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Oft unterschätzt. Helmut Schramm glaubt, dass Spandaus Qualitäten noch zu wenig beachtet werden.
© Michele Galassi

Kiezspaziergang mit BMW-Werkschef: "Wir sind nicht in Berlin, sondern in Spandau"

Helmut Schramm leitet das BMW-Motorradwerk in Spandau. Er ist im Bezirk aufgewachsen, kennt die beste Konditorei – und noch mehr besonders Schönes.

Ein paar BMW-Arbeiter im Blaumann stehen im Freien und essen Stullen, als ihr Chef sie sieht und ihnen ein „Mahlzeit, die Herren“ zuruft. Die Männer nicken Helmut Schramm freundlich zu. Seit Juli 2017 leitet der 53-Jährige die BMW Group Berlin und das Motorradwerk in Spandau. Und mit dem „Herrn Schramm“, wie ihn seine Mitarbeiter respektvoll nennen, haben die Bayern einen echten Coup in Berlin gelandet: Das erste Mal in der Geschichte des Motorradwerks des bayerischen Konzerns leitet ein echter Berliner das Unternehmen. Und der kann sich sogar „dialektisch“ wie ein Chamäleon zwischen Berlin und Bayern bewegen: Bayerisch spricht Helmut Schramm mit den Bayern und berlinert mit den Berlinern. Das hilft bei Kommunikation und Verhandlungen ungemein. „Ich kann mit der Landessprache auf die Politik zugehen“, sagt der Manager. Das funktioniere auch „ganz gut“.

Nicht nur das Motorradwerk, das im nächsten Jahr sein 50-jähriges Produktionsjubiläum feiert, sondern auch der Chef selbst ist in Spandau tief verwurzelt. Helmut Schramm wuchs in Siemensstadt und in Kladow auf. „Damals lag Kladow wirklich am Rand von Berlin.“ Und auch heute sei die Anbindung des Ortsteils „noch nicht so gut wie im Rest von Spandau, das einen der weltweit besten Nahverkehre hat“.

Ein unterschätzter Bezirk

Während wir am Werk Am Juliusturm vorbei an der Zitadelle, eine der bedeutendsten Renaissance-Festungen in Europa, Richtung Altstadt laufen, beginnt er zu schwärmen von dem flächenmäßig viertgrößten Berliner Bezirk, den die Berliner als piefiges West-Berlin gern mal links liegen lassen. „Wir sind nicht in Berlin, sondern in Spandau“, stellt Helmut Schramm schon einmal klar. „Ein wunderschöner Stadtbezirk mit Grünflächen, Wasser und Wirtschaft, der oft unterschätzt wird“, sagt er und blickt auf der schlichten Juliusturmbrücke hinüber zur Spandauer Schleuse zwischen Zitadelle und Altstadt gelegen.

Stadtspaziergang durch Spandau (anklicken zum Vergrößern).
Stadtspaziergang durch Spandau (anklicken zum Vergrößern).
© Tsp/Klöpfel

„Der Spandauer hat seinen Stolz. Und der traditionelle Spandauer besteht darauf, dass er in Spandau lebt und nicht in Berlin.“ Helmut Schramm lebt nicht in Spandau, sondern im Berliner Süden. Als traditioneller Spandauer geht er laut Eigendefinition also nicht durch. Er fühlt sich vielmehr als „Gesamt-Berliner“ mit seiner Stadt verwachsen und bewegt sich gern in ihr. Zur Schule ist er ins Gymnasium Katholische Schule Liebfrauen in Westend gegangen, studiert hat er Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Er war danach in einem mittelständischen Unternehmen tätig, wechselte 1990 ins Mercedes-Benz-Werk nach Marienfelde und war anschließend im Daimler-Konzern an mehreren Standorten beschäftigt.

Seit 2003 ist der promovierte Wirtschaftsingenieur für die Bayerischen Motoren Werke tätig. An den BMW-Standorten München, Dingolfing und Leipzig hatte er verschiedene Fach- und Führungspositionen inne in den Bereichen Produktion, Qualitätsmanagement, Logistik, Strategie und Werksstrukturplanung. Und er lernte die Bayern kennen.

Helmut Schramm mag das Bodenständige in Bayern. „Die Bayern pflegen Traditionen, aber sie sind eben nicht altbacken, sondern äußerst innovativ wie zum Beispiel in der Digitalisierung.“ Er beschreibt Bayern fast ein bisschen so wie Spandau mit seiner bürgerlichen Seite und der Spitzentechnologie im Wirtschaftsleben. Rund 100 Millionen Euro hat BMW in das neue Logistikzentrum im Spandauer Werk investiert, in diesem Jahr sind es 56 Millionen Euro, die in Produktionsanlagen, Montage und in die Infrastruktur wie in Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung fließen. „Wir sind auf dem Weg zur CO2-freien Fabrik“, sagt er stolz.

Wir biegen in die Breite Straße ein, laufen an Nagelstudios, Eis-Cafés, Restaurants und einem Laden für „Mode ab XXL“ vorbei. Die Kirchgasse, die früher Schulgasse hieß, führt zur St. Nikolai-Kirche, eine der ältesten Stadtkirchen von Berlin und die Reformationskirche der Mark Brandenburg. Auf der linken Seite steht das Gotische Haus aus dem 15. Jahrhundert und Berlins ältestes Bürgerhaus, in dem die Touristeninformation untergebracht ist. Am 1889 eröffneten Juwelier Brose, heute noch ein Familienunternehmen, biegen wir ab zum Markt.

Vorbei an der "Havelwelle", auch "Pinkelrinne" genannt

Helmut Schramm steuert auf die Konditorei Fester zu und schaut in die Auslage. Die Konditorei gibt es seit 1926, sie ist über die Spandauer „Stadtgrenze“ hinaus bekannt für ihre Schnitte und die Spezialtorte mit Schokoladenbuttercreme und in Weinbrand eingelegten Früchten. Vorbei geht es an Spandaus berühmtestem Brunnen, der „Havelwelle“, auch „Pinkelrinne“ genannt. Im Zuge der geplanten Marktbegradigung soll der eigenartige, 32 Meter lange Brunnen verlegt werden.

Die Carl-Schurz-Straße ist die zentrale Einkaufsstraße zwischen Altstädter Ring und dem Juliusturm mit Geschäften und der Kinder- und Jugendbibliothek. Am südlichen Rand der Altstadt steht das 1910 bis 1913 erbaute Rathaus des Bezirks, in dem heute die Bezirksverordnetenversammlung tagt. Spandau wollte mit diesem imposanten Gebäude, dessen 86 Meter hoher Turm sogar den Turm der St.-Nikolai-Kirche überragt, seine Unabhängigkeit von Berlin demonstrieren. Das ist bekanntlich nicht ganz geglückt. 1920 wurde Spandau eingemeindet.

Modernste Produktion umgeben von dörflichem Charme

Wir überqueren den Altstädter Ring und laufen zur Ellipse, ein zweigeschossiger Pavillon, der 2005 eröffnet wurde. Heute beherbergt die Ellipse Floristik, eine Bäckerei, einen Ableger der Spielbank Berlin und Florida-Eis. Der Berliner BMW-Chef liebt Eis. Ein Ehepaar, das vor den 24 Sorten in der Auslage ansteht, dreht sich um und fragt ihn, ob er denn auch einen Gutschein für eine Gratis-Kugel habe. Er verneint und bekommt einen Gutschein überreicht: „Wir haben Mitleid mit unseren Mitmenschen.“ Herr Schramm lacht und bedankt sich.

Der Manager weiß, dass Kommunikation und Teamarbeit das A und O für Erfolg sind. Er liebt das Netzwerken und pflegt Kontakte zu Politik und Wirtschaft. Im Werk legt er großen Wert auf Team-Building, organisiert Workshops und lädt Mitarbeiter ein, innovative Vorschläge zu machen. Seinen Führungsstil beschreibt er als offen, transparent, aber auch konsequent. „Ich lege auch Wert auf fachliche Kompetenz.“ Fast 3000 Mitarbeiter arbeiten im Berliner Werk, davon zählen rund 2100 zur Stammbelegschaft. Nicht nur 25 Motorrad-Modelle mit einer Tagesproduktion von fast 800 Einheiten werden in Spandau gebaut. Das Berliner Werk produziert auch sechs Millionen Bremsscheiben für die Automodelle. Es sei „eines der modernsten Produktionszentren“, betont Helmut Schramm.

"Meine Babys"

So empathisch er über Spandau spricht, so sehr schwärmt Helmut Schramm von BMW-Motorrädern und Autos. „Kann ein Produkt überhaupt emotionaler sein“, sagt er und spricht liebevoll über „meine Babys“, den BMW i3 und i8, für die er vor seinem Wechsel nach Berlin verantwortlich war. Er liebt das Autofahren. Leidenschaftlich fährt er und gern auch schnell. Was ihn fasziniert, ist die „Symbiose aus Sound, Kraft, Perfektion und Sicherheit“.

Seine beiden Kinder Nico, 22, und Anica, 17, seien auch „motoraffin“, sagt der Vater. Und er ist stolz darauf, dass Nico Leistungssport betreibt, Hockey spielt und seine Tochter ein großer Amerika-Fan ist. Trotz vollem Terminkalender versucht Helmut Schramm viel Zeit mit der Familie zu verbringen.

Es ist diese Mischung aus bayerischer Tradition, Bodenständigkeit, Innovationsfreude und der Berliner Unkonventionalität und Schnauze, die Helmut Schramm aufgrund seiner beruflichen Aufenthalte perfekt verkörpert. „Wenn man beides erleben darf, kann man alles miteinander kombinieren, die Landschaften, die Menschen und die Kulinarik.“ Wobei nur der süße Senf zur Weißwurst passt und die Pommes zur Currywurst.

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