20 Jahre Tanzschule "Walzerlinksgestrickt": Wo die Berliner selig schwofen
Alles andere als eine muffig-steife Tanzschule: Seit 20 Jahren lebt bei „Walzerlinksgestrickt“ in Kreuzberg eine neue Ballhauskultur.
Der ungewöhnliche Name hätte beinahe alles zunichte gemacht. „Walzerlinksgestrickt“ – da hatten die potenziellen Geldgeber von der Bank plötzlich queere Fantasien. Eigentlich sollte die erste Kreditrate längst überwiesen sein, die Handwerker ackerten schon am Umbau der einstigen Kreuzberger C. Habel’s Brauerei zum Ballhaus, erste Zahlungen waren fällig, aber der Vorstand des Geldinstitutes zögerte im letzten Moment. „Eine rein schwule Tanzschule? Na, ob sich so was wirklich rechnet?“
Genau zwanzig Jahre ist dieser Schock nun her. Aber die Banker lagen damals völlig falsch. Der Name „Walzerlinksgestrickt“ für ihre Tanzschule im Kreuzberger Bergmannkiez war Ulrike Albrecht-Balzer und Jojakim Balzer beim Brainstorming mit Freunden auf einer Party eingefallen. Ihr Unternehmen sollte einfach „etwas anders gestrickt“ sein, so die Idee. Und: „Rechtsgestrickt“, sagt Jojakim, „ging ja gar nicht“.
So erklärten sie es 1997 der Bank, das Geld floss, die zwei pachteten das längst aufgegebene historische Brauhaus, gestalteten es für ihre Ziele um – und gehörten nach der Wende zu den maßgeblichen Schrittmachern, die in Berlin die legendäre Ballhauskultur der Zwanziger Jahre zeitgemäß wiederbelebten.
In diesem November wird nun Jubiläum gefeiert. Und am Samstagabend steigt die große Gala: „20 Jahre Abendvergnügen.“
Labradoodel Lili schwänzelt um die Bar herum
„Tanz“ verkündet ein leuchtend roter Schriftzug über dem Eingang im Erdgeschoss des 1885 errichteten, denkmalgeschützten, mehrstöckigen Backsteinbaus an der Ecke Tempelhofer Berg, Fidicinstraße. „Hereinspaziert!“ – Ulrike Albrecht-Balzer und Jojakim Balzer schlucken in der Lounge noch rasch einen Espresso weg. Ulrikes Labradoodle Lili schwänzelt um die Bar herum. So stellt man sich ein umtriebiges Berliner Start-up-Pärchen vor: Machen aus ihrem Ideal ein konkretes Projekt, ziehen es mit Herzblut durch und bleiben dran, so dass es eine Berliner Institution wird.
Ulrike, wie Jojakim Mitfünfzigerin, Jeans, Pollunder, kurze schwarze Haare, jede Menge Lachfältchen, ist in diesem Duo das Temperamentbündel und die Verwandlungskünstlerin, wenn sie mal im maßgeschneiderten Frack, mal im Fifties-Vintage-Look übers Parkett fegt. Er ist der Gelassenere. Ein jungenhaft pragmatischer Macher, der gerne mal über die Welt spöttelt. Jojakim wuchs in Kiel auf, studierte Musikwissenschaften und Jura, bevor er an die Spree zog und zum Tanz-Profi wurde.
Sein „Schwarzwaldmädel“ Ulrike verbrachte am Titisee, im Kuckucksuhren-Laden der Eltern, ihre Kindheit. Später studierte sie in Berlin Sport und jobbte nebenher als Tanzlehrerin. Jojakim lernte sie 1989 beim Lambada-Workshop kennen.
Jetzt stehen sie in der Lounge neben dem kleinen Spiegelsaal für die Anfängerkurse, auch „Nichtschwimmerbecken“ genannt. Viel Holz und Glas, schnörkellose, moderne Linien. Die Lounge ist das Gegengewicht zum großen Ballsaal mit der Galerie, den meterhohen Rundbogenfenstern, den Säulen und roten Samtvorhängen ganz im Stil der Zwanziger.
„Einst war hier das Sudhaus mit den Braukesseln“, erzählt Jojakim. Dann geht er ein paar Schritte unter die Galerie, wo heute Caféhaus-Tischchen stehen. „Dieser Bereich war früher abgetrennt, da rumpelten die Pferdefuhrwerke mit den Fässern rein.“ 2015 haben sie noch einen Tanzraum angebaut. Ein Saal mit ähnlicher Seele. Viel Licht, viele Durchblicke, viel Platz für Tanz-Cracks zum Rundherumkreiseln in Swing- oder Walzerseligkeit.
Neue Inspiration im Geiste der Goldenen Zwanziger
Als die beiden 1996 einen neuen zentralen Ort für ihre Tanzschule suchten, weil sie zuvor an fünf Standorten unterrichtet hatten, war der Industriebau im Bergmannkiez ein Volltreffer. 15 Jahre lang hatte er nach verschiedensten Nutzungen leer gestanden, nun verliebten sie sich Hals über Kopf in das traditionsreiche Gebäude. Hinzu kam das Glück, dass die Eigentümer ihre verrückte Idee, daraus ein Ballhaus zu machen, engagiert unterstützten und dies bis heute tun.
Berlin, Mitte der Neunziger. Da gab es den ADAC-Ball und andere Gesellschaftsbälle, „alles ein bisschen vermufft“, sagt Ulrike. „Hundert Prozent Hugo Strasser.“ Es gab kaum inspirierende Orte, an denen man einfach mal locker tanzen gehen konnte. Als ausländische Gäste sie damals fragten: „Wo sind denn hier die Goldenen Zwanziger?“, zuckte sie mit den Schultern.
Zusammen mit Jojakim wollte sie die Kultur der früheren Tanzdielen und Vergnügungspaläste im neuen Gewand endlich wieder auferstehen lassen. Vorbilder? Zum Beispiel das einstige „Casanova“ und „Palais am Zoo“ oder das „Fiametta“ an der Hardenbergstraße.
"Die Tür geht auf und Du hast einen schönen Abend"
Die ganze Welt sollte in ihrem mehrsprachigen Ballhaus mit Tanzschule zu Hause sein. Und beim Unterricht sollte es nicht nur um Schrittvermittlung gehen, sondern auch um Ausdruck, Lebensgefühl und Herkunft der Tänze. Dabei orientieren sie sich bis heute am Ballroom-Konzept der britischen „Imperial Society of Teachers of Dancing“, deren Workshops beide in London besuchten. „Klingt royal“, sagt Jojakim, „ist aber kein Turnier- sondern bester Social Dance“. Dessen Spirit bringt Ulrike so auf den Punkt: „Ist doch toll, wenn die Leute glücklich durch die Säle gleiten.“
14 Tanzlehrer arbeiten heute bei Walzerlinksgestrickt. „Dass alles so gekommen ist, verdanken wir auch Berlin“, sagt Jojakim. Die Stadt biete großartige Chancen. „Wir haben sie genutzt.“ Manchmal war es ein Kraftakt, doch fast immer hatten sie Spaß dabei. Nehmen wir mal an, sie müssten jetzt „Zurück auf Los“: Würden sie dann alles nochmal durchziehen? „Klar doch“, sagen beide – und drehen im Walzerschritt linksherum los.
Mehr Infos: Am Tempelhofer Berg 7d, www.walzerlinksgestrickt.de