ende. Deborah Vietor-Engländer
Alfred Kerr,
geboren am 25. Dezember 1867 in Breslau, gestorben am 12. Oktober 1948 in Hamburg. Hier auf einer undatierten Aufnahme, die vor 1918 entstanden sein muss
Deborah Vietor-Engländer
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