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Neuanfang. Sein Arbeitgeber Schilkin fand für Stefan Zinn nach seiner Erkrankung eine andere Aufgabe.
© Kitty Kleist-Heinrich

Bester Mittelständler 2015: Ein Stück Berlin

Der Spirituosenhersteller Schilkin liefert bundesweit hochprozentige flüssige Spezialitäten aus. Handarbeit ist im Betrieb gefragt, Handicaps spielen keine Rolle.

Über seinen Tisch geht ein Stück Berlin. Abgefüllt in ein filigranes Fläschen in Form des Brandenburger Tors oder in einer Nachbildung des Fernsehturms. Ist das Glas makellos? Passt der Schraubverschluss? Stimmt die Füllmenge? Stefan Zinn braucht viel Konzentration und Geduld für seinen Job. Erst wenn die Flaschen gefüllt mit Likören oder Bränden seine Qualitätskontrolle passiert haben, klebt er ein Etikett auf die Gefäße und macht sie für den Versand fertig.

Zinn arbeitet beim Spirituosenfabrikanten Schilkin in Alt-Kaulsdorf. In seiner Abteilung geht es nicht ohne Handarbeit, denn die ungewöhnlichen Design-Flaschen passen in keine Abfüllmaschine. Ein paar Hundert Flaschen prüft der 27-Jährige am Tag. Jede einzelne nimmt er in die Hand, untersucht sie ganz genau.

Dass er kein Mitarbeiter wie die meisten seiner Kollegen ist, merkt man dem Facharbeiter auf den ersten Blick nicht an. Doch ein normales Arbeitspensum von rund 40 Stunden schafft er nicht mehr. Sein Körper verlangt mehr Pausen, Auszeiten während der regulären Arbeitszeiten. Zinns Nieren funktionieren nicht mehr so, wie sie sollen. Vor rund einem Jahr hat er von seiner Krankheit erfahren. „Das war quasi wie ein Rauswurf aus dem Job“, sagt er. „Das ist eine heimtückische Krankheit. Man merkt ja nichts.“

Wenn er zur Dialyse muss, ist an Arbeiten nicht zu denken

Seine Krankengeschichte beginnt harmlos. Weil er einen hohen Blutdruck hat, verschreiben ihm die Ärzte ein Medikament. Die Tabletten schlagen an, doch ihre Wirkung greift vermutlich auch Organe an, die bisher gut funktionierten. Irgendwann fühlt Zinn seinen Arm nicht mehr. Irgendwas stimmt nicht mit seinem Blut. Die Diagnose seines Arztes ist ernüchternd, doch keineswegs hoffnungslos. Seit dem muss Zinn drei mal in der Woche zur Dialyse, vier Stunden lang wird sein Blut gewaschen. An ganz normales Arbeiten ist an diesen Tagen nicht zu denken. Ohne die Prozedur könnte er jedoch nicht überleben.

Vor seiner Krankheit hat er im Lager von Schilkin gearbeitet, mit dem Gabelstapler die Paletten mit den Spirituosen auf- und abgeladen, aus dem Weg geräumt und verstaut. Diesen Job kann er heute nicht mehr machen. Die Schlepperei strengt seinen Körper sehr an. Zu groß ist die Gefahr, dass er das Pensum nicht schafft.

Monatelang hat Zinn im Betrieb gefehlt. Nach seiner Krankschreibung kam er über das Integrationsamt der Senatsverwaltung wieder in die Firma zurück.„Gemeinsam haben wir überlegt, welchen Job er trotz Krankheit machen kann“, sagt Andrea Jahns, zuständig für Personalfragen bei Schilkin. Für sie und die Geschäftsleitung gab es nie einen Zweifel daran, Zinn im Betrieb zu halten. „Er kann doch nichts für seine Krankheit“, sagt Jahns. Seine Arbeit hat er immer gut gemacht. Warum sollten wir ihn nicht weiter beschäftigen?“

Der Firma geht es um ein faires Miteinander

Für Jahns ist es selbstverständlich, dass auch Kollegen mit einer Behinderung im Betrieb angestellt werden. Der Firma geht es um die gute Zusammenarbeit, ein faires Miteinander, die Gemeinschaft unter den Mitarbeitern. Ein Handicap spielt da keine Rolle. Derzeit arbeiten acht Menschen mit einer anerkannten Behinderung in Alt-Kaulsdorf. Die meisten sind seit Jahren im Betrieb beschäftigt. Sie kümmern sich um das Auspacken der Flaschen, arbeiten im Lager oder sorgen dafür, dass die Spezialitäten versandfertig gemacht werden können. „Keiner wird ausgeschlossen oder benachteiligt. Alle gehören zum Betrieb dazu“, sagt Personalexpertin Jahns. Insgesamt hat der Betrieb knapp 30 Mitarbeiter.

Auf die Frage, warum Schilkin sich für Angestellte mit Behinderung einsetzt, reagiert Jahns erstaunt. Sie will aus dem Engagement für diese Mitarbeiter keine Besonderheit machen. „Wir bieten ihnen einen schönen Arbeitsplatz“, sagt Jahns. „Es ist schön zu sehen, wie die Menschen in ihren Aufgaben aufgehen.“ Weitere Gründe braucht es für sie nicht.

Vor allem rund um die Weihnachtszeit und dann ab Ostern herrscht Hochbetrieb in der Spirituosenfabrik. 7000 Flaschen vom Pfefferminzlikör „Berliner Luft“ und andere Spezialitäten werden jeden Tag an den Maschinen abgefertigt, hinzu kommen die Abfüllungen per Hand in Zinns Abteilung. Hohe Nachfrage nach Hochprozentigem gibt es vor allem im Osten der Republik. Bekannt ist Schilkin für den sogenannten Zarenwodka, der schon am russischen Hofe viele Anhänger fand. Die Urgroßeltern haben die Firma um 1900 gegründet. Wie der Zarenwodka gebraut wird, ist ein streng gehütetes Familienrezept. Natürlich. Heute wird in Alt-Kaulsdorf nicht mehr gebrannt, sondern der Rohalkohol mit den verschiedensten Geschmacksrichtungen aufbereitet.

"Man muss sich Hilfe holen, wenn es zu schwer wird"

„Ich bin froh, dass ich wieder hier bin“, sagt Zinn. Seine neuen Aufgaben im Betrieb machen ihm Spaß, doch ihm fehlt der Job im Lager. Zinn steht auf der Liste für eine Spenderniere. Er hat gute Chancen in den kommenden Jahren eine zu bekommen. Die Ärzte gehen von einer Wartezeit von rund zehn Jahren aus, sagt er. Eines hätte er ja schon geschafft, fügt er dann noch hinzu. Dass er sich nicht unterkriegen lässt, merkt man ihm an. Und auch die Kollegen hoffen für ihn, dass es ihm bald wieder besser geht. „Man muss sich Hilfe holen, wenn es zu schwer wird“, sagt Zinn.

Er ist zuversichtlich, dass er schon bald wieder auf seinen alten Posten zurück kann. Schließlich geht es ihm dank Dialyse deutlich besser – auch wenn seine Kräfte noch nicht vollständig wieder zurück sind.

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