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Der TÜV listete im September noch 1622 „wesentliche Mängel“ und 950 einfache Mängel beim BER auf.
© imago/Olaf Selchow
Update

Flughafen Berlin-Brandenburg: Wird die BER-Eröffnung schon wieder verschoben?

Auf der Südbahn stehen Kabelschächte unter Wasser, Kosten für die Erneuerung: zehn Millionen. Auch im Terminal gibt es noch viele Mängel. Ein Statusbericht

Der Countdown am BER läuft. Wieder mal. Spätestens im Mai/Juni 2019 müssen alle Bauarbeiten im Terminal des künftigen Hauptstadt-Airports in Schönefeld, an dem seit 2006 gewerkelt wird, abgeschlossen sein. Nicht einmal ein halbes Jahr ist dafür noch Zeit – sonst platzt die für Oktober 2020 angekündigte Inbetriebnahme des BER.

Denn vorher sind auch noch umfangreiche Tests, die Ladeneinbauten und der Probebetrieb nötig. Deshalb lässt der Vorstoß von Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, der für die TÜV-Abnahmen auf eine flexiblere Praxis der Behörden in Brandenburg drängt, die Wellen hochschlagen. „Das zeigt nicht nur die Unfähigkeit, sondern auch die Unmöglichkeit, den Flughafen bis 2020 ans Netz zu bringen“, sagte Grünen-Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter dem Tagesspiegel. „Kein Häuslebauer käme auf die Idee, an den Prüfkriterien zu schrauben.“ Die BER-Eröffnung scheine nur noch mit Manipulation machbar.

Was ist los auf Deutschlands berüchtigster Baustelle? Bahnt sich die nächste Verschiebung an? Ein aktueller Statusbericht des Tagesspiegels, wie es um den BER steht.

Kurzschlussgefahr an der Südbahn

Der BER bleibt eine Hochrisikobaustelle. Zwar betont Lütke Daldrup oft, dass bis auf das Terminal ja alles fertig ist. Böse Überraschungen schließt das nicht aus. Ein Beispiel ist die südliche Start- und Landebahn, extra für den BER gebaut. Nach Tagesspiegel-Informationen müssen dort nun noch vor BER–Eröffnung die 2010 und 2011 verlegten Kabel kurzfristig komplett ausgetauscht werden, wofür gerade 9,8 Millionen Euro bewilligt wurden. Der Grund: 70 Prozent der Kabelschächte, in die keine Entwässerung eingebaut worden war, stehen dauerhaft unter Wasser.

Schon jetzt haben sich „bei einer Vielzahl von Befeuerungskabeln die Isolationswerte erheblich verschlechtert“, lautete der interne Befund von Sachverständigen. Das berge Risiken „eines vorzeitigen Ausfalls des Stromkreises“. Es geht um die Befeuerung der Start- und Landebahn. Öffentlich wurde dies nicht kommuniziert.

Tausende Mängel im Terminal

Flughafenchef Lütke Daldrup hat sich in den letzten Monaten stets optimistisch gezeigt, dass der BER–Start im Oktober 2020 steht, ob bei Auftritten in Parlamenten, in der Öffentlichkeit oder intern gegenüber Berlin, Brandenburg und dem Bund, den Eigentümern der Flughafengesellschaft (FBB). „Der BER eröffnet im Oktober 2020“, bekräftigt er auch jetzt.

Die Lage auf der Baustelle steht im Kontrast zum Optimismus nach außen. Zwar gibt es Fortschritte, sind 2018 anders als früher keine neuen Rückstände hinzugekommen. Bei der Neuprogrammierung der Steuerung der Siemens-Entrauchungsanlage, die Anfang 2019 geliefert werden soll, sieht es inzwischen gut aus. Doch der BER kann eben nur in Betrieb gehen, wenn alles funktioniert, im Zusammenspiel.

Entscheidend ist stets das schwächste Glied. Am kritischsten steht es da neben den Brandmeldeanlagen vor allem um die Kabelgewerke, also die in Äquatorlänge im Terminal nach der geplatzten Eröffnung 2012 komplett ausgetauschten Kabel. Dort wurde, wie vorher, erneut gepfuscht, so dass Tausende Mängel beseitigt werden müssen. Und wie extrem lange das dauert, weil parallel neue Mängel entdeckt werden, zeigen die internen Prüfberichte des TÜV Rheinland.

Der untersucht im FBB-Auftrag die Funktionstüchtigkeit und Abnahmefähigkeit aller Anlagen – und soll am Ende die Freigabe besiegeln: Bei der Sicherheitsstromversorgung und der Sicherheitsbeleuchtung im BER-Terminal hat der TÜV inzwischen 1622 „wesentliche Mängel“ und 950 einfache Mängel (Stand September) festgestellt, die eine Abnahme bisher unmöglich machen.

Zum Vergleich: 859 wesentliche Mängel und 525 einfache Mängel, also etwa halb so viele, waren es vor vier, fünf Monaten. Diese Zahlen standen im April 2018 im 17. Statusbericht des TÜV Rheinland „über die Prüfung der sicherheitstechnischen Gebäudeausrüstung“ im Fluggastterminal. Das Gros davon betrifft, damals wie heute, „technisch mangelhafte Ausführung.“

Wo beginnen und enden die Kabel?

Schon damals, als etwa kein einziger Schaltschrank mängelfrei war, warnte der TÜV: „Wir weisen darauf hin, dass sicherzustellen ist, dass die Mängel bei weiteren Prüfungen nicht aufzufinden sind.“ Das Abstellen sei „mit einem möglicherweise hohen personellen Aufwand, aber auch durch eine Vielzahl von Rückbauten verbunden.“

"Beginn und Ende sind erkennbar, aber was ist dazwischen?"
"Beginn und Ende sind erkennbar, aber was ist dazwischen?"
© Mike Wolff

Wie gravierend alles ist, illustriert ein interner Aktenvermerk der Unteren Baubehörde des Kreises Dahme-Spreewald vom 22. Juni 2018, die unabhängig ist und ein präzises Bild von der Baustelle hat, erstellt nach einem Treffen mit TÜV-Vertretern. In dem Vermerk heißt es zu den sicherheitstechnischen Anlagen: „Nach erfolgter Umverlegung der Kabel fehlt der FBB der Überblick zum Verlauf (Beginn und Ende sind erkennbar, aber was ist dazwischen?), die Kabeltragsysteme wurden nicht, bzw. nur unzureichend angepasst.“

„Die Auswirkungen auf den Eröffnungstermin 2020 werden besorglich“

Oder, zum Elektroakustischen Notwarnsystem: In einem Gebäudeabschnitt sei das „zu 80 Prozent nicht fertig (Schrott)“, was von der Objektüberwachung der Flughafengesellschaft aber „nicht weiter nach ‚oben‘ kommuniziert“ werde: „Es ist bequemer, wenn der TÜV die Mängel aufdeckt und beanstandet.“ Ein anderer Befund lautete: „Die Objektüberwachung (OÜ) der FBB ist nicht in der Lage, ein qualifiziertes Mängelcontrolling aufzubauen und zu verfolgen“. Die FBB versuche dafür den TÜV zu missbrauchen. Das interne Fazit der Baubehörde, im Juni 2018: „Die Auswirkungen auf den Eröffnungstermin 2020 werden besorglich.“

Zwar hat die FBB inzwischen Gegenmaßnahmen eingeleitet, die verantwortliche Firma ROM ihr Personal auf zehn Teams aufgestockt, um die Kabelprobleme zu lösen. Und es wurde zusätzlich eine weitere Elektrofirma eingeschaltet. Es geht dabei nicht nur um Bagatell-Mängel, wie gebogene Kabel, sondern oft „um wesentliche Mängel“, die wiederum „Auswirkungen auf die Brandmeldeanlage und die Entrauchungssteuerung haben“, heißt es in einem FBB-Papier. Ein Teil der Mängel sei „planerisch zu lösen“, müsse mittels Nachweisen durch Brandversuche kompensiert werden.

Der Vorstoß des BER-Chefs

Es ist bekannt, dass Lütke Daldrup die Vorschriften und die Praxis der Behörden in Brandenburg für zu rigide hält. Das war schon seine Position als BER–Staatssekretär des Regierenden Bürgermeisters und damaligen Aufsichtsratschefs Michael Müller, ehe er im März 2017 BER-Chef wurde.

Angesichts der Lage überrascht es nicht, dass „LD“, wie er am Flughafen genannt wird, auf eine flexiblere Abnahmepraxis der Behörden drängt. In einer Mail an Aufsichtsräte formulierte er das am Freitag so: „Um den Termin der Inbetriebnahme des BER sicher zu erreichen, kann es erforderlich werden, dass die Brandenburger Bauaufsichtsbehörden von bisher nicht genutzten Möglichkeiten des Baurechts Gebrauch machen.“ Er wies darauf hin, dass „in der weit überwiegenden Zahl der Bundesländer deutlich einfachere Regelungen“ für die Abnahmen existieren würden als in Brandenburg.

BER-Geschäftsführer Engelbert Lütke Daldrup drängt auf eine flexiblere Abnahmepraxis der Behörden.
BER-Geschäftsführer Engelbert Lütke Daldrup drängt auf eine flexiblere Abnahmepraxis der Behörden.
© imago

Zwar hat Brandenburgs Infrastrukturministerin Katrin Schneider (SPD) im Landtag eine Änderung von Bauvorschriften für den BER prompt ausgeschlossen. „Wir werden weder die brandenburgische Bauordnung noch Prüfvorschriften ändern“, sagte Schneider, der die obere Bauaufsicht untersteht. „Es geht um Mängelbeseitigung, Mängelbeseitigung und Mängelbeseitigung.“ Dafür habe der Flughafen zu sorgen.

Im Sommer 2019 muss "LD" erklären, ob die Eröffnung im Oktober 2020 klappt

Trotzdem hat die Angst vor einer neuen Verschiebung offenbar Wirkung. Denn Brandenburg ist nach Aussagen von Schneider zum Zugeständnis bereit, dass bis zur Eröffnung des BER zwar alle sicherheitsrelevanten Mängel, aber nicht mehr alle Mängel beseitigt sein müssen. Bis Jahresende wolle man gemeinsam mit dem TÜV die Mängel sortieren, sagte Schneider. „Wir werden zur Eröffnung nicht ein völlig mängelfreies Werk haben. Aber sicherheitsrelevante Mängel darf es nicht geben.“

So oder so, spätestens im Sommer 2019 muss Lütke Daldrup verbindlich verkünden, ob es beim Startversuch im Oktober 2020 bleibt. Es sieht nicht gut aus.

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