Berlin: "Zynisch, absurd": Empörung über Abriß-Idee
Politiker und Bewohner lehnen Vorschlag von Landowsky und Stimmann zum Umgang mit Sozialsiedlungen ab BERLIN (wvb/CD).Befremden hat der Vorschlag von CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky hervorgerufen, Wohngebäude wie den Schöneberger Sozialpalast und das Neue Kreuzberger Zentrum abzureißen.
Politiker und Bewohner lehnen Vorschlag von Landowsky und Stimmann zum Umgang mit Sozialsiedlungen ab BERLIN (wvb/CD).Befremden hat der Vorschlag von CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky hervorgerufen, Wohngebäude wie den Schöneberger Sozialpalast und das Neue Kreuzberger Zentrum abzureißen.Landowsky hatte in einem Tagesspiegel-Interview den Abbruch dieser Großgebäude vorgeschlagen: Sie seien "Kriminalitätszentren", die man nicht mehr in den Griff bekomme.Die Schönberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90/Grüne) sagte, der Sozialpalast sei "eine städtebauliche Katastrophe", aber kein Kriminalitätszentrum.Die Kreuberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) erklärte, man könne "soziale Probleme nicht durch den Austausch der Bevölkerung" lösen.Empört reagierte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD): Landowskys Vorschlag sei "absurd" und "zynisch", erklärte er.Der CDU-Fraktionschef fordere die "Sprengung" des Zuhauses von Menschen, die zu den Verlierern der Zwei-Drittel-Gesellschaft gehörten.Strieders Staatssekretär Stimmann hatte allerdings Landowskys Abriß-Idee im Tagesspiegel-Interview mit den Worten zugestimmt: "Sie haben recht.Das ist ein Tabu-Thema, aber vielleicht sollte man das NKZ in der Tat abreißen, das versaut die Stadt".Die Bezirkspolitikerinnen Ziemer und Junge-Reyer störten sich vor allem an Landowskys Behauptung, die Großgebäude seien "Kriminalitätszentren".Der Sozialpalast an der Potsdamer Straße sei von seiner Bewohnerschaft her keine kriminelle Hochburg, sagte Bürgermeisterin Ziemer.Doch biete seine bauliche Anlage Dealern und Rauschgiftsüchtigen "jede Möglichkeit": Dealer wickelten ihre Geschäfte in den Aufgängen ab, deren Türen immer wieder aufgebrochen würden.Junkies zögen sich in die verwinkelten Flure zurück, um sich Spritzen zu setzen.Allerdings gebe es im Sozialpalast noch immer deutsche und türkische Mieter, die dort als Erstbezieher wohnten und "das Ding zusammenhalten".Erstaunlich fand Bürgermeisterin Ziemer an Landowskys Vorschlag, daß der CDU-Politiker "als Banker" den Abriß eines Gebäudes fordere, das öffentlich subventioniert werde.Noch 1991 seien die Subventionen für 15 Jahre festgeschrieben worden.Daran erinnerte auch der Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft "Wohnen am Kleistpark", Klaus-Peter Fritsch.Ein Abriß sei nur denkbar, "wenn Berlin uns finanziell entgegenkommt".Das werde teuer: Auf dem Sozialpalast laste ein Schuldenberg von 150 Millionen Mark.Davon abgesehen falle Landowsky mit seinem Abriß-Vorschlag "den Leuten, die sich um den Sozialpalast bemühen, in den Rücken": Wer sei noch bereit, sich zu engagieren, wenn vom Abriß die Rede sei? Die Eigentümer planen zum Beispiel einen Musterflur: "Wir stellen das Material für eine Renovierung zur Verfügung.Die Mieter können den Flur gestalten und dann eine Art Patenschaft übernehmen." Bezirksbürgermeisterin Ziemer sagte, es sei immer schwerer, Mieter für das Haus zu finden.Am heutigen Dienstag soll zum ersten Mal ein Treffen des "Präventionsrats Schöneberger Norden" zur Situation im Sozialpalast stattfinden.Vom Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor sagt Sozialstadträtin Junge-Reyer, sie kenne viele Mieter, "die gerne da wohnen".Nicht die städtebauliche Struktur sei das Problem.Die Gegend sei vielmehr deshalb problematisch, weil alteingesessene Mieter in ihren Wohnungen "ärmer geworden seien".Doch dafür dürfe man ihnen nicht die Schuld geben.Man müsse versuchen, die städtebauliche Situation in dem von Armut betroffenen Gebiet zu verbessern, indem man die Mieter nach ihren Interessen befrage.In Kreuzberg habe es sich bewährt, in kleinem Rahmen Arbeitslose mit Arbeiten in den Grünanlagen zu beauftragen und Hausmeistertätigkeiten zu fördern.Dadurch mache man Häuser sicherer und unterstütze die Mieter, die sich für ihre Umgebung verantwortlich fühlten.So habe man direkt am Kottbusser Tor, in der Nachbarschaft des NKZ, ein Haus für 100 Senioren hergerichtet, die keineswegs dort wegziehen wollten.Die Bewohner sagten nicht, "wir wollen hier weg", sie sagten, "wir wollen, daß es hier besser wird".Der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Michael Haberkorn, verwies auf die Arbeitslosigkeit und Drogenproblematik, die mit der Abrißbirne nicht verändert werde. "Leerlaufen" lassen, zumauern - sprengen Für den Abriß von Häusern an sozialen Brennpunkten gibt es viele BeispieleFür den Abriß oder die Sprengung von neueren Wohnblocks an sozialen Brennpunkten gibt es Beispiele, in zahlreichen amerikanischen Großstädten, aber auch in Europa.In Großbritannien, den Niederlanden, besonders aber in Frankreich versuchte man, soziale Probleme, aber auch Leerstand durch Abriß zu lösen.Der "Fall" von mehr als einem Dutzend Hochhäusern im Großraum Lyon wirkte in den vergangenen Jahren besonders spektakulär.In den Gebäuden waren zunächst hauptsächlich Arbeiterhaushalte untergebracht, die in einem nahgelegenen Lastwagenwerk beschäftigt waren.Die Familien stammten zum großen Teil aus Nordafrika.Als das Werk geschlossen wurde, zogen viele Menschen weg, wer zurückblieb, sah sich einem Umfeld ausgessetzt, das immer trostloser und asozialer wurde.Treppenhäuser wirkten wie Müllkippen, Heizungen funktionierten zum Teil nicht mehr.Die Politiker suchten nach Lösungen und entschlossen sich, Häuser langsam "leerlaufen" zu lassen: Waren beispielsweise zwei Gebäude nur zur Hälfte bewohnt, wurde den Mietern des einen der Umzug in das andere Hochhaus bezahlt, das bald leere Gebäude erst einmal zugemauert.Mit der Zeit wurden die leeren Häuser dann gesprengt, in größerem Ausmaß zuletzt um 1995.Es entstanden Grünanlagen, die Gemeinde Venessieux plant langfristig "sozialverträgliche" Neubauten.Auch im Großraum Paris wurden ganze Wohnanlagen mit Hochhäusern gesprengt; die Siedlungen, in denen vor allem Einwanderer aus Nordafrika gelebt hatten, waren nach Ansicht von Kommunalpoltikern "in mafiösem Zustand" und unbewohn- und unregierbar geworden.Aus anderen Wohnhochhäusern wurden ganze Aufgänge herausgenommen, um das Erscheinungsbild aufzulockern.Auch verhältnismäßig neue Eigentums-Wohnanlagen, mit der Zeit total heruntergekommen, wurden in Paris zum Teil gesprengt: Die Wohnungen hatten sich als unverkäuflich erwiesen.C.v.L.
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