Abenteuer am Berliner Stadtrand: Wo die wilden Pferdchen wohnen
Wildpferde in Berlin? Am nördlichen Stadtrand kann man die zottelige Herde beobachten. Nun haben ihre Fans einen Kalender mit Bildern der seltenen Tiere veröffentlicht.
Vor den Toren Berlins, mitten auf einem winterlichen Feld zwischen kahlen Eichen, sucht der Tierfotograf Axel Lüssow nach dem grauen Fell der Konik-Wildpferde. Berliner Wildpferde? Man mag es nicht so recht glauben, doch Lüssow zeigt auf ein paar graue Flecken im hellbeigen Gras. „Da! Ich habe einen geübten Konik-Blick“, sagt er – und zieht rasch seine Kamera vors Auge.
Die Kleinpferde kauen gemächlich an den spärlichen Halmen am Wegesrand, kein Zaun trennt sie stellenweise von den Spaziergängern. Sie sind kaum eineinhalb Meter groß, haben eine zottelige Mähne, ein helles Fell mit braunem Strich auf dem Rücken und gütige, dunkle Augen. Konik heißt auf Polnisch „Pferdchen“. Die Rasse ist eine Rückzüchtung des ursprünglichen asiatisch-europäischen Wildpferdes „Tarpan“, das vor rund 200 Jahren ausgerottet wurde. Sie ging aus wilden Pferdeherden hervor, die noch im frühen 19. Jahrhundert in Polen lebten.
Die Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde ist ein einzigartiger Lebensraum
Zu jeder Jahreszeit grasen die Koniks draußen, ohne Stall. Und pflegen dabei einen einzigartigen Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten: die Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde. Sie liegt am nördlichen Stadtrand, knapp zwei Kilometer entfernt von der S-Bahn-Linie zwischen Buch und Zepernick. Die Rieselfelder wurden nach Plänen von James Hobrecht (1825 – 1902) angelegt. Er entwarf als Stadtbaurat das Entwässerungssystem für die Stadt. Berlin nutzte von 1875 bis 1985 die Sandböden am Rande der Barnimer Hochfläche zur Filterung seiner Abwässer. Doch wo früher die trübe Brühe hingepumpt und auf den Feldern verteilt wurde, entsteht nun seit 2011 eine neue Wildnis – inklusive Wildpferden.
Ausgerüstet mit Regenhose, Funktionsjacke und Kamera im Rucksack besucht Axel Lüssow die Tiere mehrmals pro Woche und fotografiert sie bei Wind und Wetter. Er kennt alle Konik-Herden, weiß, wo sie weiden. Und kommt dort selbst an nass-grauen Tagen ins Schwärmen: „Es wird mir nie langweilig, es gibt so viel zu beobachten.“ Nun hat Lüssow seine schönsten Bilder in einem großformatigen Kalender veröffentlicht. „Berliner Wildpferde 2017“ heißt sein Werk. Einige Konik-Enthusiasten haben ihn unterstützt. Mit dem Kalender wollen sie „die Schönheit der Tiere feiern“ und helfen, deren Weidelandhaltung zu erhalten. Ein perfektes Geschenk für Pferdefreunde.
Die "Koniks" grasen seit sechs Jahre auf den großen Weiden
Die Wildpferde grasen seit gut sechs Jahren auf den Rieselfeldern neben anderen robusten Weidetieren wie Uckermärker Rindern oder dem schottischen Hochlandrind. Denn 2011 lief dort das größte Waldweideprojekt Deutschlands an. Das Bundesamt für Naturschutz, die Berliner Forsten, der Naturschutzfonds Brandenburg und der Förderverein Naturpark Barnim e. V. taten sich zusammen, um rund ums Gut Hobrechtsfelde einen ganz besonderen Naturraum zu entwickeln. Auf einer Fläche von etwa 3500 Fußballfeldern sollten bedrohte Pflanzen- und Tierarten einen geschützten Lebensraum finden und Berliner sich am Rande der Großstadt erholen können.
Dafür wurde die selten gewordene, aber früher für diese Gegend typische „halboffene Waldlandschaft“ rekultiviert: Ein Mix aus Büschen, weitläufigen Wiesen und vereinzelten Eichen sowie anderen alten Laubbäumen.
Mehr als 45 Rinder und 30 Wildpferde sind hier die Landschaftsgestalter. Auf fast der Hälfte des Naturgeländes pflegen sie mit Fraß und Tritt die halboffene Landschaft. Sie halten die vielen Sträucher im Unterholz klein und verhindern, dass Bäume überhandnehmen. Betreut werden die Herden vom Team der Agrar GmbH Gut Hobrechtsfelde.
Die Weiden sind durch mehr als 50 Tore frei zugänglich. Und von sieben Aussichtspunkten können Spaziergänger das weitläufige Areal überblicken und typische Verhaltensweisen von Wildpferdeherden mit Leithengst und Leitstute beobachten. Die Anwohner des Pankower Ortsteils Karow und von Mühlenbeck (Landkreis Oberhavel) genießen die Natur vor der Haustür. So auch Korrektorin Lucién Weber und Informatiker Gerd Kauschert. Fast täglich sind die beiden auf den Rieselfeldern unterwegs. Dabei haben sie den Tierfotografen Axel Lüssow kennengelernt. Und wie er sind sie von den Koniks fasziniert. „Das ist hier schon ganz anders als im Tierpark oder Streichelzoo“, sagt Gerd Kauschert. Wegen der Nähe zu den Wildpferden muss man aber Verhaltensregeln beachten. Auf den Weideflächen gilt: Kein Füttern, gebührend Abstand zu den Tieren halten, Hunde nicht von der Leine lassen.
Die Haltung der alten Pferderasse ist nur noch bis 2020 gesichert
Die finanzielle Förderung des Waldweide-Pilotprojektes ist schon 2015 ausgelaufen, doch die Berliner Forsten führten es seither weiter. Nun hoffen die Konik-Fans, das dies so bleibt – auch mithilfe des Senats. Der Leiter des Pankower Forstamtes, Romeo Kappel, verspricht: „Bis Ende 2020 soll die Beweidung mit den Pferden und Rindern sicher betrieben werden.“ Anschließend will man die biologische Entwicklung der Rieselfelder wissenschaftlich auswerten, um das weitere Vorgehen zu planen. Kappel ist optimistisch. Eine Studie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde habe schon 2015 nachgewiesen, „dass die Flora und Fauna von Hobrechtsfelde vielfältiger geworden ist“.
Tierfotograf Axel Lüssow, Mitglied der Grünen und von Beruf Soziologe, will sich auch politisch für die Wildpferdeherde engagieren. Zum Beispiel im Ausschuss für Natur und Umwelt der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV), dem er angehört. Dessen Mitglieder will er mit seinem Enthusiasmus anstecken. „Damit die Berliner auch in Zukunft ihre eigenen Wildpferde erleben können.“
Axel Lüssows schönste Konik-Fotos sind im Berliner Wildpferde-Kalender 2017 zu sehen. Bestellung an „konikfreundeberlin@gmail.com“. Kosten: 12 Euro. Versand gratis. Mehr Infos gibt’s im Internet unter: www.facebook.de/konikfreundeberlin.