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Zwei Seiten von Heinersdorf. Im Hintergrund: Kuppel und Minarett der Khadija-Moschee. Im Vordergrund: Reklame-Trabbi einer Autowerkstatt.
© Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Wo in Baracken Burger brutzeln

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Nr. 36: Heinersdorf.

Bei der Vorbereitung auf den Ausflug nach Heinersdorf stieß ich in einem heimatkundlichen Artikel auf folgende Zeilen: „Heinersdorf besitzt keine landschaftlichen Besonderheiten, kein erwähnenswertes Gewässer, keinen Park, kein Denkmal, keine geschichtlichen Extravaganzen, die den Ort in der Umgebung irgendwie bekannt machen würden oder die ein Anziehungspunkt wären.“

Gemessen an meinen Erwartungen fand ich den Ortsteil dann ganz sympathisch, auch wenn Heinersdorf neben den glamourösen Nachbarn Pankow (im Westen) und Weißensee (im Osten) tatsächlich etwas blass wirkt. Einfamilienhäuser und Laubenkolonien prägen das Bild, unterbrochen von Industriehallen, viele davon Überbleibsel aus fernen DDR-Tagen, als die gesichtslosen Zweckbauten des „VEB Tiefbau“ hier einen eigenen Architekturstil prägten, den scherzhaft so genannten „Heinersdorfer Barack“.

Ein bleicher Büffelschädel über der Tür

Tief in einem der Barackenlabyrinthe, versteckt zwischen Autowerkstätten, Baustoffhandlungen und Lastwagenleichen mit abgeschraubten Nummernschildern, entdeckte ich die „Alte Kantine“. Ein bleicher Büffelschädel hing über der Eingangstür des Ladens, seine Hörner warfen geisterhafte Schatten auf den Asphalt. Der Chef, ein Koloss von einem Mann, stand in der Mittagssonne vor seinem Grill und briet Burger. Während er das Fleisch wendete, fragte ich ihn nach der durchbohrten Münze an seiner Halskette. „Mein Vierteldollar“, sagte er. „Der erste, den ich damals umgetauscht habe.“

Gleich nach der Wende war er in den Oldtimer-Handel eingestiegen, jahrelang hatte er in Heinersdorf Cadillacs und alte Ford-Trucks zusammengeschraubt, aus Ersatzteilen, die er in den USA einkaufte. Als seine Gesundheit das irgendwann nicht mehr mitmachte, hatte er umsatteln müssen. „Schrauben und kochen, mehr kann ich nicht“, sagte er grinsend. „Also koch ich jetzt.“ Er kochte verflucht gut. Falls Sie mal in der Gegend sind: Die wahrscheinlich besten Cheeseburger östlich des amerikanischen Sektors gibt es mittwochs im Gewerbegebiet an der Blankenburger Straße.

Die Moschee hält den Koran auf Dänisch bereit

Ansonsten entdeckte ich in Heinersdorf noch die traurige Ruine eines Wasserturms, in deren Schatten Kinder Fußball spielten – die örtliche Grundschule hat hier ihren Sportplatz. Die alte Feldsteinkirche fand ich verschlossen vor – wie übrigens fast alle Kirchen in fast allen Berliner Ortsteilen zu fast allen Tageszeiten. Offen war dagegen die neugebaute Khadija-Moschee. Lange stand ich in der menschenleeren Gebetshalle und blätterte in deutschen, englischen, arabischen, türkischen, spanischen, französischen, russischen und sogar dänischen Ausgaben des Korans. Wie viele Dänen sich wohl schon in die gut versteckte Moschee hinter dem KFC-Drive-thru an der Prenzlauer Promenade verirrt haben?

Abgesehen vom Moscheeneubau scheint sich in Heinersdorf in den letzten Jahrzehnten nicht viel getan zu haben. Den Eindruck, dass hier die Zeit stehengeblieben ist, vermittelt der Ortsteil aber offenbar schon länger. In einem Lied, das in Berlin um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gesungen wurde, heißt es: „Die Heinersdorfer Mädels tragen noch Schnallen auf den Schuhen.“ Eine einheitliche Damenschuhmode konnte ich im heutigen Heinersdorf nicht ausmachen.

Fläche: 3,95 km² (Platz 80 von 96)

Einwohner: 6797 (Platz 83 von 96)

Durchschnittsalter: 44,1 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Jutta Limbach (SPD-Politikerin), Jürgen Beckert (Ortsteilchronist)

Gefühlte Mitte: Dorfkirche

Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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