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Der von der Polizei abgesperrte "Dorfplatz" in der Rigaer Str. Vor der "Bäckerei 2000" lauschen bis zu 250 Menschen der Musik.
© Robert Klages
Update

Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain: Zwei Containerbrände - aber sonst bleibt es friedlich

Bewohner hatten am Dienstag zum Protest in der Rigaer Straße aufgerufen. Am Abend waren rund 250 Menschen versammelt. Die Polizei blieb sicherheitshalber die ganze Nacht.

Der Musiker trug einen Seppelhut auf dem Kopf und eine Gitarre um den Hals. Dann legte "Konny" los. Es war nicht sofort erkennbar, Akkorde und Melodie verrutschten ein wenig, aber das war..., das war doch..., ja, er sang tatsächlich "Über den Wolken" von Reinhard Mey. Wunderbar, starker Auftakt einer Demonstration gegen Gentrifizierung und zu viel Polizeipräsenz vor der eigenen Haustür.

An der Wand des bunt bemalten Hauses stand es ja, riesig, schwarz auf weiß auf einem Transparent: "Hände weg von R 94". Wer durch die Fußball-EM nur CR 7 kennt, die Chiffre von Portugals Star Cristiano Ronaldo: R 94 steht für Rigaer Straße 94. Dort zentriert sich gerade der Kampf zwischen linken, teilweise radikalen Aktivisten und der Polizei. In ganz Berlin brennen derzeit nachts Autos, in vielen Fällen eine so genannte Solidaritätsaktion für die R 94.

Es ist Dienstag, 14 Uhr, und die Geschichte hier läuft unter "Weg mit der Ohnmacht - Musik und Text für die Rigaer 94", Bewohner und Sympathisanten haben zu der Aktion aufgerufen. Aber jetzt: Reinhard Mey. Der erste Gig der Kundgebung vor dem Haus. Angemeldet ist die Veranstaltung bis 22 Uhr, und sie wird gefüllt mit viel Musik und Wortbeiträgen. Aber erstmal kommt die Musik. Nach Reinhard Mey ist Trude Herr dran. "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann", singt die nächste Künstlerin. Natürlich mit neuem Text. Sozialkritisch, versteht sich. Und doch ist das Ganze bis 16 Uhr eher ein lustiges Happening als eine aggressionsgeladene Veranstaltung. Polizisten sind nicht zu sehen, sie warten in einiger Entfernung. Und die Zuschauerzahl ist bis dahin auch noch überschaubar.

Gute Stimmung in der Rigaer Straße.
Gute Stimmung in der Rigaer Straße.
© Frank Bachner

Nach 16 Uhr füllt sich der "Dorfplatz" langsam, wie die Bewohner des Hausprojektes in der Rigaer Straße die Kreuzung vor dem Haus nennen. Auch musikalisch kommt langsam Schwung in die Sache: Mit E-Gitarren, Geigen und Lesungen wird die Kreuzung beschallt. Unter den Künstlern auch Szenegröße "Yok", der mit seinem Akkordeon aufspielt und einige klare Botschaften an die Polizeibeamten ausruft, die sich rund um die Kreuzung positioniert haben. Denn diese sollen sich verdünnisieren.

Immer, wenn ein kleiner Trupp Polizisten den "Dorfplatz" überquert, skandiert die Menge: "Bullenschweine, raus aus der Rigaer". Und das, obwohl diese nun extra die Straßen hin zur Kreuzung abgesperrt haben. Autos fahren jetzt nicht mehr durch, die Teilnehmer können auf der Straße sitzen. Neben "Yok" spielen Bands wie "Szadenersatz", "Andererseits", "Dampf in allen Gassen", "Die Diebin", "The Incredible Herrengedeck" oder "Nunofyrbeeswax" - die Namen sprechen für sich. Etwas getanzt wird dann auch noch.

Vor der Rigaer 94 werden Getränke nur in Plastikbechern ausgeschenkt - das ist so von der Polizei vorgeschrieben. Getränke in Glasflaschen gibt es in der "Bäckerei 2000", gegenüber der Rigaer 94. Hier hat sich mittlerweile eine lange Schlange gebildet. Die Kiez-Bäckerei war in der letzten Woche in den Schlagzeilen gelandet. "Hiermit erteilt die Bäckerei 2000 der Polizei Berlin bis auf weiteres Hausverbot. Dieses gilt für den Besuch der Toiletten wie den Einkauf in der Bäckerei 2000", hieß es auf einem Schild. Dieses hing gerade mal geschätzte fünf Minuten, berichtet ein Mitarbeiter der Bäckerei. Dann wären sofort Polizisten da gewesen und hätten mit Anzeigen gedroht. "Die wollten das Schild unbedingt wieder weg haben", sagt der junge Mann. Mittlerweile ist auch eine Anzeige bei der Bäckerei eingegangen. Wo die Beamten nun auf Toilette gehen, ist unbekannt - in der "Bäckerei 2000" jedenfalls nicht mehr.

Die Polizei beobachtet das Geschehen vor der Rigaer 94.
Die Polizei beobachtet das Geschehen vor der Rigaer 94.
© Robert Klages

Am frühen Abend sind dann nach Polizeiangaben rund 250 Menschen vor Ort. Friedlich bleibt es trotzdem. In den sozialen Netzwerken ist von einer Fahrraddemo mit rund 50 Teilnehmern die Rede, die vom Südstern Richtung Rigaer Straße unterwegs ist. Um 21 Uhr steht noch "Krach" auf dem Programm. Getrommelt wird auf allem, was laut ist: Schlüssel an Flaschen, Metallstangen auf Straßenschilder, Hände auf Container - dazu Trompeten und Geigen von den Balkonen der Rigaer 94.

Lyrik-Performance vor der "Rigaer 94".
Lyrik-Performance vor der "Rigaer 94".
© Robert Klages

Um kurz nach 22 Uhr ist offiziell Schluss. Berichten bei Twitter zufolge sind bis 22.50 Uhr immer noch rund 250 Menschen versammelt. Ein Polizeisprecher gibt die Zahl der übrig gebliebenen Demonstranten am Mittwochmorgen mit 100 an. Einzelne Flaschenwürfe habe es gegeben, aber ohne Folgen für die eingesetzten Beamten. Sie bleiben die Nacht über vor Ort.

Um halb zwölf gibt es dann doch noch einen Zwischenfall: Zwei Container brennen, einer in der Rigaer, einer in der Liebigstraße. Die Feuerwehr kann schnell löschen. Der große Gewaltausbruch bleibt diesmal aus.

Rund 600 Beamte in Bereitschaft

Rund 600 Beamte sind in Bereitschaft, um die Aktion in Friedrichshain zu begleiten. Nach Angaben eines Polizeisprechers sind auch Beamte aus Bayern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen am Ort. Sinnvoll wären auch Beamten aus Dresden und Leipzig gewesen.

Denn einer der Bewohner liest die Auflagen der Polizei auf sächsisch vor. Vorlesen muss er sie, aber er will das Ganze natürlich auch so weit wie möglich ironisieren. Danach redet er wieder mit breitem Berliner Dialekt. Und er spielt ausgezeichnet Geige.

"Weg mit der Ohnmacht - Musik und Text für die Rigaer 94"  heißt die Solidaritätsveranstaltung von Bewohnern und Sympathisanten.
"Weg mit der Ohnmacht - Musik und Text für die Rigaer 94" heißt die Solidaritätsveranstaltung von Bewohnern und Sympathisanten.
© Frank Bachner

Laut Polizei rechnete der Anmelder der Demonstration mit rund 500 Teilnehmern. Doch bis 16 Uhr tanzen und klatschen vielleicht mal 20 bis 30 Leute. Nachdem die Konflikte um die Rigaer Straße in den vergangenen Wochen eskaliert sind, ist die Polizei aber auf alle Eventualitäten eingestellt.

Am Vormittag waren bereits Einsatzkräfte aus Bayern am Ort und machten sich ein Bild von den dortigen Gegebenheiten.

Jede Nacht brennen Autos

Seit einem Polizeieinsatz im Haus am 22. Juni, bei dem die Beamten Bauarbeiter sichern sollten, macht die linksautonome Unterstützungsszene mobil. Beinahe jede Nacht brennen über die gesamte Stadt verteilt Autos. Gebäude werden beschmiert, Scheiben eingeschmissen.

Wie berichtet, waren unbekannte Täter auch in der Nacht zu Dienstag aktiv. Wie die Polizei mitteilte, gingen in Lichtenberg und Friedrichshain Autos in Flammen auf. Und in Spandau wurde eine Bankfiliale mit Parolen zur Rigaer Straße beschmiert.

Die Unterstützerszene wirbt für eine Großdemo

Unterdessen wirbt die linksautonome Unterstützerszene seit Tagen für eine Großdemo am Sonnabend – auch bundesweit. Bis dahin solle man aktiv sein, um „den Konflikt zu intensivieren“. Im Internet wird zu dezentralen Aktionen aufgerufen: „Wir wollen einen schwarzen Juli!“, heißt es auf der Seite der Rigaer 94. Für die Polizei wird es folglich am Sonnabend wieder einen Großeinsatz geben. Auch am Dienstag ging die politische Auseinandersetzung um ein Konzept für die Befriedung des Konflikts weiter.

Innensenator Henkel betonte erneut, dass er Verhandlungen ablehnt. „Ich halte diese Debatte für falsch und politisch gefährlich. Sie zeigt, wie weit das Koordinatensystem verschoben ist, wenn es um die Bekämpfung des Linksextremismus geht“, sagte Henkel. Man brauche dringend einen demokratischen Konsens gegen Linksextremisten, „wie es ihn gegen Rechts bereits gibt“. Würden Rechtsextreme auf Polizeieinsätze mit stadtweitem Terror reagieren, käme auch niemand auf die Idee, Verhandlungen zu fordern, sagte Henkel. „Die einzig richtige Antwort auf eine solche Situation wäre eine entschlossene Reaktion und eine deutliche Präsenz des Rechtsstaats.“

Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber empfiehlt eine Doppelstrategie

Dazu sagte der Innenexperte der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tom Schreiber, dass man natürlich nicht mit Gewalttätern verhandeln könne und werde. Da müsse man ganz klar auf Repression setzen. Andererseits gebe es genügend Spielräume, wie man mit Anwohnern und nicht gewaltbereiten Sympathisanten in den Dialog kommen und so die Situation entschärfen könne. „Man muss die Spreu vom Weizen trennen“, sagte Schreiber. Gefragt sei eine Doppelstrategie von Restriktion und Deeskalation. Dies habe sich auch bei den Einsätzen zum 1. Mai bewährt. Bei Henkel sei eine solche Strategie aber bisher nicht zu erkennen.

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