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Sonnenschein scheint für viele Berliner ein ausreichender Grund zu sein, sich in den Parks wie am Boxhagener Platz zu entspannen.
© REUTERS/Michele Tantussi

Sonnenbaden, Fußballspielen, Nachbarn treffen: Wo Corona-Regeln trotz allem missachtet werden

Wer seine Wohnung verlassen will, braucht einen triftigen Grund. Viele hat das am Samstag nicht abgehalten, draußen das gute Wetter zu genießen.

Am Rand des Boseparks in Tempelhof hat der Torhüter keine Chance. Sein Gegenspieler dribbelt ihm entgegen, schaut kurz hoch, dann schiebt er den Ball einen halben Meter vor dem Keeper ins Tor. Sicherheitsabstand? 1,50 Meter? Klar verfehlt. Macht aber nichts, der Torschütze ist Onno Schönduwe, zehn Jahre alt, der Torhüter ist sein Vater Robert. Bei Familienangehörigen gelten die Abstandsregeln nicht.

Es ist Samstagmittag, in der Grünanlage könnte man jetzt problemlos alle vorgeschriebenen Distanzen einhalten. Auf den Liegewiesen im Volkspark Friedrichshain wird das zu dieser Zeit so langsam schwierig. Noch reicht der Platz gerade so, um den Rasennachbarn nicht zu nahe zu kommen.

Allerdings ist es auch noch recht kühl, trotz strahlender Sonne. Zwischen zwei Bäumen hat ein junger Mann eine Hängematte aufgespannt und beobachtet die Spaziergänger, die in Scharen unterwegs sind; mit dem Sicherheitsabstand nehmen sie es nicht so eng.

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Voll ist es auch auf dem auf dem Boxhagener Platz, wo wie jeden Sonnabend der Wochenmarkt läuft. Und dort sieht es fast so aus, als würde es keine Pandemie geben: Viele Menschen drängen sich auf den Wegen ums Karree, nur wenige tragen Masken. Die Abstände in den Warteschlangen werden immer kürzer, Nachbarn begrüßen sich und plauschen miteinander.

Es herrscht lockere Stimmung. An einem Bäckerstand lehnen sich immer wieder Kunden über den Tresen, um auf bestimmte Brotsorten zu deuten. Die Verkäufer nehmen es hin.

Im Bosepark in Tempelhof verteilen sich problemlos Fußballspieler, Mütter mit Kindern, Männer mit Hunden und Jogger. Und Robert Schönduwe genießt es, mit seinen Kindern hier zu toben. Onno und seine Schwester Lotti, sechs Jahre alt, haben in den vergangenen drei Wochen vor allem zu Hause gespielt, „jetzt“, sagt ihr Vater, „ist es gut, dass sie mal wieder rauskommen“.

Der neue Bußgeldkatalog? Die Lockerungen für die Zeit draußen? „Habe ich ehrlich gesagt gar nicht mitbekommen.“ Der 39-Jährige hat keine Picknickdecke dabei, er hat nicht vor, stundenlang im Park zu spielen, er will nur mit seinen Kindern Sport treiben. Er ist auch vor den Lockerungen ab und zu rausgegangen, also, wo soll da für ihn etwas Neues sein?

40 Meter weiter spielt Thomas Wikowski mit seinen Kindern. Auch für ihn hat sich nichts groß geändert. Mit den Kleinen ist er bereits vor den Lockerungen der Regeln rausgegangen, Picknick macht er auch nicht.

Im Übrigen aber hat er „durchaus Verständnis für die Schutzmaßnahmen. Man hilft damit ja nicht bloß sich, man hilft vor allem den Mitmenschen“. Dass ein stämmiger Mann im schwarzen Trainingsanzug und mit roter Baseballkappe seinen Hund nicht angeleint hat, stört Wikowski, dessen kleine Tochter erst drei Jahre alt ist, viel mehr.

Polizisten oder Mitarbeiter des Ordnungsamts Tempelhof-Schöneberg sind nicht zu sehen, Kontrollen der Parkbesucher finden in diesem Moment nicht statt. 40 Mitarbeiter kann Christiane Heiß, Stadträtin von Tempelhof-Schöneberg, zuständig unter anderem für das Ordnungsamt, derzeit für die Überwachung der Regeln aufbieten. Theoretisch jedenfalls, praktisch nicht. „Auch unsere Mitarbeiter werden krank“, sagt die Grünen-Politikerin lakonisch.

Ihre Mitarbeiter dürfen jetzt auch Bußgelder verhängen, wenn jemand gegen die Verordnungen zum Schutz gegen die Ausbreitung des Coronavirus verstößt. Alle Ordnungsämter in Berlin dürfen das seit Freitag, die Frage ist nur, wie sie das in die Praxis umsetzen.

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Es gibt keine feste Summe für den jeweiligen Verstoß, der Ermessensspielraum ist relativ groß. Die generelle Leitlinie für alle Uniformierten des Ordnungsamts Tempelhof-Schöneberg lautet: Fingerspitzengefühl.

„Wir werden bei der Erstansprache sicher nicht sofort hohe Strafen verhängen“, sagt Christiane Heiß. „Wir wollen Bürger und Gewerbetreibende ganz bestimmt nicht schikanieren, das ist unsere wichtigste Botschaft.“ Wer Einsicht zeigt, der wird schnell in Ruhe gelassen, zumal es in Einzelfällen ja ganz schwierig ist, einen Verstoß nachzuweisen. Wer weiß denn schon, ob der Abstand genau so groß ist wie vorgeschrieben.

Christiane Heiß’ Pankower Amtskollege Daniel Krüger, Bezirksstadtrat für Umwelt und öffentliche Ordnung, ist durchaus froh, dass seine Mitarbeiter vom Ordnungsamt selber Bußgeldbescheide ausstellen dürfen. „Die Mitarbeiter können jetzt eine Drohkulisse aufbauen“, sagt der Politiker, der für die AfD im Bezirksamt sitzt. „Das ist etwas anderes, als wenn sie wie harmlose Typen durch die Straßen laufen müssen.“ Harmlose Typen in Uniform, ohne wirkliche Autorität in der Corona-Krisenbewältigung.

„Klar ist aber natürlich auch“, sagt Krüger, „dass man beim ersten Vergehen ganz sicher erstmal nur verbal reagiert und im Normalfall eine Verwarnung ausspricht.“ Rund 50 Mitarbeiter stehen ihm für die Kontrollen zur Verfügung.

Krügers Mitarbeiter sollen mit dem gleichen Fingerspitzengefühl vorgehen wie deren Kollegen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Eine Einheitsstrafe für ein jeweiliges Vergehen wird es in Pankow nicht geben. „Die Mitarbeiter werden je nach Situation reagieren“, sagt Krüger. „Aber die sind ja Konflikte aus ihrer sonstigen Arbeit gewohnt, die wissen schon, was angemessen ist.“ Außerdem seien sie angehalten, „dass sie Maß halten müssen“.

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