Berlin-Marathon 1990: Zum Start ein Sprint durchs Brandenburger Tor
Vor 25 Jahren fand der erste Berlin-Marathon in beiden Stadthälften statt. Zwei Teilnehmer von damals sind noch immer dabei.
Den Marathon mit einem Sprint zu eröffnen, ist nicht empfehlenswert, Sportmediziner schlagen da die Hände über dem Kopf zusammen. Aber bei einem Lauf von nationaler, auch was: auf symbolischer Ebene geradezu globaler Bedeutung dürfen deren Bedenken schon mal beiseite gelassen werden.
„Wie die Wilden“ seien viele an jenem 30. September 1990 auf den ersten drei Kilometern losgestürmt, „jeder wollte als erster durch Brandenburger Tor“, erinnert sich Roland Winkler, damals ebenfalls unter den gut 26 000 Läufern und Rollstuhlfahrern des ersten Berlin-Marathons durch beide Hälften der Stadt.
Die 40 sollen voll werden
Ein historisches Rennen, die auf 42,195 Kilometern Berliner Asphalt um drei Tage vorgezogene Wiedervereinigung von West und Ost. Jahrelang waren die Läufer mit dem Rücken zum Tor gestartet, abgewendet von der alten Mitte der Stadt. Nun ging es vom Charlottenburger Tor geradewegs gen Osten und durchs Brandenburger Tor, damals ohne Quadriga, die im alkoholbeschwingten Freudentaumel der Silvesternacht 1989/90 Schaden genommen hatte und erst mal repariert werden musste. Weiter trabten die Läuferscharen die Linden, die Karl-Liebknecht-Straße und die Karl-Marx-Allee entlang, nach einigem Zickzack die Leipziger Straße hinunter, bis es am Potsdamer Platz wieder auf vertrautes WestBerliner Terrain ging.
Wie hatten sich Strecke und Szenerie doch geändert seit dem ersten Berlin-Marathon 1974. Gerade 286 Teilnehmer startete am Mommsenstadion in Westend, darunter auch der heute 73-jährige Günter Hallas, der mit einer Zeit von 2:44:53 siegte, auch 1990 dabei war und sich für morgen ebenfalls angemeldet hat – sein 38. Marathon, die 40 sollen voll werden.
Eine richtige Gänsehaut habe er bekommen
Der erste Marathon habe kaum Zuschauer angelockt, fast nur Verwandte und Bekannte der Läufer, erinnert sich Hallas. Der Lauf von 1990 dagegen: Zwar sei er nicht groß mit Läufern aus dem Osten ins Gespräch gekommen, aber die Stimmung: „Toll!“ – wenngleich die Reaktionen im Ostteil der Stadt noch nicht ganz so stark gewesen seien wie aus dem Westen gewohnt. Doch eine richtige Gänsehaut habe er bekommen, durch Mark und Bein sei es ihm gegangen, so beschreibt er seine Gefühle, als er durch Brandenburger Tor lief, für ihn „der Knüller“, sehr emotional – insgesamt sein „schönster Lauf“ und auch sein erster durchs Tor.
Damals empfingen auf dem Pariser Platz noch die letzten Grenzer die Läufer, aber auf alten Fotos sieht man ihnen deutlich an, dass sie nicht mehr wussten, was sie hier eigentlich noch verloren hätten. Für manch einen Läufer war dieser Marathon aber nicht mehr von der Euphorie des ersten Mals begleitet, blieb zwar ebenfalls ein überragendes Erlebnis, aber doch nicht als Premiere am Tor.
Illegal beim Marathon
Denn schon der Neujahrslauf 1990 hatte eine ähnlich große Teilnehmerzahl durch Berlins berühmtestes Bauwerk geführt, anders als später beim Marathon (Steve Moneghetti mit 2:08:16 Stunden und Uta Pippig mit 2:28:37 Stunden waren die Schnellsten) gab es da noch keinen eindeutigen Sieger: Vier Männer aus West-Berlin, Teltow, London und Paris waren Hand in Hand durch Ziel gelaufen, man liebte damals solche Gesten.
Roland Winkler aus Ost-Berlin, heute 68 Jahre alt, war bei beiden Läufen dabei – und auch schon illegalerweise beim Berlin-Marathon 1988. Er hatte den Besuch bei einer Tante in Nürnberg vorgeschützt, sich rechtzeitig für den Marathon angemeldet und war eben bei der Rückkehr nicht in der Friedrichstraße, sondern erst mal am Bahnhof Zoo ausgestiegen. Seine Frau, ebenfalls Läuferin, machte es im Wendejahr genauso, erst 1990 bestritten sie den Berlin-Marathon gemeinsam.
Einmal rauf, einmal runter
Winkler hatte mit zwei anderen DDR-Läufern der Initiativgruppe angehört, die mit dem Marathon-Gründer Horst Milde die Erweiterung der Strecke Richtung Osten betrieb und durchsetzte. Ein Riesenerlebnis sei dieser Vereinigungslauf natürlich gewesen, allein die Vielzahl der Nationen, die daran teilnahmen, und dann die bunten Klamotten und Schuhe: „Ein Augenschmaus. In der DDR war das nicht so bunt.“
Aber der emotionale Höhepunkt bleibt für ihn doch der Neujahrslauf. Beim morgigen Lauf wird Winkler, der 1972 knapp den Einzug ins Olympiateam der DDR verpasste, nicht als Teilnehmer dabei sein, gehört aber zum Team der Ehrenamtlichen am Start. Aus dieser Position ist er noch vor wenigen Jahren als letzter losgelaufen und hat immer noch 20 000 Läufer überholt. Diesmal will er sich schonen und lieber in zwei Wochen am Brocken-Marathon teilnehmen: Einmal rauf, einmal runter.