Gesellschaft: 1000 x gerührt
Er gehört zu Schottland wie Rugby und Whisky: der Porridge, ein Brei aus Hafergrütze, Wasser und Salz. Jetzt kochten seine Fans in den Highlands um den Weltmeister-Titel. Eine Exklusiv-Reportage für den Kontinent.
Über 5000 Kilometer ist sie geflogen, von Toronto bis Glasgow, einen Tag hat die Reise gedauert, sie hat es mutig mit dem Linksverkehr aufgenommen und ist Stunden durch die schottischen Highlands gefahren. Und jetzt steht Joanne Grice in der Gemeindehalle von Carrbridge, einem 708-Seelen-Dorf nahe Inverness, um endlich das zu tun, wofür sie all diese Strapazen auf sich genommen hat: Sie kocht einen Topf Haferbrei.
Die Gemeindehalle ist bis auf den letzten Platz besetzt. Joanne steht vor dem Gasherd, die Brille auf der Nase, konzentriert rührt sie in ihrem Topf. Denn hier geht es nicht um irgendeinen Haferbrei, sondern um den besten Porridge der Welt. Und die Konkurrenz ist stark.
15 Köche, drei Zutaten, ein Preis: The Golden Spurtle, der Goldene Rührstab, die Trophäe für den besten traditionellen Porridge aus Hafer, Wasser und Salz. Prämiert wird an diesem Oktobersonntag außerdem der beste Spezial-Porridge: freie Kreationen der Teilnehmer.
Joanne hofft auf den Spezialpreis, sie wird einen „Porridge brulée“ zubereiten: Haferbrei mit einer karamellisierten Zuckerschicht, dazu Cranberries. Unglücklicherweise schaffte es ihr Bunsenbrenner nicht durch die Sicherheitskontrolle des Flughafen Toronto. Den neuen, in Schottland erstanden, hat sie noch nicht ausprobiert: Sie hatte Angst, das kleine Zimmer in ihrem Bed & Breakfast zu flambieren.
Dass im traditionellen Wettbewerb ihre Chancen eher schlecht stehen würden, hatte sie spätestens am frühen Morgen geahnt, als sie im Frühstücksraum saß. Vor dem Fenster war es grau, als hinge der Porridge vom Himmel, drinnen blätterte Joanne in der Karte und las: „Gerne servieren wir Ihnen Porridge. Allerdings bitten wir Sie, ihn am Vorabend zu bestellen, da wir den Hafer nach traditioneller Methode über Nacht einweichen.“ Joanne kräuselte die Stirn. Diese Methode, sagte sie, kenne sie nicht.
Dabei ist die Einweich-Taktik, das wird an diesem Tag in Carrbridge klar, nicht der einzige Weg zum Erfolg. Schon beim Werkzeug gilt es, grundsätzliche Fragen zu klären: Wird der Porridge mit einem Holzlöffel gerührt? Oder gar einem aus Metall? Oder mit einem Rührstab, dem Spurtle? Dann die Technik: Simon Humphries aus London schwört auf das Kochen im Wasserbad. Und, natürlich, die Zutaten: Ian Bishop aus Carrbridge schöpft das Wasser für seinen Brei aus einer 30 Meter tiefen Quelle unter seinem Haus. Albert Cowie, angetreten im Kilt, mischt gleich vier Sorten verschiedenartig gemahlenen Hafers zusammen.
Vier verschiedene Sorten, Joanne ist beeindruckt. In Kanada macht man Porridge aus Haferflocken, nicht aus gemahlenem Hafer, der Hafergrütze. Sie konnte in ihrer Stadt nur eine einzige Sorte Hafergrütze finden, im Supermarkt: „President´s Choice“. Ihre 14 Konkurrenten, die meisten aus Schottland, der Rest aus England, haben ihr Getreide oft direkt beim Müller gekauft.
Joanne Grice arbeitet in einer kleinen Stadt nahe Toronto, in einem Wellness-Hotel und Spa bereitet sie das Frühstück. Eine zarte Frau, kastanienbraunes Haar, 55 Jahre alt, sie wirkt wie Anfang 40. Eigentlich, erzählt sie, gibt sie sich ja immer besondere Mühe mit den Eiern, denn die will jeder Gast exakt so haben, wie er sie mag. Den Porridge, Joanne nennt ihn Oatmeal, stellt sie einfach auf den Herd und schaut ihn erst wieder an, wenn er fertig ist.
Doch einmal rief eine Restaurant-Testerin nach dem Genuss ihre Oatmeals aus, es sei das beste, das sie je gegessen habe. Und dann hörte Joanne im Radio von dem Wettbewerb in Carrbridge. Porridge-Weltmeisterschaften, das klang nach einer guten Mischung aus ernsthafter Tradition und verschrobener Absurdität. Joanne meldete sich an.
Und so war sie an diesem Morgen dabei, als die Porridge-Parade durch das Dorf marschierte: Eine Dudelsack-Truppe, dahinter die Jury und die 15 Teilnehmer. Unter ihnen ein paar Köche, ein ehemaliger IT-Spezialist, ein Skilehrer, Hausfrauen, Bed&Breakfast-Besitzer. Zum 15. Mal wird der Weltmeister in Carrbridge gekürt. Und bisher ist der Golden Spurtle immer in Schottland geblieben.
Porridge gehört zu Schottland wie bloße Männerknie unter karierten Wickelröcken. Und wurde lange für ähnlich absonderlich befunden: Samuel Johnson, ein englischer Gelehrter und Schriftsteller, wunderte sich im 19. Jahrhundert: „Hafer ist ein Getreide, mit welchem man in England Pferde füttert, und das in Schottland Menschen zu ernähren scheint“. Ein Schotte soll damals geantwortet haben: „Warum ist England dann berühmt für seine Pferde und Schottland für seine Männer?“
Das scheint die Engländer überzeugt zu haben. Mittlerweile gehört Porridge auch zum englischen Frühstück, das nationale Rugbyteam stärkt sich damit vor jedem wichtigen Spiel. Und das Getreide scheint nicht nur stark zu machen, sondern auch lebensverlängernd zu wirken: David Rockefeller, Enkel von John D., erzählte kürzlich in einem Interview, dass er wie sein Großvater jeden Morgen eine Schale Porridge frühstücke. Sein Großvater wurde 97 Jahre alt, er selbst ist 93.
Tatsächlich ist kein Getreide so gesund wie Hafer: leicht verdaulich, kalorienarm, voller Mineralstoffe, Proteine und Eisen. Seine Karbohydrate geben die Energie langsam in den Körper ab, daher ist Hafer sehr sättigend. Porridge ist gut fürs Immunsystem und reduziert das Diabetes-Risiko.
In Deutschland verziehen dennoch die meisten beim Wort Haferbrei das Gesicht. Schließlich ist er hierzulande bekannt als Kur gegen Magen-Darm-Grippe und weniger als Frühstücksspezialität. Selbst eine groß angelegte Imagekampagne könnte daran wohl nichts ändern: Brei klingt nach einer Pampe für die Zeit vor und nach den Zähnen, widerstands-, farb- und geschmacklos. Den Kartoffelbrei kann man immerhin noch zum Püree adeln, den Grießbrei zum Flammeri. Die Verwandten des Haferbreis dagegen heißen: Hafergrütze und Haferschleim. Da ist eine kulinarische Karriere, nun ja, eher schwierig.
In Carrbridge gibt es einige gute Ideen, um den Haferbrei aus seiner tristen deutschen Medizin-Ecke zu holen. Joanne rührt geschlagene Eier, Zucker, Sahne und Cranberries unter den Brei, schmeckt mit Ahornsirup ab und füllt die Mischung in kleine Schalen. Der schottische Bunsenbrenner funktioniert, die Zuckerschicht auf dem Brei karamellisiert. Konkurrenten in der Kategorie Spezial-Porridge, unter anderem: Porridge, in Stout-Bier gekocht, mit Apfelkompott; Marzipan-Porridge mit Whisky-Eis und marinierten Äpfeln; Porridge-Risotto mit wilden Pilzen und Mascarpone.
Ziemlich gute Kreationen, befindet die Jury, drei schottische Spitzenköche, die in einem Hinterzimmer der Gemeindehalle sitzen. Einmal, erzählt der Vorsitzende George McIvern, hat ein Teilnehmer Porridge-Pfannkuchen mit Lavendeleis gemacht. Er erinnerte sich daran, dass früher Porridge in Küchenschubladen zum Erkalten gesteckt und dann in Scheiben geschnitten wurde, sodass die Bauern ihn aufs Feld mitnehmen konnten. „Lavendel, Schubladen – meine Assoziation beim Essen war: eine muffige Wäschekommode.“
Die Schönheit des Wettbewerbs, sagt George McIvor zwischen zwei Löffeln, läge doch in seiner Einfachheit: Alle kochen mit denselben drei Zutaten – und trotzdem kämen ganz unterschiedliche Ergebnisse dabei heraus.
Denn kein Brei gleicht dem anderen. Im Minutentakt tauchen die drei Köche ihre Löffel ein und debattieren. „Ok, Jungs. Konsistenz?“ – „Gut.“ – „Yeah“ – „Traditioneller Geruch.“ – „Schmeckt nussig.“ – „Ja, eine natürliche Nussigkeit.“ Schnell wird auch dem Amateur klar: Natural Nuttiness, die natürliche Nussigkeit, ist das allerhöchste Lob für einen guten Porridge.
Gut ist er auch, wenn folgende Adjektive fallen: goldfarben, satt, geschmeidig, leicht salzig. Weniger gute Adjektive: fast durchsichtig, bleich, mehlig, bitter, seifig, fad, suppig. Und für die Konsistenz gilt: Er muss sich leicht vom Rand der Schale lösen, darf aber kein pappiger Klumpen sein. Am besten: eine geschmeidige Pampe, in der die einzelnen Körner noch auszumachen sind.
Hinter der Koch-Bühne dürfen auch die Zuschauer die verschiedenen Porridges probieren. Ein junger Mann mit schwarzem Bart ist von Joannes Porridge brulée begeistert: „Wunderbar, man schmeckt das leicht salzige des Porridges raus, aber der Gesamteindruck ist süß, genau die richtige Mischung!“
Doch die Jury entscheidet sich beim Spezial-Preis für den Marzipan-Porridge. Und der Golden Spurtle für den besten traditionellen Porridge geht an Ian Bishop, Skischulbesitzer aus Carrbridge. Joanne bekommt einen Extra-Applaus, für die weiteste Anreise in der Geschichte der Porridge-Weltmeisterschaften.
Ian Bishop verrät dann noch seine Geheimnisse: Das Wasser aus seiner Quelle natürlich. Und Erfahrung, er hat bislang an jeder WM teilgenommen. Beim ersten Mal habe er noch fassungslos in seinen Topf geschaut und seinem Kumpel Duncan, der auch mitkochte, zugeraunt: „Mist! Bei mir ist alles voller Klumpen!“ Und was antwortete Duncan, späterer Rekord-Weltmeister? „Du musst rühren! Rühr wie ein Bekloppter!“
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