Christoph Niemann - Illustrator des „New Yorker“: Zuerst Manhattan, dann Berlin
Christoph Niemann ist einer der gefragtesten Illustratoren der Welt. In seinem Atelier in Berlin-Mitte gestaltet er Bilder für „The New Yorker“ und „Die Zeit“. Nun würdigt eine Ausstellung sein Werk. Und wir verlosen einen Siebdruck von ihm.
Das Geheimnis der Kreativität? Ganz einfach. Christoph Niemann hat das mal in einem Tortendiagramm dargestellt, von dem er dem Gast nach dem Besuch einen Siebdruck mit auf den Weg gibt. Darauf erläutert ein gezeichneter Wissenschaftler die Niemann’sche Erfolgsformel: 87 Prozent Anstrengung, 7,5 Prozent Glück, 0,5 Prozent „Begabung und Musenküsse“ – und fünf Prozent „90 Minuten am Stück die Finger vom Internet lassen!“
Ein großes Thema mit wenigen Strichen pointiert und selbstironisch in einem Bild zusammengefasst: So kennt man den vielfach ausgezeichneten Künstler aus dem „New Yorker“, dem „Zeit Magazin“ und der „New York Times“-Bildkolumnen-Sammlung „Abstract City“ ebenso wie aus mehreren erfolgreichen Kinderbüchern. Jetzt ehrt die gemeinnützige Stiftung Mercator den 43-jährigen Wahlberliner mit einer Ausstellung, die an diesem Mittwoch eröffnet wird.
Bundespräsident Gauck verschenkte ein Bild von Niemann an US-Präsident Obama
Das Ausstellungsthema politische Kommunikation ist für Niemann – Dreitagebart, hellbraune Hornbrille, aufmerksamer Blick – eine Herzenssache. „Ich bin ein Politik- und Nachrichten-Junkie“, sagt er beim Gespräch in seinem Atelier unweit der Torstraße in Mitte. „Meine Bilder sollen nicht nur illustrieren, sondern zum Nachdenken anregen.“ An den Wänden hängen Dutzende Beispiele, wie ihm das immer wieder gelingt. Darunter auch ein Bild, das im vergangenen Jahr um die Welt ging.
Zwei Hände sind darauf zu sehen, die aus einem Bindfaden spielerisch die Brooklyn Bridge formen. Bundespräsident Gauck schenkte US-Präsident Obama davon im vergangenen Jahr bei seinem Berlin-Besuch den Siebdruck, von Niemann nachträglich mit dem Titel „Diplomacy“ versehen – und der Zeichner war in aller Munde. In einer Mappe, die er jetzt aufblättert, finden sich viele weitere Beispiele dafür, wie er große Themen locker zu Papier bringt: Ein „New Yorker“-Cover zur Fukushima-Katastrophe, auf dem statt Kirschblüten nur Strahlenwarnzeichen leuchten; Kriegsgerät, das aus US-Steuerformularen gebastelt wurde, um zu zeigen, wohin der US-Etat fließt; US-Generäle, die auf Bildschirmen Explosionen sehen und fast den Dritten Weltkrieg ausrufen, weil sie das Feuerwerk zum US-Nationalfeiertag 4. Juli missverstehen.
Viele von Niemanns Zeichnungen offenbaren ein tiefes Verständnis von US-Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – das hat der aus Baden-Württemberg stammende Künstler sich in elf Jahren in den USA angeeignet. Dort sitzen bis heute seine wichtigsten Auftraggeber. Ihre Heimat haben er, seine Frau und die drei Söhne allerdings seit sechs Jahren in Berlin – ein Ortswechsel, der den dadurch erhofften „Energieschub“ brachte, wie er sagt: „Mit dem Berlin-Umzug habe ich beschlossen, nicht mehr nur auf Aufträge zu reagieren, sondern mehr eigene Ideen zu entwickeln.“ Seitdem nimmt er sich jede Woche einen Tag, an dem er sich trotz drängender Deadlines und vieler Aufträge eigenen Projekten widmet.
Immer wieder ist Berlin eine Inspirationsquelle
Dabei entstanden in den vergangenen sechs Jahren etliche hintergründige Bilderserien, in denen er vertraute Bilder und Alltagsgegenstände in neue Zusammenhänge bringt und damit herrliche Effekte erzielt. So wie die Muschel, die man kürzlich auf dem Titelbild des „Zeit-Magazins“ sehen konnte: Auf einem Bild wurde sie zur Badehose eines Strandbesuchers, auf dem anderen zum Sonnenhut einer Badenden. „Ich zeichne oft einfach so rum, viele Sachen entstehen zufällig“, sagt der Grafiker und zückt sein Smartphone. Darauf sind seine jüngsten „Sunday Sketches“ zu sehen, die er einmal in der Woche im Internet veröffentlicht: Ein Schlüsselbund, der mit wenigen Strichen zum Vogel wird; ein verknotetes Kopfhörerkabel, das als Moskito daherkommt; eine Avocado, die als Baseball durch die Gegend fliegt. Was so locker und leicht aussieht, ist – siehe die anfangs zitierte Formel – in Wirklichkeit natürlich harte Arbeit: „Manche Zeichnungen mache ich mehr als 30 Mal, ich nehme das als künstlerische Übung sehr ernst.“
Immer wieder dient ihm auch Berlin als Inspirationsquelle. So verarbeitet er in der Serie „Über die Mauer“ die Geschichte von Teilung und Wiedervereinigung mit geflochtenen Papiercollagen. Titelbilder der Zeitschrift „Weltkunst“, deren Chefredakteurin seine Frau Lisa Zeitz ist, zitieren historische Gemälde mit Berlin-Bezug. Und in dem für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominierten Kinderbuch „Der Kartoffelkönig“ erzählt Niemann, wie der Alte Fritz einst seinen Untertanen die Knolle schmackhaft machte – mit Kartoffeldruck-Bildern. Auch diese Idee kam zufällig: Die „New York Times“ wollte von ihm etwas zum Thema Essen. Bei einem Potsdam- Ausflug verschlug es die Familie an das Grab von Friedrich II. Dort fiel Niemann eine Handvoll Kartoffeln auf, die an Friedrichs Einsatz für die Knolle erinnern – und die man im Oeuvre des Künstlers fortan wohl als Teil der „7,5 Prozent Glück“ verbuchen darf.
Hinweis: Viele Bilder von Christoph Niemann, darunter auch käufliche Berlin-Siebdrucke, sowie seine Bücher finden sich unter www.christophniemann.com/artwork. Die Ausstellung „Unterm Strich“ in der Stiftung Mercator, Neue Promenade 6, Mitte wird am Mittwoch um 18.30 Uhr mit einem Podiumsgespräch eröffnet. Niemann diskutiert mit Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner und dem Leiter des Projektzentrums Berlin der Stiftung Mercator, Andre Wilkens, über Illustrationskunst und politische Kommunikation. Die Ausstellung läuft bis zum 12. Dezember, montags und donnerstags 14-17 Uhr. Anmeldung nötig, per E-Mail unter pzb@stiftung-mercator.de, telefonisch unter 030-200745750.
Verlosung: Wir verlosen unter unseren Lesern ein Exemplar von Christoph Niemanns Siebdruck, auf dem er das Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci von Adolph Menzel neu interpretiert. Wer an der Verlosung teilnehmen möchte, sende uns bis 5. September eine E-Mail an verlosungen@tagesspiegel.de, Stichwort "Christoph Niemann". Bitte Namen und Anschrift nicht vergessen, der Gewinner wird per Post benachrichtigt.
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