Demonstrationen in zahlreichen Städten: Zehntausende protestieren bundesweit gegen Corona-Maßnahmen
Bei Corona-Protesten gibt es teilweise Ausschreitungen und Gegendemonstrationen. In Berlin skandieren Demonstranten „Lügenpresse“ vor dem ZDF-Hauptstadtstudio.
Am Montagabend haben erneut zehntausende Menschen in der gesamten Bundesrepublik gegen die geltenden Corona-Maßnahmen und eine drohende Impfpflicht demonstriert – oft bei nicht genehmigten sogenannten Spaziergängen, die die Teilnehmer über den Messengerdienst Telegram koordiniert haben. Dabei kam es in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen zu Ausschreitungen gegenüber Einsatzkräften und Beamten. Vielerorts gab es zahlreiche Aufzüge von Gegendemonstrationen.
Der Trend der sogenannten dezentralen Mobilisierung von Maßnahmengegnern und Verschwörungsideologen hält an. Das Kalkül dahinter: Statt Großdemonstrationen in Metropolen anzumelden, wird zur selben Uhrzeit am selben Tag überall in Deutschland demonstriert. Ein Großteil der Versammlungen ist unangemeldet, doch die Polizei kann nicht überall gleichzeitig mit der erforderlichen Anzahl an Kräften sein.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Als bundesweiter Vorreiter des Modells gelten die rechtsextremen „Freien Sachsen“, die bereits im November zu über 70 parallel stattfindenden Versammlungen an Montagabenden im Freistaat aufriefen. Auch am Montag wurden zahlreiche nicht genehmigte Proteste in Sachsen von der Polizei unterbunden.
Ein Polizist erlitt eine Bissverletzung
In Freiberg im Erzgebirge durchbrachen Demonstranten Polizeiketten und lieferten sich Auseinandersetzungen mit Beamten. Im sächsischen Lichtenstein wurden laut Polizei Beamte attackiert. Demnach hatten sich in einen Pulk von etwa 200 Demonstranten etwa 60 gewaltbereite junge Leute gemischt. Insgesamt seien 14 Beamte verletzt worden. „Eine Person versuchte, einem Beamten die Dienstwaffe zu entreißen und ein Polizist erlitt eine Bissverletzung durch einen Teilnehmer der Versammlung“, teilte die Polizei weiter mit.
Allein in Bautzen kamen laut Polizeiangaben bis zu 1000 Menschen zusammen. In der ostsächsischen Stadt, in der eine Woche zuvor zwölf Polizisten im Einsatz verletzt wurden, hatten sich zwei Demonstrationszüge formiert. Wie ein Polizeisprecher auf Anfrage mitteilte, konnten beide Aufzüge gestoppt werden. Die Lage sei übersichtlich geblieben, hieß es. Vereinzelt waren Böller zu hören.
In Sachsen-Anhalt folgten ebenfalls tausende Impfgegner den bei Telegram verbreiteten Aufrufen. Am Montagabend fanden auch in Magdeburg Proteste statt, bei denen mehrere Polizisten durch Demonstranten körperlich attackiert wurden. Die Polizeiinspektion sprach von durchbrochenen Polizeiketten, Flaschenwürfen auf Beamte und Pyrotechnik. Nach ersten Erkenntnissen wurden aber keine Polizisten verletzt. In der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt hatten sich laut Polizei etwa 2500 Menschen versammelt. Die Versammlung sei wie die meisten im Gebiet der Polizeiinspektion nicht angezeigt gewesen.
„Die Presse soll zum Schweigen gebracht werden“
Auch in Berlin gingen am Abend hunderte Menschen auf die Straße – in allen zwölf Berliner Bezirken. Die Demonstranten koordinieren sich über lokale Telegram-Gruppen, die für jeden Stadtteil zu finden sind. Die größten Versammlungen fanden nach Tagesspiegel-Informationen am Montagabend in Tegel und Pankow statt, wo jeweils etwa 600 bis 400 Menschen auf die Straße gingen.
In Marzahn, Köpenick und Schöneberg waren ebenfalls hunderte Menschen auf der Straße. Ein unangemeldeter Demonstrationszug vom Rathaus Schöneberg zum Nollendorfplatz wurde von Polizisten am Winterfeldtplatz teilweise gestoppt, auch in der Altstadt Spandau setzte die Polizei einzelne Demonstranten fest.
In Mitte begann um 18:30 Uhr ein Demonstrationszug vom Alexanderplatz zum ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden, der die zweite Woche infolge vom Berliner Rechtspopulisten Eric Graziani der rechtsextremen Gruppierung „Patriotic Opposition Europe“ angemeldet wurde und sich ebenfalls gegen die Corona-Politik richtete. Während die ZDF-Dependance von einer Polizeikette geschützt wurde, skandierten die etwa 200 Demonstranten „Lügenpresse“ und „Ihr seid Schuld“.
Anmelder Graziani wünschte sich in einer Rede vor dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebäude, dass „die Presse zum Schweigen gebracht wird“. Im Nebensatz fügte der Rechtspopulist hinzu: „Natürlich friedlich.“
Stadtweit fanden gleichzeitig Gegenproteste gegen die Aufmärsche statt. Am Rathaus Pankow demonstrierten die sogenannten „Omas gegen Rechts“, vor dem Rathaus Neukölln die Initiative „Geradedenken“, die sich via Twitter über polizeiliche Platzverweise für ihre Unterstützer beklagte, während knapp hundert Corona-Demonstranten unangemeldet, aber angeblich von der Polizei unbehelligt, über die Sonnenallee zum Hermannplatz laufen konnten.
Die Berliner Polizei war am Abend nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Auch an der Prenzlauer-Berger Gethsemanekirche fand erneut ein Gegenprotest von Anwohnern und Gemeindemitgliedern statt, die sich die dritte Woche hintereinander gegen die Instrumentalisierung der Friedlichen Revolution durch Querdenken-Demonstranten vor dem historischen Gotteshaus wehrten.
Während sich vor wenigen Wochen noch über hundert Maßnahmengegner vor der Kirche versammelten, gelang es den Anwohnern durch den Gegenprotest offenbar, größere Ansammlungen des Querdenken-Klientels im neuen Jahr in der Stargarder Straße zu verhindern.
Auch in Brandenburg gab es in dutzenden Orten meist unangemeldete Versammlungen. Der größte Protest konnte sich in Cottbus trotz Verbots mit über tausend Menschen durch die Innenstadt in Bewegung setzen. Vielerorts waren Gegenaktionen angekündigt. In Potsdam hatte am Montag das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ aufgerufen, den Gegnern der Corona-Maßnahmen nicht die Stadt zu überlassen.
[Lesen Sie auch: Tausende bei Corona-Protesten in Cottbus – Polizei spricht von einem „unangemeldeten Spaziergang“ (T+)]
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte auf einer Kundgebung, die Menschen machten mit ihrer Anwesenheit deutlich, dass es nicht nur den Protest gegen die aktuellen Maßnahmen gebe. Das Miteinander auf einer angemeldeten Demonstration zeige, dass es möglich sei, seine Meinung zu äußern, ohne gegen Regeln oder Gesetze zu verstoßen.
17.000 Menschen protestieren in Thüringen
Mehr als 17.000 Menschen beteiligten sich laut Polizei in Thüringen an unangemeldeten Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen. Die Landespolizeidirektion ging davon aus, dass diese Zahl im Laufe des Abends noch fünfstellig wird. Es kam teils zu Rangeleien, „aggressiven Auftreten“ einiger Demonstranten und „verbalen Attacken“ zwischen zwei Gruppen. In Erfurt setzten die Beamten deshalb Pfefferspray ein.
In Weimar mussten sie zwei Lager voneinander trennen, als etwa 20 Menschen versuchten, einen Aufzug aus etwa 150 Personen zu stoppen. Die meisten Teilnehmer habe man in Gera gezählt - rund 2000. In Altenburg und Saalfeld kamen nach Schätzungen der Polizei jeweils etwa 1000 Demonstranten, in Nordhausen 500. Es handelte sich in allen Fällen um sogenannte Spaziergänge - also keine angemeldeten Versammlungen.
In Mecklenburg-Vorpommern beteiligten sich nach Angaben eines Polizeisprechers insgesamt knapp 12.000 Menschen in mehr als 20 Städten an angemeldeten Lichterspaziergängen, Kundgebungen sowie nicht angemeldeten Schweigemärschen - etwas 3000 Menschen weniger als vor einer Woche. Vereinzelt kam es zu Gegenkundgebungen - nennenswerte Zwischenfälle gab es laut Polizei nach ersten Erkenntnissen nicht. In Rostock registrierten die Sicherheitskräfte rund 4000 Protestierende, in Schwerin zogen rund 2000 Menschen durch die Stadt, in Neubrandenburg rund 1800.
In der Landeshauptstadt Schwerin kamen den Angaben zufolge etwa 1600 Menschen zusammen, auf dem Greifswalder Marktplatz mehrere Hundert. An der Mecklenburgischen Seenplatte versammelten sich nach ersten Schätzungen der Polizei gut 2000 Demonstranten. In Greifswald stand den Kritikern der Corona-Maßnahmen eine große Gruppe von Gegendemonstranten gegenüber.
Aktuell beliebt auf Tagesspiegel-Plus:
- Neue Diskussion über Schulschließungen - Wenn das Schicksal der Schüler nicht allzu sehr am Herzen liegt
- Abrechnung mit dem Wechselmodell - „Der Papa wollte nicht hören, wie schlecht es der Mama geht“
- Weiß, mittelalt, mittelgroß und heterosexuell - Und welche identitätspolitische Gruppe nimmt mich auf?
In bayerischen Städten und Gemeinden versammelten sich etwa 10.000 Menschen zu sogenannten Montagsspaziergängen als Zeichen des Protests. Dabei blieb es größtenteils friedlich. In Nürnberg demonstrierten rund 4200 Menschen gegen die Corona-Politik - deutlich mehr als erwartet. In Bamberg trafen sich laut Polizei rund 2150 Menschen zu einem angemeldeten „Spaziergang“. Viele Städte hatten nicht ortsfeste Kundgebungen verboten und den Teilnehmern unangemeldeter Demonstrationen Bußgelder angedroht.
Mehrere tausend Menschen demonstrierten auch in Baden-Württemberg gegen die Corona-Maßnahmen. In Friedrichshafen hätten sich am Montagabend rund 2000 Teilnehmer zu einem sogenannten Spaziergang versammelt, teilte ein Polizeisprecher mit. Die Teilnehmer hätten sich spontan in sozialen Netzwerken verabredet. In Mannheim, Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis zählte die Polizei insgesamt rund 2000 Demonstranten.
Die Polizei in Fulda (Hessen) löste am Abend eine Ansammlung von Gegnern der aktuellen Corona-Maßnahmen auf. Dabei habe ein Versammlungsteilnehmer die Einsatzkräfte angegriffen, sagte ein Polizeisprecher. Die Beamten hätten Pfefferspray eingesetzt, die Person sei festgenommen worden. Die Versammlung wurde laut Polizei aufgelöst, da keine Masken getragen und keine Abstände eingehalten wurden. Außerdem habe es keinen Versammlungsleiter gegeben. Auch in anderen hessischen Städten gingen am Abend Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren - etwa in Frankfurt, Kassel oder Gießen.
Die Polizeiinspektion in Nienburg und Schaumburg in Niedersachsen meldete insgesamt 1000 Demonstranten, die sich auf die beiden Landkreise verteilten. In weiteren Städten des Bundeslandes wie in Braunschweig zählte die Polizei rund 1100 Menschen auf den Straßen. (mit dpa)