Nach der Berlin-Wahl: Zu Besuch in der FDP-Hochburg in Charlottenburg-Wilmersdorf
Zwischen Savignyplatz und Olivaer Platz hat fast jeder Vierte für die FDP gestimmt. Wie hat sie die Wähler dort überzeugt? Unterwegs im gelben Kiez.
„Als aufstrebende Metropole und Weltstadt tut eine liberale Partei Berlin gut“, sagt Herr Ranev, der seinen Vornamen lieber nicht nennen möchte. „Das ist ein positives Gegenbild zur linken Stimmung in der Stadt.“ Ranev, weißes Hemd, dunkelblaues Cordsakko, weißes Einstecktuch, arbeitet in Charlottenburg in der Immobilienbranche. Am Sonntag hat er die FDP gewählt, wie viele andere, die hier leben. Der 34-Jährige verspricht sich davon mehr Innovation und eine bessere Infrastruktur für die Stadt.
Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat die FDP ihr bestes Ergebnis eingefahren, 12,3 Prozent der Zweitstimmen gingen an sie, doppelt so viele wie durchschnittlich in der Hauptstadt. Im Kiez zwischen Savignyplatz und Olivaer Platz hat sogar fast jeder Vierte sein Kreuz bei den Liberalen gemacht, keine andere Partei bekam mehr Zweitstimmen. Warum gelang das Comeback der Liberalen ausgerechnet hier so gut?
„Die Schlüterstraße ist konservativ“
Lindenbäume säumen die Schlüterstraße, die Altbauten sehen frisch saniert aus. Ein Geschäft im Erdgeschoss wird renoviert, bald eröffnet hier ein Küchenstudio. An der Straßenecke: Weinladen und Boutiquen. Gegenüber betreibt Christoph Astagneau seit 25 Jahren einen Pressefachhandel, vor 30 Jahren kam er aus Frankreich nach Berlin. Wählen durfte er zwar die Bezirksverordnetenversammlung, in der jetzt sechs Liberale sitzen, aber nicht das Abgeordnetenhaus. Dass viele seiner Kunden für die FDP gestimmt haben, überrascht ihn nicht. „Die Schlüterstraße ist konservativ“, sagt er, „eine Schickimicki-Gegend“.
Christoph Meyer, Bezirksvorsitzender der FDP und früherer Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, spricht von einem überragenden Ergebnis. „Wir haben es geschafft, unsere klassischen Themen, vor allem im wirtschaftspolitischen Bereich, wieder in den Vordergrund zu stellen“, sagt er. Besonders die Selbstständigen und den Mittelstand habe man ansprechen wollen.
Bei Björn Kulka, Jeans, Turnschuhe, blauer Strickpullover, scheint das geglückt. Auch er hat die Liberalen gewählt. Als Architekt will er sich bald selbstständig machen. „Mir ist wichtig, dass der Mittelstand unterstützt wird und nicht nur die großen Konzerne“, sagt der 36-Jährige. Für ihn war das der ausschlaggebende Grund. Die anderen Parteien seien ihm außerdem zu ähnlich in ihren Positionen, er vermisse eine starke Opposition. Als „weltoffener, liberaler Mensch“ könne für ihn diese Rolle nur die FDP erfüllen.
FDP-Wahl als Protestwahl
Die Charlottenburger Grünen-Kandidatin Nicole Ludwig glaubt, dass das starke Ergebnis der FDP mit dem vergleichsweise schwachen Abschneiden der AfD im Bezirk zusammenhängt. „Wer hier die Nase voll von den großen Parteien hat, hat aus Protest eher FDP und nicht AfD gewählt“, sagt sie.
Und das Wahlkampfthema der Liberalen, den Flughafen Tegel erhalten? Architekt Kulka lacht. „Das war wirklich sehr wahlstrategisch“, sagt er. Am besten solle man dazu einen Bürgerentscheid durchführen. „Aber für mich war das nicht entscheidend.“ Anders sieht das eine 49-jährige FDP-Wählerin, die als Business-Coach arbeitet. „Tegel muss unbedingt erhalten bleiben“, sagt sie. „Jede andere europäische Großstadt hat auch mindestens zwei Flughäfen.“ Grünen-Kandidatin Ludwig glaubt, dass dem viele zustimmten: „Die Erhaltung des Flughafens hat wegen der Nähe besonders viele alte West-Berliner angesprochen.“
Im Kiez fehlen Parkplätze
Die Tegel-Anhängerin sagt weiter, dass ihr die Streitereien der anderen Parteien auf die Nerven gingen, nur die FDP sei nah an ihren Bedürfnissen und für klare Ziele, zum Beispiel fehle es an Parkplätzen im Kiez. Ein kommunales Thema, auf das die FDP in Charlottenburg gesetzt habe. Denn seit Jahren gibt es Streit über den Olivaer Platz. Er soll grüner werden, von den 123 Parkplätzen sollen nur 60 übrig bleiben. Zu wenig, findet die FDP im Bezirk und hat im Juli dort zum Gespräch geladen. „Es muss Schluss sein mit der ideologisch motivierten Politik“, forderten sie. Der Bezirk könne grün sein und gleichzeitig „Rücksicht auf alle Verkehrsteilnehmer“ nehmen, auch auf Autofahrer.
Bei der Wahl vor fünf Jahren hat die FDP auch in Charlottenburg-Wilmersdorf schlecht abgeschnitten, nur drei Prozent der Wähler haben für sie gestimmt. Der FDP-Bezirksvorsitzender Meyer gibt heute zu: „Wir haben unsere Wähler damals enttäuscht.“ Die Fehler während der schwarz-gelben Bundesregierung hätten sich auch auf die Abgeordnetenhauswahl ausgewirkt, „die Menschen haben uns nicht mehr geglaubt“. Das jetzige Wahlergebnis zeige: „Wir haben wieder begonnen, uns unser Vertrauen zu erarbeiten.“
Welche Stadtteile wählten AfD, welche Grün? Und wie hängt das mit der Bevölkerungsstruktur zusammen? Lesen Sie unsere interaktive Analyse!