Corona-Raser nutzen leere Straßen: Zahl der illegalen Autorennen in Berlin nimmt drastisch zu
Fast einhundert illegale Autorennen zählte die Polizei im April. Die Beamten gehen rigoros dagegen vor. Bisher schreckt das aber nur wenige ab.
Gelegenheit macht Raser: Die Zahl der illegalen Autorennen in Berlin hat dramatisch zugenommen, seit es auf den Straßen coronabedingt leerer ist: Insgesamt 98 Strafverfahren wegen Raserei gingen laut Justizverwaltung im April bei Amts- und Staatsanwaltschaft ein – 60 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Allein in der Woche nach Ostern waren es in vier Tagen 32 Fälle. Zum Vergleich: Fürs gesamte Jahr 2019 meldete die Polizei 392 Ermittlungsverfahren. 46 registrierte Rennen endeten mit Unfällen.
„Seit etwa drei Wochen sind die Zahlen am Explodieren“, bestätigt Andreas Winkelmann, Abteilungsleiter bei der Amtsanwaltschaft. „Es sind viele schwere Fälle dabei“: extreme Raserei alkoholisierter Fahrer, Stechen ohne Rücksicht auf Verluste und auffällig viele Fluchten vor Polizeikontrollen, die seit Einführung des „Raserparagrafen“ im Oktober 2017 ebenfalls als illegale Rennen zählen – und damit als Straftaten, auf die bis zu zwei Jahre Haft und hohe Geldstrafen stehen.
Der Polizeiwagen bleibt nur mit Mühe dran
Am Maifeiertag meldete die Polizei einen Fall aus Gesundbrunnen: Ein 20-jähriger VW-Fahrer ohne Fahrerlaubnis war um 2 Uhr in der Nacht zuvor der Polizei davongerast. Die Flucht endete an einer Hauswand.
„Wir haben jede Woche einen neuen Knaller“, sagt Oberamtsanwalt Winkelmann und nennt aktuelle Beispiele: Auf der nächtlichen Stadtautobahn in Schöneberg donnern zwei Mercedes an einer Zivilstreife vorbei. Bei Tempo 185 hindern sie sich durch wilde Spurwechsel gegenseitig am Überholen; die Polizisten im Videowagen können nur mit Mühe dranbleiben. Einen der Raser können sie stoppen, sein Mercedes wird beschlagnahmt.
Wenige Tage zuvor starten zwei aufgemotzte VW Golf von einer Tankstelle an der Dominicusstraße. Nach kurzer Vollgasfahrt kracht einer ins Auto eines Unbeteiligten, der verletzt wird. Der andere Golf rast davon; Winkelmann ist optimistisch, auch dessen Fahrer zu ermitteln.
Auf der A 113 duellieren sich vor zwei Wochen die Fahrer eines BMW und eines Mercedes sogar nachmittags – bis der Mercedes an der Ausfahrt Stubenrauchstraße in den Renault einer 51-Jährigen knallt, die an der Ampel wartet. Die Frau wird schwer verletzt. Aus dem Datenspeicher des Tatautos weiß Winkelmann, dass es mehr als 160 km/h schnell fuhr.
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Bei der Polizei heißt es, dass praktisch alle anderen Verkehrsdelikte sowie die Unfallzahlen seit Corona rückläufig seien. Die Zunahme der registrierten Rennen habe wohl mit den leereren Straßen zu tun, aber auch mit rigorosem Einschreiten der Beamten. Ein Abschreckungseffekt sei bisher nicht erkennbar.
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Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) erklärte am Freitag: „Raser gefährden Menschenleben. Deshalb werden sie sich für ihr unverantwortliches Verhalten auch in Zeiten von Corona verantworten müssen.“ Andreas Winkelmann, auf dessen Tisch das Gros der Fälle landet, sagt: „Wir dürfen jetzt nicht nachlassen.“ Er nehme sich zurzeit viel Arbeit mit nach Hause.
Bald bekomme er zwei neue Kollegen, die er dringend gebrauchen könne, zumal viele Verfahren in die zweite Instanz gehen – wie das eines Tesla-Fahrers, der Tempo 200 fuhr. Sowohl Winkelmann als auch die Verteidigung haben gegen die Strafe von 17 500 Euro (70 Tagessätze à 250 Euro) Berufung eingelegt.
Die meisten Raser sind nach Auskunft von Winkelmann männlich, jünger als 30 und haben ausländische Wurzeln. Täterinnen seien die Ausnahme. Wie jene Frau, die gegen ihren Freund – sie in seinem Auto, er im Leihwagen – antrat und dabei deutlich rabiater gerast sei als er. Für die Polizei machte das keinen Unterschied: Sie kassierte beide Führerscheine und Autos ein.