Aktion „Deutschland spricht“: Zwei Fremde diskutieren über Politik
Sie haben unterschiedliche politische Positionen – und stellen überraschende Gemeinsamkeiten fest. Nun geht „Deutschland spricht“ in die zweite Runde.
Eine Gemeinsamkeit hatten Andrey Schubert, 54, aus Pankow, und Julia Lange, 27, aus Charlottenburg, bereits vor ihrem Treffen: das Thema Atomkraft und Energiewende. Lange hat Energie- und Verfahrenstechnik studiert und arbeitet als Ingenieurin. Schubert ist selbstständiger Energieberater.
Einig waren sie sich trotzdem nicht, als sie sich im Vorfeld der Bundestagswahl trafen, um über Politik zu reden. Und nun, ein Jahr später, kann Lange sich wieder erinnern: „Ich war gegen Atomkraft und bin es heute noch“, sagt sie. Und Schubert entgegnet: „Ich bin immer noch dafür.“ Man könne die Kernkraft nicht restlos verbannen, denn auch da gäbe es eine Entwicklung. Atomkraft sei sauberer als Kohlekraft.
"Deutschland spricht" bringt Menschen mit unterschiedlichen politischen Meinungen zusammen
Selber Ort, selbe Zeit. Vor einem Jahr haben sich Julia Lange und Andrey Schubert schon einmal in Mitte getroffen. Im DaVinci-Restaurant in der Georgenstraße haben sie sich bei Wasser und Saft über ihre politischen Positionen ausgetauscht.
„Zeit Online“ hatte sie durch die Aktion „Deutschland spricht“ zusammengebracht. Menschen unterschiedlicher politischer Meinung konnten sich damals online registrieren und wurden durch einen Algorithmus zu Gesprächspärchen zusammengebracht. Diese Aktion wird nun wiederholt, und auch der Tagesspiegel gehört jetzt zu den Medienpartnern.
Um teilzunehmen beantworten Sie unsere Fragen zu aktuellen Themen, wie „Sollen deutsche Innenstädte autofrei werden?“ oder "Sollte Deutschland seine Grenzen strikter kontrollieren?", die Sie in diesem und anderen Tagesspiegel-Artikeln finden. Dann registrieren Sie sich als Teilnehmerin oder Teilnehmer. Mehr zum Hintergrund der Aktion lesen Sie hier.
Wie ist es, mit einem Fremden zu diskutieren?
Lange und Schubert lassen ihr Gespräch aus diesem Anlass Revue passieren. Name, Alter, Beruf und die Antworten auf die Fragen hatten die beiden vorher voneinander gewusst. Ein festes Bild aber hatten sie nicht in ihren Köpfen.
Lange war etwas skeptisch. Schubert ging es ähnlich. „Selbst im Bundestag verhalten sich die Politiker wie Kleinkinder. Da kann man schon Bedenken haben, wenn man auf einen fremden Menschen mit völlig anderer Meinung trifft.“
Keine gemeinsame Meinung zur D-Mark
Die 27-Jährige erinnert sich, dass beim Thema Rückkehr zur Deutschen Mark kein gemeinsamer Nenner gefunden werden konnte. Schubert meint: „Das Währungssystem hinkt an vielen Ecken, weil die Staaten sich in ihren wirtschaftlichen Leistungen einfach zu sehr unterscheiden.“ Man müsse manche Länder schlicht pleite gehen lassen, sonst würde der Euro zu stark belastet. Eine Rückführung der D-Mark kann er sich durchaus vorstellen.
Lange sieht eher die Vorteile der Währungsunion, zum Beispiel beim Reisen. Man muss eben kein Geld wechseln, was sich vor allem bei Kurztrips eh nicht lohne. „Aber natürlich würde man sich auch daran gewöhnen.“
Positive Erinnerungen an das Gespräch
Insgesamt herrscht viel Einigkeit zwischen den beiden. Oft stimmen sie sich gegenseitig zu und ergänzen ihre eigene Sichtweise. Streit gibt es und gab es wohl auch beim ersten Treffen nicht. Wenn die Berliner an das Gespräch zurückdenken, kommen „positive Erinnerungen“ auf.
„Es war ein sehr interessantes Gespräch, auch weil er beruflich das macht, was ich studiert habe“, weiß Lange noch. Schubert war überrascht: „Unsere Meinungen lagen gar nicht so weit auseinander. In ein, zwei Punkten waren wir uns zwar uneinig, haben uns aber dazu ausgetauscht und den Standpunkt des anderen angehört.“
Fake News und Populismus: Diskussionen sind wichtig
In Zeiten von alternativen Fakten, Fake News und Populismus, egal aus welcher Richtung, scheint es umso wichtiger (wieder) miteinander zu reden. Dabei geht es nicht darum, sein Gegenüber zu bekehren oder von der eigenen Meinung zu überzeugen. Man soll sich einfach auf Augenhöhe treffen, sich gegenseitig zuhören und sachlich aufeinander ein- und vielleicht sogar zugehen.
Schubert redet gern und viel. Lange hört aufmerksam zu, versucht seine Sichtweise zu verstehen. Es entsteht nicht der Eindruck, dass sich hier eine liberale Studentin gegen einen älteren AfD-Sympathisanten durchsetzen muss.
Es finden sich viele Gemeinsamkeiten
Eine Begegnung auf Augenhöhe scheint hier zu funktionieren. Beide erzählen von persönlichen Erfahrungen und wie sie sie geprägt haben. Lange hat in einem Flüchtlingsheim gearbeitet und reist viel. Schubert trifft durch seine Selbstständigkeit immer wieder neue Persönlichkeiten.
„Jemand, der aus politischen Gründen oder vor Krieg fliehen muss, hat natürlich einen Anspruch auf Schutz und Hilfe“, meint er. „Da sind wir uns einig“, ergänzt Lange. Schubert fügt hinzu: „Wenn jemand kriminell wird, versagt er diesen Anspruch.“ Er kritisiert die fehlende Trennung von Asyl und Einwanderung, kann aber verstehen, dass Menschen ihr Leben verbessern wollen: „Wer will das nicht?“ Integration sei aber ein Muss.
Schlussendlich befürworten beide den ehrlichen Austausch und empfehlen diesen jedem Menschen. Schubert schließt mit der Erkenntnis: „Wir setzen uns hier an einen Tisch und reden miteinander. Das sollten Politiker auch wieder mehr.“
Julia Heine