zum Hauptinhalt
Vater des Wortwettbewerbs. Wolf Hogekamp hat 1994 den ersten Poetry Slam in Berlin organisiert.
© Imago

20 Jahre Poetry Slam in Deutschland: Wolf Hogekamp: Vater des Wortwettbewerbs

Vor 20 Jahren fand Deutschlands erster Poetry Slam in Schöneberg statt. Erfinder Wolf Hogekamp hat bis heute nicht die Lust verloren.

Die Sache mit den Chipstüten war ein wenig problematisch, aber so war das eben damals in den 90ern. Da stellte sich jemand auf die Bühne und las einfach, was hinten draufstand. Punkt. Applaus. Wolf Hogekamp lacht. „Es hat sogar jemand aus Otto-Katalogen vorgelesen“, sagt er. Improvisation, Experiment, Ironie, darauf kam es schließlich an. „Die ersten Texte haben sich die Leute auf dem Weg in der S-Bahn ausgedacht“, sagt Hogekamp. Da hat sich ein bisschen was geändert in den vergangenen 20 Jahren. Heute gibt es 110 Poetry Slams in Deutschland, allein 15 davon regelmäßig in Berlin.

Wolf Hogekamp ist Mister Poetry- Slam. Wer weiß, ob sich die Szene ohne ihn so entwickelt hätte. 1994 startete der Mann, der sein Alter nur vage mit „Mitte 50“ benannt haben möchte, die erste offene Bühne für die freie Dichtkunst im „Ex ’n’ Pop“ in Schöneberg. Ein paar Amerikaner hatten ihm von dem Trend aus Chicago erzählt. In Chicago war das Prinzip des Poetry Slams Ende der 80er Jahre entstanden, erklärten die Amis ihm, und das geht so: Jeder Dichter hat fünf Minuten Zeit für einen Text, das Publikum wählt per Applaus einen Sieger. Mehr Regeln gibt es nicht. Das Ergebnis: Leute stehen auf der Bühne und berichten von ihrem Alltag, in Reimform oder nicht, meist pointiert. Eine Erfolgsgeschichte. Zum 20. Jubiläum lädt Wolf Hogekamp am Freitagabend zehn Dichter zum verbalen Schlagabtausch in die Volksbühne.

„Die Texte waren am Anfang noch sehr experimentell und kaum durchdacht“, erinnert sich Hogekamp. Anfangs war er der Einzige, der auf Deutsch vorgetragen hat. Die anderen Dichter im „Exit ’n’ Pop“ kamen alle aus Amerika und hatten den Deutschen etwas voraus. „Die hatten kein Problem damit, auf der Bühne zu stehen, die haben ja auch Performance als Fach in der Schule“, sagt Hogekamp.

Früher wurde öfter dazwischen gerufen

Die Themen der ersten Tage waren so undefinierbar wie heute: Vom Einkaufen im Supermarkt bis zu politischen Ansprachen reichte die Palette. Früher sei öfter dazwischengerufen worden, meint Hogekamp, heute sei das Publikum viel ruhiger. Wahrscheinlich auch, weil die Texte einfach besser geworden sind.

Schnell hatten die Veranstaltungen im Tresor und in der alten Maria am Ostbahnhof 200 bis 300 Zuschauer. Immer mehr Leute wollten auf die Bühne, die meisten waren Studenten.

Selbst beim Bastard-Slam im Ritter Butzke – auch von Hogekamp gegründet – sitzt das Publikum ordentlich und ist ruhig. Erst stilles Lauschen, dann Techno: „Die Leute sind zwei Stunden konzentriert, dann gibt es Redebedarf. Man will sich ausschütteln“, sagt Hogekamp. Bis heute fasziniert ihn vor allem die Vielfalt der Beiträge. „Musiker üben trocken ihre Texte, Hip-Hopper rappen und Studenten philosophieren“, sagt er. Im Prinzip kann jeder auftreten, der sich traut und, wie es Hogekamp ausdrückt, eine Rampensau ist. Die U-20-Szene sei momentan stark im Kommen, viele stehen schnell auf den Bühnen der großen Poetry Slams, des Inselslam in Treptow und des Kreuzbergslam im Lido, der von Känguru-Erzähler Marc-Uwe Kling gegründet wurde. Normalerweise dichten die Nachwuchstexter im Grips Podewil. Für das Jubiläum am Freitag hat Wolf Hogekamp zehn erfahrene Poetry Slamer in die Volksbühne eingeladen. „Ein guter Querschnitt mit verschiedenen Typen“, sagt er. Unter anderen treten Volker Strübing, Sebastian 23, Ken Yamamoto, Bas Böttcher, Theresa Hahl, Julian Heun, Julius Fischer und Frank Klötgen auf.

20 Jahre Poetry Slam, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Linienstraße 227, Mitte, Beginn 20 Uhr, Eintritt 14 Euro. www.volksbuehne-berlin.de

Simon Grothe

Zur Startseite