Zum Tod des Mittbegründers der Kommune 1: Zu Besuch beim Häftling Dieter Kunzelmann
Wegen eines Eierwurfs auf Eberhard Diepgen kam Dieter Kunzelmann, Mitgründer der Kommune 1, hinter Gitter. Tagesspiegel-Reporterin Katja Füchsel hat ihn 1999 dort besucht.
Er war Revoluzzer, Politiker und Politclown: Jetzt ist Dieter Kunzelmann im Alter von 78 Jahren gestorben. Ende der 1990er Jahre musste er wegen eines Eierwurfs auf den damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ins Gefängnis. Lesen Sie hier eine Reportage über einen Besuch bei Kunzelmann in der Justizvollzugsanstalt Tegel.
Man sollte den Gefangenen mit der Nummer "0937/993" nicht reizen. Denn wenn sich der 60-Jährige ärgert, entwickelt er sportlichen Ehrgeiz. Dann zieht sich Dieter Kunzelmann "zur Arbeit" in der JVA Tegel in seine Zelle zurück und schreibt Beschwerden, Anträge, Widersprüche. Als ihm die Anstaltsleitung eine Sondersprechstunde verwehrt, weil sie "den Medienrummel nicht in die Anstalt hineintragen" will, zürnt Kunzelmann - und arrangiert ein Treffen beim Pfarrer der Anstalt. Den Geistlichen lässt er in dem Glauben, eine gute Freundin zu empfangen. Nachdem dann der Pfarrer diskret die Tür hinter sich schließt, lächelt Kunzelmann. "Und? Was wollen Sie wissen?"
Das Leben in der JVA Tegel scheint Kunzelmann nicht schlecht zu bekommen. Braungebrannt sitzt er im Pfarramt: mit grünem Kopftuch, die blauen Hosen bis zum Knie hochgekrempelt, das Hemd vor der Brust geknotet. Seine "private Kleidung" lässt er demonstrativ meistens im Schrank. "Wenn man stolz auf seine Straftat ist, sollte man auch stolz auf seine Knastkleidung sein", sagt der Polit-Clown, grinst und dreht sich eine neue Zigarette.
Frohe Ostern, Du Weihnachtsmann!
Die Straftat ist hinlänglich bekannt. "Frohe Ostern, Du Weihnachtsmann!", rief Kunzelmann, als er dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen im Amtsgericht Moabit ein Ei auf dem Kopf zerschlug. Seit gut zwei Monaten sitzt er deshalb in der JVA Tegel, wo er nach eigenem Bekunden wie ein "ganz normaler Gefangener" behandelt werden will. Auch wenn er weiß, dass er sich in einer Hinsicht von allen anderen Insassen unterscheiden dürfte: "Ich bin der Einzige, der hier nicht raus will", sagt Kunzelmann und setzt noch einen drauf. "Knast ist das pralle Leben für mich!"
Dabei hatte der Mitbegründer der Kommune 1 sich vor seiner elfmonatigen Haftstrafe lange geziert. Nach seiner Verurteilung tauchte er im September 1997 unter und schaltete im April 1998 dann seine eigene Todesanzeige. Nach 18 Monaten im schönen Italien ("gutes Essen, tolle Frauen") kehrte der totgeglaubte Kunzelmann dann nach Berlin zurück, narrte die Polizei mit verschiedenen Medienauftritten, bis sich der Gesuchte dann an seinem 60.Geburtstag selbst stellte und sich dabei wieder einmal selbst inszenierte. Nicht nur ein Dutzend Freunde, sondern auch eine Horde Kameramänner und Fotografen hatte Kunzelmann im Schlepptau, als er am 14. Juli nach einer durchzechten Nacht an das hohe Tor der Strafanstalt klopfte.
Ab in den offenen Vollzug
Eigentlich wollte die Anstaltsleitung den Neuzugang mit der Nummer "0937/993" schon nach wenigen Tagen in den offenen Vollzug nach Düppel verlegen. Der Ex-Kommunarde lehnte aber ab. Weil er sich diese "psychologische Belastung" nicht antun wolle, weil er den "differenzierten Strafvollzug" grundsätzlich ablehne, weil nur so die Unverhältnismäßigkeit der Strafe "weiter zum Himmel stinke" und überhaupt: "Ich fürchte, im offenen Vollzug irgendwann verspätet zurück zu kommen, denn wenn ich mit einer Frau im Bett liege, weigere ich mich, auf eine Uhr zu schauen!" kritzelt Kunzelmann als Anmerkung auf ein Schreiben des Teilanstaltsleiters. "Kopie der Kopie. Kommentierte Fassung", steht darauf.
Revoluzzer mit Affinität zur Bürokratie
In den offenen Vollzug will er nicht, in den Urlaub darf er nicht. Also verbringt Kunzelmann seine Tage im "Haus 2" der Anstalt, gemeinsam mit verurteilten Schutzgelderpressern, Zuhältern und Sexualstraftätern. Kunzelmann sagt, dass er aufgrund seines ungebührlichen Verhaltens gegenüber der Polizei und Justiz bei den Mitinsassen "zweifellos bestimmte Sympathien genieße". "Grundsätzlich eint uns aber das gemeinsame Vorgehen gegen die Schikanen im Vollzug", sagt Kunzelmann, der offenbar in der JVA für die anderen Insassen eine Mischung aus Schreibbüro und Kanzlei betreibt. Denn im Gefängnis, schimpft der 60-Jährige, müsse man sich "wegen jedem Pipifax" an den Schreibtisch setzen. "Wenn für mich eine Unterhose eingebracht wird, muss ich schreiben: Ich beantrage Genehmigung und Aushändigung!"
Affinität zur Bürokratie
Dass in dem Herz des Revoluzzers auch eine Affinität zur Bürokratie schlägt, trat zum ersten Mal zutage, als Kunzelmann in den 80er Jahren für die Alternative Liste ins Abgeordnetenhaus zog. Ausgerechnet er, der Anarchist und Erfinder des Pudding-Attentats, machte sich bei der AL als Geschäftsordnungsspezialist einen Namen. Dass er sich als Abgeordneter außerdem für den "humanen Strafvollzug" stark machte, mag seiner Vergangenheit geschuldet sein: 1970 bis 1975 saß Kunzelmann schon einmal wegen Brandanschlägen ein. Überwältigende Wirkung hat sein Engagement als Abgeordneter offenbar nicht gezeigt: "Die Situation hat sich in den Strafanstalten während der letzten 25 Jahren eher verschlechtert", sagt Kunzelmann düster.
Seit sich die Gefängnistore hinter ihm geschlossen haben, bestimmt der Stundenplan der Anstalt den Tag des Polit-Clowns: 6 Uhr 30 steht morgens "die Lebendkontrolle" auf dem Programm des Wachpersonals, um 7.30 Uhr dann der sogenannte Aufschluss. Von halb neun bis halb zehn spielt der ehemalige bayerische Jugendmeister Tischtennis, um zehn Uhr setzt er sich in der verschlossenen Zelle an den Schreibtisch, 11.15 Uhr gibt es Mittagessen, ab 11.45 Uhr macht Kunzelmann "Siesta", geht dann an den Schreibtisch, 15.10 Uhr wird das Abendbrot ausgegeben, 15.20 Uhr beginnt die Freistunde, 16.45 Uhr Einschluss...
Ärger über die Tischtennisplatte
Das frühe Aufstehen kann das "Nachtlicht" Kunzelmann noch verkraften, viel mehr stören ihn die Verhältnisse beim Tischtennis. Auf einer Steinplatte müsse er spielen! Unter freiem Himmel! Mit einem ganz billigen Schläger! "Das ist der ultimative Alptraum eines Tischtennisspielers", stöhnt Kunzelmann. Einem Bekannten hat er deshalb die Bestellung schon auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ein Auszug: "Pass ma' uff - äh! Der Verleger hat meinen gesamten Knastrucksack leer - leer! - hat er ihn hergebracht, verstehste; und da ist mein Tischtennisschläger drin gewesen - von den ganzen andern Sachen abgesehen. Ich bin so sauer - verstehst Du - auf den. (...) Jetzt würd' ich Dich um Folgendes bitten, dass Du morgen oder am Samstag mir einen Noppengummitischtennisschläger kaufst; einen schönen, gut in der Hand liegenden Noppengummitischtennisschläger, zwei schöne Sporthosen und dann bräucht ich noch drei leere Aktenordner mit Zwischenblättern, Nummernregister..."
Dass der Anruf in der "FAZ" im Wortlaut veröffentlicht wurde, ist Kunzelmann neu. Doch es ist nicht die Indiskretion des Bekannten, die den Mann im Pfarramt ärgert: "Ich habe den Tischtennisschläger noch immer nicht!"