Deutsche Hilfe für Bebenopfer: Die Häuser des Ministers
Minister Dirk Niebel weihte im Mai 2010 in Haiti Häuser für Opfer des Bebens ein und mahnte sie, sie gut zu behandeln. Er sagte nicht, dass der Boden, auf dem sie standen, nur für zwei Jahre zur Verfügung stand.
Deutschland wollte schnell helfen. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) weihte rund vier Monate nach dem Beben im Mai 2010 in glühender Hitze eine kleine Siedlung mit gut 50 Holzhäuschen in Leogane ein. Dort waren rund 90 Prozent aller Häuser zerstört worden. Dirk Niebel selbst wohnte zuvor eine Nacht in einer der rund dreieinhalb mal dreieinhalb Meter messenden Holzhütten. Seine Mitarbeiter schwärmten von der besonders ausgeklügelten Lüftung. Drei bis fünf Jahre würden die Häuser mindestens halten, sagten sie. Kritik am unbehandelten Sperrholz, der Einheitsgröße, fehlenden Latrinen und engen Abständen zwischen den Häusern galt damals als fehl am Platze. Die Leute müssten beim nächsten Hurrikan ein Dach über dem Kopf haben, das sei das Wichtigste. Der Minister übergab den Bewohnern schicke Urkunden mit goldenen Schleifen und ermahnte sie, ihre Häuser ordentlich zu behandeln, „damit sie nicht wieder in Pappkartons und unter Plastiktüten wohnen müssen“.
Heute, im Sommer 2013, erinnert das Gelände auf den ersten Blick an einen Friedhof. Aus der Wiese ragen zahlreiche Zementhäufchen. Die Häuser, die auf den Blöcken standen, sind verschwunden. An einem verbliebenen Haus steht, es sei zu vermieten. Ein anderes Haus, das inzwischen frei steht, ist schön zurechtgemacht: die Wände gestrichen, ein Vorhängeschloss an der Tür, davor eine Veranda, in den ehemals offenen Luken sind Scheiben angebracht. Ein paar Meter weiter gammeln Häuser vor sich hin, das Holz ist in all dem Regen, den es seither gab, aufgesprungen.
Lophita Senor, die Achtjährige, und ihr Vater Louis, die damals als eine der ersten ihre Besitzurkunde vom Minister bekamen, wohnen nicht mehr hier, sagen Nachbarn. Der Vater sei in die USA gegangen, seine Tochter habe er zu Verwandten im Nachbardorf gegeben. Simone Jules lebt noch hier. Sie schaut aus der Fensterluke ihres Hauses, das inzwischen grün lasiert und über eine abenteuerliche Konstruktion aus blauen Plastikplanen mit einem zweiten verbunden ist. „Der Eigentümer hat gefordert, dass wir das Gelände räumen. Die anderen haben ihre Häuser abgebaut und mitgenommen", sagt die 49-Jährige und zeigt den noch immer unbefestigten Weg hinunter. Ihren Mann habe sie beim Beben verloren, mit sechs Kindern wohnt sie in ihrem Doppel-Haus, erzählt sie. „Der Besitzer will, dass wir auch gehen. Aber ich habe kein Geld, um umzuziehen." Die Frau in Pink zuckt mit den Schultern. Das Grundstück, wo sie früher gelebt hat, ist nur ein paar Ecken weiter. Es gehört Verwandten. Ihre Behausung dort ist damals eingestürzt. Ihre Küche hat sie aber inzwischen wieder dort eingerichtet. Es sei doch unmöglich hier zu kochen, sagt sie und guckt auf ihren Planenverhau. Schon gar nicht, wenn es regnet. Dann, oder wenn es stürmt, werde auch im Innern immer die eine Seite des Hauses nass, erzählt die Haitianerin. Das Wasser dringt durch die gelobte Lüftung ein. Deren Schlitze haben Simone Jules und ihre Kinder notdürftig mit Planen verkleidet, aber das hilft nicht wirklich. „Bei Regen rücken wir drinnen schnell alles auf die andere Seite“, sagt sie und macht eine ausholende Handbewegung. „Sonst wird das Bett nass.“ Aber das nimmt sie mit Gleichmut. „Ich schlafe nicht unter dem Mond. Das ist in Ordnung“, sagt Simone Jules und wiegt ihren Kopf hin und her.
Für den deutschen Botschafter Klaus Peter Schick sind diese Häuschen „was Ordentliches“, auch wenn er die Siedlung nie besucht hat. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erklärt auf Tagesspiegel-Anfrage im August 2013: „Das Shelterprogramm ist aus der Sicht der Erdbebenopfer, für die haitianische Regierung und für das BMZ ein Erfolg.“ In zweieinhalb Jahren seien „trotz enormer Schwierigkeiten“ unter anderem 3500 Wohneinheiten in Leogane gebaut worden. „Die Erfahrungen mit den ersten Unterkünften wurden konsequent für Verbesserungen bei nachfolgenden Bauten genutzt.“
Nach den Worten des Vertreters der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des Ministers baut, ist die Siedlung eine Pilotbebauung gewesen. GIZ-Mann Bertolt Bös zählt auf, was bei späteren Häusern verändert wurde: „flexible Lösung für den (zeitweisen) Verschluss der Entlüftungskonstruktion (v. a. in der Regen/Hurrikanzeit), modulare Kombination von Shelterteilen für verschiedene Familengrößen, Verstärkung der Verankerung der Holzkonstruktion in den Betonpfeilern, Lieferung von tropentauglichen Farben für den Außenanstrich (zur Verlängerung der Lebensdauer). Es sind die Schwachpunkte, die Laien schon bei der Einweihung aufgefallen waren.
Mit der Farbe gab es dann auch noch eine Panne. Zuerst wurde blaue Farbe importiert. Damit wollten die Menschen allerdings ihre Häuschen nicht streichen, sie glauben an Voodoo. Für sie verheißt ein blaues Haus nichts Gutes.
Bös bestätigt die Angaben von Simone Jules: Die Leute, die damals ihre Urkunden bekamen, dürfen nicht auf dem Grundstück bleiben. Man habe den Eigentümer des Landes damals nur dazu bewegen können, sein Grundstück für zwei Jahre zur Verfügung zu stellen. Mit deren Ablauf gehörten laut Vertrag auch die Häuser dort ihm. Davon hatten der Minister und seine Mitarbeiter bei der Einweihung nichts gesagt.
Zwischendurch hat der Eigentümer die Frist bis auf dieses Jahr verlängert. Auf die heruntergewirtschafteten Schuppen legt er offenbar keinen Wert. Er baut jetzt selbst, ist zu hören. Wer sein Grundstück verließ, dürfte die genagelten Hütten mitnehmen, manche haben ihre Häuschen verkauft, heißt e in Leogane.
Insgesamt hat die GIZ nach eigenen Angaben rund neun Millionen Euro für 3500 Einfach-Shelter ausgegeben, die sie gebaut haben. Je Häuschen wären das gut 2570 Euro. Allerdings sind Infrastrukturmaßnahmen wie Wasserversorgung und Latrinen in der Summe noch nicht enthalten, ebenso wenig wie die Ausgaben für den Zugang zu den Siedlungen und deren Erschließung oder die Klärung der Eigentumsverhältnisse. Als Gesamtsumme veranschlagt Bös 13 Millionen Euro. Da die Türen der Latrinen auf dem Pilotgelände in Leogane gestohlen wurden, hat der Eigentümer die Toiletten dort ohnehin längst wieder abreißen lassen.
Ob Dirk Niebel das gemeint hat, als er damals an die Wand eines Häuschens schrieb: „In der Hoffnung auf eine Zukunftsperspektive für die neuen Bewohner!“?