Stadtrundfahrt: 48 Stunden Studentisches Greifswald
Angela Merkel mag den "Pflaumenaugust", die Ostsee ist nur eine Viertelstunde entfernt, Studenten feiern bis zum Morgengrauen. Früher nüchterten sie im Karzer aus, heute im Koeppenhaus.
10 Uhr
Die Einwohner sehen es so: Greifswald ist eine Uni – mit einer Stadt drumherum. Jeder Zehnte der 60140 Greifswalder studiert oder arbeitet an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Das merkt man nicht zuletzt an den unzähligen Radfahrern mit Rucksack und Aktentasche. Am besten schließt man sich den Radlern an und fährt selber den Wall entlang, vom Bahnhof zwischen den Kastanien hindurch, am alten Universitätsgelände und dem Dom vorbei, bis hin zum Marktplatz. Ein kleines, buntes Haus steht hier neben dem anderen, keines ist gleich. Auf manchen sieht man noch einen altdeutschen Schriftzug, der die ursprüngliche Aufgabe des Gebäudes betitelt: „Sparkasse“, „Kaffeehaus“.
11 Uhr
Blickt man Richtung Norden, ragen die Masten der Schiffe am Ende der Knopfstraße hervor. Greifswald ist nicht nur eine Studenten-, sondern auch eine Hansestadt. Vor der Brücke vom Hansering zur Museumswerft spiegeln sich gut 50 historische Schiffe auf der Wasserfläche des Ryck, der vom Bodden kommend durch die Stadt fließt. Die Luft riecht salzig, die Ostsee ist nur eine Viertelstunde entfernt. Im Sommer trifft sich Greifswald auf dem Rasen vor der Museumswerft, dort darf gegrillt werden.
13 Uhr
Seeluft macht hungrig. Also zurück zum Markt und in den Schuhhagen Hausnummer 13. „Fisch 13“ wurde kürzlich als „Bestes Stationäres Fischfachgeschäft“ des Jahres ausgezeichnet. Angela Merkel probierte bei einem Besuch den „Pflaumenaugust“ – ein Matjesfilet auf Pflaumenmus, garniert mit Apfel, Zwiebel und Lollo Rosso. Klingt nach einer wilden Mischung, doch die Obstsüße harmoniert mit dem Salzig-Sauren vom Fisch. Für Fans der asiatischen Küche ist die „Grüne Welle“ zu empfehlen: Knoblauchgarnelen auf Wakame-Seegrassalat und Kokossauce im warmen Brötchen. „In Greifswald haben wir das Fischbrötchen wieder modern gemacht“, sagt Christin Sommerfeld, die mit ihrem Mann 2012 den Laden eröffnete. Die Greifswalder scheinen das genauso zu sehen. Die Schlange vor der Theke ist immer lang.
14 Uhr
Nach dem Happen wartet Historie. Die Geschichte der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald geht bis 1456 zurück, was sie zu einer der ältesten Mitteleuropas macht. Das Auditorium ist aus dem 19. Jahrhundert, der Karzer nebenan gleichfalls. Hier hinein kamen Studenten, die volltrunken zur Vorlesung erschienen, sich duellierten oder sonst wie verhaltensauffällig wurden, und saßen ihre Strafe stunden- oder tageweise ab. Für Interessierte gibt es Führungen durch die historischen Räume. Derzeit muss sich die Universität einem Streit von Linken und Liberalen um ihren Namenspatron stellen: Ernst Moritz Arndt, 1769 auf Rügen geboren, steht immer wieder wegen seiner teils rassistischen und deutschtümelnden Schriften in der Kritik.
15 Uhr
Eine Straße weiter steht der St. Nikolai Dom. Die mittelalterliche Backsteinkirche überragt mit seinem fast 100 Meter hohen Turm die Giebel der Altstadt. Betritt man das Kirchenschiff, ist man in einer anderen Welt. Die weißen Wände werden nur selten durch die matten Farben der Gemälde und Fresken unterbrochen. Die hellen Holzbänke mit roten Polstern zeigen zu dem einzigen dunklen Punkt, der ebenholzfarbenen Kanzel. Vom Turm genießt man bei klarem Himmel einen Blick über die Altstadt bis hin zur Insel Rügen.
16 Uhr
Zeit für eine Kaffeepause. Im Marell (Knopfstraße 14 und Theodor-Pyl-Straße 1) berieselt Norah Jones die Gäste mit Soulklängen, in die sich Kinderlachen mischt. Hier liest der Rentner Zeitung, neben der Studentin, die für die nächste Klausur paukt. Der Himbeercheesecake wird nach hauseigenem Rezept gebacken und zergeht im Mund. Café-Eigentümer Michael Berger röstet auch selbst. Wenn er anfängt, von Kaffee zu reden, merkt man schnell, dass er nicht nur Ahnung hat, sondern auch Leidenschaft. Mit seiner Geschäftspartnerin bietet er Espresso- und Kaffeeseminare an.
18 Uhr
„Vegetarisch + vegan mit Liebe selbst gemacht“ steht auf der Getränketafel im „Bommelz“ (Steinbeckerstraße 14). Mit bunten Lampen, Teppich und Sofas aus Euro-Paletten fühlt man sich wie in einer Studentenbude. Gegessen wird fleischfreies Fastfood. Auf den Burger kommt ein Bratling aus Kidneybohnen und Weißen Bohnen, Haferflocken sowie einer Prise Zimt. Neben der festen Karte gibt es täglich den Soli-Mittagstisch. Jeder zahlt, was er mag. Wer einen Betrag über dem Richtwert gibt, zahlt für jemanden mit, der es sich nicht leisten kann. Außerdem steht im Lokal ein Kühlschrank, über den man Lebensmittel tauschen kann.
21 Uhr
In einer Kneipe in der Altstadt erzählen zwei Studenten, was ihnen an Greifswald so gut gefällt: dass es klein ist und man sich ständig über den Weg läuft. Da fühle man sich nicht so schnell allein. Greifswald verbindet Kleinstadtcharme mit Studentenleben. Wie das aussieht, zeigt sich zum Beispiel im Kulturzentrum „St. Spiritus“ (Lange Straße 49), wo abends Funk-, Rock- und Popkonzerte stattfinden. Auf den Grundmauern einer Kapelle aus dem 13. Jahrhundert tanzen Greifswalder, Studenten und ein paar syrische Flüchtlinge zusammen.
Direkt vor der Tür fährt der Bus nach Wieck
10 Uhr
Nach dem Ausschlafen kann man Kultur und Frühstück miteinander kombinieren. Aus Greifswald kommen zwei bekannte Schriftsteller: Hans Fallada und Wolfgang Koeppen. Am Wochenende findet der Galerie-Café-Brunch im Geburtshaus von Koeppen statt (Bahnhofstraße 4–5). Das Haus ist ein Kulturzentrum mit Café, Lesungen, Theater und Galerie. In einer winzigen Küche schnippeln studentische Hilfskräfte Obst und Gemüse, bereiten Pasten und Tomatenbutter zu.
11 Uhr
Direkt vor der Tür fährt der Bus nach Wieck. Allerdings lassen sich die fünf Kilometer bis zur äußersten Hafenmole, vorbei an der historischen Holzzugbrücke und dem modernen Sperrwerk, auch in der gleichen Zeit mit dem Fahrrad bewältigen. In der Heimatstadt des Malers Caspar David Friedrich, der Anfang des 19. Jahrhunderts viele seiner romantischen Motive in der Gegend fand, kann man einen Abstecher zur Klosterruine Eldena machen. 1199 wurde das Kloster durch Mönche aus Dargun gegründet, 42 Jahre später erhielten sie das Recht, einen Markt zu errichten. Das könnten die ersten Wurzeln des heutigen Greifswald sein. In Wieck kann man tief durchatmen, sich auf eine Bank setzen und den Blick über das Meer schweifen lassen.
13 Uhr
Bis der Hunger einen weitertreibt. In Wieck, wo der Ryck in die Dänische Wiek mündet. In dieser Bucht des Greifswalder Boddens gibt es zahlreiche Fischbuden und -restaurants. Bei der alten Holzbrücke steht seit 1997 die „Fischer-Hütte“ (An der Mühle 12). Von den gelben Wänden des Restaurants sieht man kaum noch etwas. Sprüche wie „Wat jung is, dat spält giern. Wat olt is, dat nöölt giern“ sind mit roter Farbe aufgemalt, daneben hängen Fischernetze, Buddelschiffe, Akkordeons. Serviert werden Klassiker wie die Kutterscholle und Spezialitäten wie der Wikingerschmaus: ein Heringsfilet auf Kartoffelpuffer, Apfelragout und lauwarmer Lauchvinaigrette. Dazu das Fisch-Hütten-Bier, unfiltriert und naturbelassen.
15 Uhr
Zurück in der Altstadt geht es ins Caspar-David-Friedrich-Zentrum, das sich Leben und Wirken des Künstlers widmet. Er machte Eldena und Rügen zum Gegenstand seiner Werke und war einer der ersten Künstler, der Göttlichkeit in die Natur versetzte. Zu Lebzeiten war er deshalb umstritten. Heute hängen seine Gemälde in zahlreichen Museen, auch in der Alten Nationalgalerie Berlin.
19 Uhr
In der Hansestadt gibt es nicht nur Fisch, das Selbstbedienungsrestaurant Kontor ist besonders für sein hausgemachtes Eis bekannt, serviert aber auch Pizza. Vom Teig bis zur Soße wird alles selbst gemacht. Neben den klassischen roten gibt es auch weiße Pizzen, mit Ricotta statt Tomatensoße. Die Pizza Amore ist mit Ziegenkäse, Feigen und Walnüssen belegt. Als Topping gibt es Ahornsirup und Balsamico. Nachts verwandelt sich das Lokal in einen Studentenclub. Im Kellergewölbe wird zu Hip-Hop und R&B getanzt.
21.30 Uhr
Für die Kneipentour am Abend kann man das Fahrrad ruhig stehenlassen. Die wenigen Meter zwischen den Bars lohnen sich nicht zu fahren. Die Cocktail- und Shishabar „Domburg“ (Domstraße 21) betreiben Studenten, sie ist 365 Tage geöffnet. Lauter und verrauchter ist die Kellerkneipe „Falle“ (Am Mühlentor 1). Im Backsteingewölbe der ältesten Studentenkneipe der Stadt gibt es süffiges Bier vom Fass. Die „Kulturbar Café & Atelier“ (Lange Str. 93) befindet sich in der Wohnung eines Fachwerkhauses, in der abends Live-Musik gespielt wird. Im „Cafè Ravic“ (Bachstraße 20) stehen Retromöbel neben Wohnzimmerpflanzen, Koffer dekorieren die Decke. Unter denen kann man bis in die Morgenstunden eng gedrängt zu Electro Swing tanzen. Oder die Hochschulgruppe von „Die Partei“ beim Kartoffelstempeln bewundern.
Reisetipps für Greifswald
ANREISE
Von Berlin aus fährt man gut drei Stunden mit der Bahn. Am günstigsten ist das DB-Ostseeticket (44 Euro), das auch für die Rückreise genutzt werden kann. Jede Stunde fährt ein Zug.
UNTERKUNFT
Das Hotel Galerie befindet sich nur wenige Schritte vom historischen Marktplatz entfernt und wird von Künstlern der Galerie Hubert Schwarz ausgestattet. Jedes Zimmer ist individuell gestaltet. Im Wochenendspezial kostet das DZ mit Frühstück 190 Euro. Mehr Informationen unter hotelgalerie.de.
TOUREN
In der Stadt von Caspar David Friedrich kann man sich auf einem Bildweg auf die Spuren des Malers begeben. Dieser Rundgang ist mit Schildern ausgezeichnet, man kann ihn entweder ohne oder mit Führung (4,50–5,50 Euro) machen. Je nach ausgewählter Route dauert der Spaziergang bis zu zwei Stunden und führt hinaus nach Wieck nahe dem Bodden.
INFOS
Die Greifswald Marketing GmbH bündelt alles Wissenswerte unter greifswald.info.
Lilith Grull
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