Besuch im Centre Français de Berlin: Zurück in die Zukunft
Als das Centre Français 1961 an der Müllerstraße erbaut wurde, spielte Geld keine Rolle. Gut 50 Jahre später zählt jeder Euro. Die Verantwortlichen müssen den schweren Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart schaffen. Rundgang durch eine Weddinger Institution.
Die Zeitreise beginnt schon am U-Bahnhof. Unten am Gleis empfängt die klassisch schlanke Nachkriegs-Type: „Rehberge“, aufrechte Versalien in schlichtem Schwarz. Oben am Ausgang dann der Frisörsalon Charlie, gestreifte Markise und Neon-Schreibschrift, ein Außendekor, als hätte es die letzten 50 Jahre nie gegeben.
Kaum zu glauben, dass das hier noch der Wedding ist. Fühlt sich schon ziemlich nach Reinickendorf an, nach ein bisschen Vorstadt-Idylle. Nach altem, gesetztem West-Berlin.
Und dann taucht schon der Eiffelturm auf, ein paar Hundert Meter nur die Müllerstraße herunter, die kleinere Berliner Version, mit der Trikolore obendrauf und dem kleinen deutschen Jägerzäunchen drum herum. Könnte auch gut schräg gegenüber stehen, in der Dauerkolonie Togo e.V., einer dieser typischen Laubenpieper-Anlagen mit ihren akkurat gestutzten Hecken und ihren schnurgeraden Wegen.
Hier, im Herzen des früheren französischen Teils von West-Berlin, ließ die Militärregierung Frankreichs eines von insgesamt vier deutsch-französischen Kulturzentren der Stadt erbauen, das damalige "Centre Culturel de Wedding", heute heißt es "Centre Français de Berlin", kurz CFB. „Unser Ziel ist die deutsch-französische Verständigung“, sagte General Jean Lacomme bei der Eröffnung im Dezember 1961.
2,8 Millionen D-Mark wurden bis 1961 verbaut
Ein opulenter Bau, Geld spielte keine Rolle damals für die Alliierten, die für die Zeit enorme Summe von 2,8 Millionen D-Mark kosteten am Ende der sechsstöckige Hauptbau mit vier Hotel-Etagen sowie der kleinere Anbau mit dem Kino- und Theatersaal mit 250 Plätzen, 4000 Quadratmeter Nutzfläche insgesamt, inklusive Bibliothek mit 20.000 Bänden und drei Konferenzräumen mit gewölbten Decken, indirekter Beleuchtung und Holzpanelen an den Wänden. Und im Kino-Foyer schwammen unter dem eleganten Treppenaufgang Goldfische. La vie était belle.
52 Jahre später sitzt Florian Fangmann in seinem kleinen Büro im ersten Stock. Der 32-Jährige teilt sich den Raum mit einer Kollegin. Es gibt schwarzen Tee und Kekse aus der Tupperdose. „Wir sind finanziell nicht auf Rosen gebettet“, sagt Fangmann, „aber wir tragen uns wirtschaftlich selbst.“ Getragen wird das Centre Français, eine gemeinnützige GmbH, zu gleichen Teilen von einer französischen und einer deutschen Stiftung, die Programme finanzieren der Berliner Senat und das Deutsch-Französische Jugendwerk. Es sind andere Zeiten, gänzlich andere, fast genau 20 Jahre nach dem Abzug der Alliierten aus Berlin. Geld spielt jetzt eine Rolle, eine entscheidende sogar, wenn man als Kultureinrichtung in einem riesigen, denkmalgeschützten Objekt sitzt, dessen Opulenz Fluch und Segen zugleich ist, Chance und Risiko.
An der Wand von Fangmanns Büro hängt ein Fotokalender aus dem Jahr 2011, aufgeschlagen ganzjährig im Monat Mai: Ein Blick ins Kino-Foyer des Centre Français. Man sieht die bunten Deckenlichter, die Garderobe, das Goldfischbecken, die geschwungene Treppe. Eine Aufnahme wie vom Set der TV-Serie „Mad Men“. Nicht nur mit viel Geld haben sie gebaut damals, sondern auch mit Geschmack, mit Stil, der die Zeiten überdauert.
Florian Fangmann arbeitet seit über fünf Jahren für das Centre Français, seit 2011 ist er Geschäftsführer. Eine seiner Hauptaufgaben ist es, der Vergangenheit eine Zukunft zu geben.
Ein paar Minuten später steht er in Jacke und Schal da, wo das Kalenderbild entstanden ist. Baustaub auf den Bodenfliesen und im Fischbecken, macht nichts, es hat ohnehin ein Loch. Der Theatersaal wird gerade renoviert, für knapp 700.000 Euro, bereitgestellt von Lotto, dem Bund und der französischen FEFA-Stiftung - im Mai wollen sie wiedereröffnen. Das ist der Plan, aber mal sehen.
Montag und Dienstag war der Strom weg
Jetzt, Ende Januar, Anfang Februar, sieht es aus, wie es auf Baustellen eben so aussieht – ein bisschen, als seien die Räumlichkeiten kürzlich unter Granatbeschuss geraten. Fangmann führt durch den Kinosaal, deutet auf ein Loch in der Decke, hier ist vor ein paar Tagen ein Teil der Holzverkleidung heruntergekommen - beim Versuch, die neue Lüftung zu installieren. Fangmann zuckt die Schultern, kann passieren, er deutet auf den Teppichboden, der auch noch brandfest gemacht werden muss. Eine der Auflagen von den Behörden.
Es ist ein wunderschöner, alter Saal mit großer Bühne, das sieht man auch jetzt, da er eine Baustelle ist und die Stühle ausgebaut.
Hinter der Bühne liegen die Künstlergarderoben, Fangmann dreht einen Heizkörper herunter, schüttelt ein paar Schritte weiter den Kopf, als er eine offene Außentür sieht und eine aufgedrehte Heizung daneben. Grüßt dann freundlich zwei Bauarbeiter, die vor der neuen Belüftungsanlage sitzen, kleines Päuschen, die Anlage ist ein riesiges Ungetüm aus glänzendem Metall.
Der Kampf gegen die Vergangenheit ist langwierig, und immer wieder gibt es Rückschläge. Ein Rohrbruch kann die Ersparnisse eines ganzen Jahres aufzehren. Um die Anlage hier im Hohlraum unter den ansteigenden Sitzreihen installieren zu können, mussten sie einen Teil der Wand herausbrechen, wer hat auch 1961 schon an Klimaanlagen des Jahres 2014 gedacht? Montag und Dienstag war im ganzen Haus der Strom abgestellt, erzählt Fangmann, die Transformatoren sind auch noch von anno dazumal. Unterlagen oder Baupläne sind teils nicht mehr vorhanden, das meiste haben die Franzosen beim Abzug einfach mitgenommen, genau wie den Flügel. „Keine Ahnung, wie sie den hier rausbekommen haben“, sagt Fangmann.
Jetzt müssen hier, bevor der Saal wieder zugänglich werden kann, die Sicherheitsstandards des 21. Jahrhunderts installiert werden, Belüftung, Brandschutz, neue Toiletten, et cetera. Zwischen den modernen Einbauten stehen noch die Zeugen der Vergangenheit, so wie die beiden 35-Millimeter-Projektoren, gut verhüllt in ihren Plastikbahnen, einer aus westlicher, der andere aus tschechoslowakischer Produktion, damit auch Filme aus dem Ostblock gezeigt werden konnten. Das Kino war beliebt, damals, als das hier in der Gegend noch einer der einzigen Säle war, buntes Programm, im November 1976 zum Beispiel "Z" von Costa-Gavras, eine französische Doku über die Vulkane Europas und Dirty Harry. Heute gehen die Leute lieber ins Alhambra, das riesige Multiplex an der Seestraße, nur eine U-Bahn-Stadion entfernt.
Haute Couture trifft Currywurst
Fangmann will nicht ständig das Gestern gegen das Heute aufwiegen. Es ist, wie es ist. Vielleicht klappt es mit Mai, vielleicht nicht. Aber sie arbeiten dran. Fangmann verweist lieber auf das, was sie schon geschafft haben, auf das Programm, das er mit seinen sieben Kollegen und Kolleginnen Monat für Monat auf die Beine stellt. Dazu gehören das Schüleraustauschprogramm „Voltaire“ und die Tandem-Partnerschaft Paris-Berlin, unterstützt vom Deutsch-Französischen Jugendwerk. 1.500 Jugendliche haben sie jedes Jahr zu Gast. "Haute Couture trifft Currywurst", hieß das Motto eines Projekts mit Kunststudenten, die Bilder hängen im Gang vor Florian Fangmanns Büro. Und für die Konzerte der „Fete de la Musique“ ist das Gelände des CFB seit Jahren ein fester Anlaufpunkt. Ende der 90er Jahre wurde das Objekt schon einmal teilweise saniert, das Hotel hat heute drei Sterne und eine Auslastung von 60 Prozent. Und das ohne den Standortvorteil, wie ihn beispielsweise das "Maison de France" am Ku'damm hat, das kürzlich vor der Schließung bewahrt wurde. "Klar, viel Laufkundschaft oder enorme Kaufkraft haben wir hier oben nicht", sagt Fangmann.
Französische Kochkurse für die Hausfrauen aus dem Wedding wie in den Anfangsjahren gibt es zwar nicht mehr, aber in der Brasserie de France im Erdgeschoss wird dienstags bis sonntags original französische Küche serviert, die glücklicherweise auch eher den Berliner als den Pariser Preisen angelehnt ist: Flammkuchen ab 7,40 Euro, gegrillte Merguez-Würstchen als Hauptgericht für 9,50 Euro.
Als Fangmann hier begann, 2008, waren sie nur zu zweit. Jetzt haben sie wieder acht Angestellte, teils deutsch-, teils französischsprachig. Genau wie damals, Ende 1961, als das Centre Français seine Pforten öffnete und neben Madame Duvigneau und Madame Janvier auch Mademoiselle von Erckert und Madame Krautwurst zum Mitarbeiterstab gehörten, vorgestellt mit Foto in einer doppelseitigen Broschüre, acht Frauen, kein Mann, so modern war man damals schon, im Centre Français, „74 Müllerstraße à Berlin-Wedding“.
Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.
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