Wohnungsbau in Berlin: Wohnen auf der Weide
Zehntausende Wohnungen sollen in den kommenden Jahren in der Stadt entstehen. Nicht nur an prominenten Orten wie dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, sondern an den Stadträndern. Ein Besuch in vier Vierteln, die vor Veränderungen stehen.
Lichterfelde-Süd
Ein paar Schritte vom S-Bahnhof Lichterfelde-Süd entfernt werden Erinnerungen wach an die frühere Nutzung des Areals. „Dieses Gelände wird von zwei Schrotflinten bewacht“ steht auf einem Schild hinter einem verschlossenen Gittertor und daneben steht ein bewaffneter Pappsoldat. Seit 1953 betrieb die US-Berlin-Brigade zwischen Bahngelände, Osdorfer Straße und Zonengrenze ihren Truppungsübungsplatz „Parks Range“. Dazu gehörte auch die inzwischen abgerissene Geisterstadt „Doughboy City“, wo zwischen Rathaus, Kirche und einem originalgetreu nachgebauten U-Bahnhof der Häuserkampf trainiert wurde. Heute haben es die 6000 Bewohner der ab 1968 errichteten Thermometersiedlung leiser. In der zum Teil nur der BVG vorbehaltenen Reaumurstraße gibt es keinen Durchgangsverkehr, nur ein paar Kfz-Werkstätten und ein Pferdehof befinden sich am Südrand des seit 1994 brachliegenden, nach wie vor eingezäunten Geländes.
Was ist geplant?
Nach mehreren Besitzerwechseln gehört das 100 Hektar große Gesamtareal seit 2013 der Groth-Gruppe. Konsens besteht mit dem Bezirk, dass 60 Prozent des Geländes in Form eines Landschaftsparks unbebaut bleiben. Bis zu 3000 Wohnungen sieht der Stadtentwicklungsplan vor. Norbert Schmidt (CDU), Stadtrat für Soziales und Stadtentwicklung in Steglitz-Zehlendorf, geht von 2200 bis 2700 aus, die ab 2015 entlang der Osdorfer Straße sowie S-Bahntrasse errichtet werden könnten. Eine gemeinsame Absichtserklärung haben Bezirk und Investor Klaus Groth bereits unterzeichnet, danach soll die Mindestgröße der Wohnungen 76 Quadratmeter betragen. In welchem Umfang Kitas und auch eine weitere Schule benötigt werden, hängt davon ab, wie viele Wohnungen tatsächlich realisiert werden, so Schmidt. Das soll ebenso wie die verkehrliche Erschließung über einen städtebaulichen Vertrag mit der Groth-Gruppe geregelt werden.
Was sagen Anwohner?
Wichtig ist eine sozialverträgliche Stadtentwicklung, sagt Jürgen Bischof vom Verein „BUS-STOP“, der den Kinder-, Jugend- und Familienstützpunkt in der Thermometersiedlung betreibt. Er begrüßt, dass Investor Groth bereits vor Ort den Kontakt suchte. An Erholungsflächen mangele es den Anwohnern nicht, die hätten sie bereits heute „von der Landesgrenze bis zum Berliner Ring“ gleich vor der Tür. Was benötigt wird, sind Spiel- und Aufenthaltsräume für Kinder und Jugendliche, vorhandene Spielplätze wurden wegen Lärmbeschwerden von Anwohnern geschlossen. Groß sei auch der Bedarf an kleineren, bezahlbaren Wohnungen. Für viele ALG-II-Empfänger in der Siedlung seien die vorhandenen Wohnungen nach dem Auszug der Kinder wegen der hohen Mieten nicht mehr zu halten.
Wasserstadt Spandau
Einsam erheben sich die acht Reihenhäuser der einst als zukunftsweisend gepriesenen „Berlin Terraces“ an der Schwielowseestraße. Die umliegenden Freiflächen werden von exakt ausgerichteten Straßen mit Gehsteig und Laternen durchzogen. Die Zufahrten sind mit Gitterzäunen gesperrt, denn hier wohnt bisher niemand. Alle paar Minuten donnert ein Jet über die Dächer. Dennoch entsteht in der Hoffnung auf eine Schließung des Flughafens Tegel ein paar 100 Meter landeinwärts ein Einfamilienhaus nach dem anderen. Dagegen liegt das Baufeld am Havelufer seit Jahren brach. Ein Opfer vom Rückzug des Senats aus den Entwicklungsgebieten und der Auflösung der Planungsgesellschaft 2007, da war die auf gelegenen Industriebrachen geplante Wasserstadt Spandau erst in Teilen realisiert. Besonders am Haselhorster Salzhof geht es seitdem nur langsam voran. Läden gibt es hier noch immer nicht, Busse verkehren zum U-Bahnhof Haselhorst und zum S-Bahnhof Messe-Nord.
Was ist geplant?
Jetzt soll die Wasserstadt einen neuen Aufschwung nehmen, bis zu 2300 zusätzliche Wohneinheiten sieht der Stadtentwicklungsplan hier vor. Das sind deutlich weniger, als es einmal werden sollten, sagt Baustadtrat Carsten-Michael Röding (CDU). Eine Realisierung ist kurzfristig möglich, denn man kann sich auf die alten Bebauungspläne stützen. Anfragen von Investoren liegen vor, doch hat die Diskussion über eine Offenhaltung von Tegel für Verunsicherung gesorgt.
Was sagen die Anwohner?
Das „Berlin Terrace“-Reihenhaus mit der Garage im Erdgeschoss hat Frieder Schubert vor vier Jahren zum Schnäppchenpreis erworben. Jetzt genießt er mit seiner Familie die nur vom Fluglärm getrübte Ruhe und den Blick auf die Havel. Insofern empfindet man es nicht als Nachteil, bisher allein auf der grünen Wiese zu leben. Wenn jetzt in der Nachbarschaft Häuserblöcke mit mehr als 2000 Wohnungen entstehen, sei es wichtig, dass bei den Bewohnern auf eine gesunde soziale Mischung geachtet wird, um Probleme wie in anderen Teilen der Wasserstadt zu vermeiden, sagt Schubert. Dass er selbst zum Brötchenholen erst über eine der beiden Brücken zum anderen Ufer laufen muss, stört ihn nicht. Das Familienkanu ist nach wenigen Schritten zu Wasser gelassen.
Buch
Die letzten erhaltenen Ställe sind längst überwuchert und mit Graffiti überzogen. Die Viehhaltung musste aufgegeben werden, als in Buch das Regierungskrankenhaus der DDR gebaut wurde. Die Patienten sollten nicht von Gerüchen belästigt werden. Die Plattenbauten, in denen einst die Krankenschwestern lebten, sind die einzigen größeren Wohnhäuser an der Straße, die ins Nichts führt. Auch der Sportplatz wurde geschlossen, verrottete Schilder weisen das Gelände als Privateigentum der Stadtentwicklungsgesellschaft Buch aus, heute eine Tochter der GSW. Längst hat die Natur das ehemalige Rieselfeldareal zurückerobert, rund um die sogenannte Moorlinse haben sich seltene Amphibien und Vögel angesiedelt.
Was ist geplant?
Der Stadtentwicklungsplan weist hier eines der größten möglichen Neubaugebiete aus. 3150 Wohneinheiten könnten demnach hier errichtet werden. Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) ist skeptisch: Die Moorlinse sei ein in den letzten 20 Jahren gewachsenes Naturschutzgebiet und Buch ein „momentan noch nicht wirklich nachgefragter Ortsteil“. Stattdessen setzt man in Pankow auf eine vorrangige Entwicklung der innerstädtischen Bereiche. Kirchner verweist auf die ehemaligen Güterbahnhöfe Pankow und Greifswalder Straße sowie Brachflächen ehemaliger Gärtnereien. Ohnehin boomt der Wohnungsbau in Pankow. Geht es weiter wie bisher, kommt der Bezirk 2030 auf 510 000 Einwohner – 50 000 mehr als die Senatsprognose.
Was sagen Anwohner?
„Ich bin hier geboren, ich möchte nicht woanders hin“, sagt Freddy Klein. Er lebt seit mehr als 50 Jahren hier, hat die Landwirtschaft ebenso erlebt wie Stasi-Kontrollen am Krankenhaus und die Wende. Der Mann schwärmt von der Idylle mit Rehen und Wildschweinen. Dennoch sind es nur drei Minuten sind es zum S-Bahnhof Buch. „Wenn hier gebaut wird ist es mit der Ruhe vorbei.“ Das Biotop eigne sich nicht für Wohnungsbau.
Dahmestadt
Je weiter man nach Süden gelangt, desto ruhiger wird’s. Weite Teile des Bereichs beiderseits der Wendenschloßstraße sind hier geprägt von kleinteiliger Bebauung. Autofahrer und Straßenbahn müssen sich die schmale Fahrbahn teilen, die wegen Gleisbauarbeiten derzeit in einem Teil als Einbahnstraße endet. Wer mag, kann an der Müggelbergallee die Fähre nach Grünau nehmen. Am Dahmeufer liegt der 115 Hektar große Marienhain hinter einem Gitterzaun. Darin steht noch die Ruine der 2008 durch Brandstiftung schwer beschädigten, denkmalgeschützen Villa, die Max Kühnlein für den Meiereibesitzer Carl Bolle errichtete. Der lebte hier ab etwa 1880 und betrieb daneben einen Gutshof, auf dem bis zur um 1925 erfolgten Betriebsverlagerung nach Moabit die Milchkühe gehalten wurden. Zuletzt diente das Areal noch als Versuchsgarten der Humboldt-Universität.
Was ist geplant?
Der Marienhain gehört zum Kern des Bereichs Dahmestadt, in dem die Senatsverwaltung bis 2030 ein Potential für 2500 Neubauwohnungen beiderseits des Flusses sieht. „Wir wollen da schneller sein und haben längst alles in Arbeit“, sagt Stadtrat Rainer Hölmer (SPD). Überwiegend ist man mit privaten Investoren im Gespräch, weniger mit den großen Wohnungsbaugesellschaften und regionalen Genossenschaften. 1000 Wohneinheiten könnten in mehreren Bauabschnitten allein im Marienhain entstehen, so der Kommunalpolitiker. Probleme bereitet die Erschließung, da die Wendenschloßstraße eine Sackgasse ist. Die Frequenz auf der Tramlinie 62 zum S-Bahnhof Mahlsdorf müsste verstärkt werden. Auch für den Bau zusätzlicher Kitas fehlt das Geld. Hier ist laut Hölmer der Senat gefragt. Weitere Baubereiche der Dahmestadt liegen auf den Arealen des Funkwerks Köpenick und von Berlin Chemie sowie an der Regattastraße in Grünau.
Was sagen Anwohner?
Gegenüber vom Marienhain stehen Einfamilien-Reihenhäuser und zweigeschossige Wohnbauten. Cornelia Manski lebt hier seit vielen Jahren. Ihre Tochter ist in der Wendenschloßstraße aufgewachsen und wohnt jetzt im benachbarten Reihenhäuschen. Beide genießen die Beschaulichkeit und sind wenig begeistert von den Bauplänen und befürchten vor allem ein Verkehrschaos. Die enge Straße mit den Tram-Gleisen sei schon jetzt ein Nadelöhr, sagt die Köpenickerin. Im Berufsverkehr gibt es bereits heute Staus und die Anlieger kommen mit ihren Autos in den Spitzenzeiten kaum aus den Seitenstraßen heraus. Auch hier stehen viele Anwohner den großen Bebauungsplänen skeptisch gegenüber.
Rainer W. During
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität