Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: „Wir müssen es ausbaden“
Erneut wird in öffentlichen Einrichtungen gestreikt. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld. Drei Streikende berichten – und eine betroffene Mutter.
Kita, Schule, Hochschule, Behörden: Der Warnstreik im öffentlichen Dienst dürfte erneut spürbare Auswirkungen auf den Alltag vieler Hauptstadtbewohner haben. Vier Berliner erzählen, wogegen sie am Dienstag und Mittwoch protestieren – und wie die aktuelle Lage sich auf ihren Alltag auswirkt.
Sebastian Pfeifer (31), Facherzieher für Integration an einer Gemeinschaftsschule in Marzahn-Hellersdorf:
„Wir wollen so viele angestellte Lehrer und Erzieher wie möglich für den Streik gewinnen, denn sie haben eine besondere Stellung in Hellersdorf. Der Bezirk ist von einer sozialen Verelendung bedroht, daher ist die Vermittlung von Wissen, aber auch eines menschlichen Umgangs miteinander, so wichtig.
Ein normaler Personalaufwand ist hier nicht mehr genug. Denn immer mehr Kinder brauchen mehr Personal, mehr Einzelförderung und mehr Einzelunterricht, und das von 8 bis 16 Uhr. Mit einem normalen Personalaufwand ist dies kaum noch umsetzbar.
Außerdem wollen wir auf eine Ungerechtigkeit aufmerksam machen: Die Situation bei uns ist in etwa die gleiche wie in einem Förderzentrum mit Schwerpunkt „Lernen“. Aber aufgrund der schwierigen Situation ist die Bezahlung dort anders als an Regelschulen. Bei uns müssen mehr Kinder betreut werden und die Bezahlung ist schlechter. Doch auch hier ist die Situation ständig unberechenbar, mal fliegen Gegenstände durch die Gegend, mal müssen wir in körperliche Auseinandersetzungen eingreifen.
Was den Streik betrifft, sind die Eltern bisher sehr neutral eingestellt. Sie machen sich gegenseitig auf den Streik aufmerksam und kümmern sich gemeinsam um eine Betreuung der Kinder. Es herrscht eine gewisse Solidarität unter den Eltern, wodurch sie uns auch unterstützen.“
Natascha von Pentz (28), Studentin der Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft und Mutter eines zweijährigen Sohnes:
„Derzeit werden Streiks nur sehr spontan angekündigt. Das ist für uns schon die erste Hürde: Mein Mann und ich studieren beide, die Omas arbeiten. Wir haben überhaupt keine Hilfe und können uns auf nichts verlassen. Im Falle eines Streiks kann ich nicht zu meinem Studentenjob oder zum Lernen in die Bibliothek gehen. So wird es auch diese Woche sein: Ich muss zu Hause bleiben und kann nicht für meine Prüfungen lernen. Einen Babysitter können wir uns nicht leisten, aber für die organisierte Notbetreuung ist unser Sohn zu jung. Von Seiten der Uni gibt es nur eine Betreuung durch Elterninitiativen, aber bis Schöneweide ist es von uns sehr weit.
Die Lage ist außerdem schwierig für unseren Sohn, den Streiks immer wieder aus dem Alltag reißen. Wenn wir morgens zur Kita gehen, sagt er manchmal: „Die sind doch gar nicht da, die streiken!“ Er ist dann unsicher, ob überhaupt jemand vor Ort ist. Außerdem fällt es ihm morgens ohnehin immer schwer anzukommen, besonders nach dem Wochenende. Wenn die Kita ausfällt, ist das für ihn eine emotionale Herausforderung. Seine Freunde kann er dann auch nicht sehen.
Ich verstehe die Streikenden sehr gut, denn ich war selbst schon als Erzieherin tätig. Aber die Bedingungen waren einfach zu schlecht. Ich will, dass die Erzieher mehr Anerkennung und mehr Geld bekommen, denn sie übernehmen eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Aber trotz ihrer Leistung wird der Beruf sehr unattraktiv gestaltet.
Den Streik unterstütze ich, aber ich frage mich, was wir als Eltern tun können. Der Streik soll sich lohnen. Dafür wollen wir mehr Öffentlichkeit schaffen. Auch andere Eltern finden den Streik gut und richtig. Trotzdem fragen sich viele, wo sie als Eltern bleiben, denn wir sind die Leidtragenden, die es ausbaden müssen. Alle sehen, dass die Erzieher einen großartigen Job machen, und wünschen uns, dass ihre Forderungen erfüllt werden – auch damit man wieder ruhig schlafen kann.“
Jurik Stiller (32), Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Lehrkräftebildung an der Humboldt-Universität sowie Teil des Leitungsteams der Abteilung Wissenschaft der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin:
„An Universitäten arbeiten natürlich auch viele Menschen in niedrigen Entgeltgruppen, zum Beispiel in Sekretariaten. Dafür bekommen sie jeweils eine halbe Stelle aus der Entgeltgruppe E6 bezahlt. Daher sind sie oft für zwei Professuren tätig, um eine ganze Stelle zu haben. Diese Konstellation erzeugt aber oft Überlastung beziehungsweise Überlastungsgefühle. Aus gewerkschaftlicher Sicht fordern wir daher eine deutliche Anhebung der Entlohnung innerhalb der Universitäten.
Die HU hat über viele Sparrunden beim Personal extrem an Substanz verloren, die Überlastung ist enorm. Hohe Krankheitsstände vertiefen das Problem, aber die Grundproblematik ist immer da. Wenn wir viele Menschen mobilisieren, stünde die HU still. Als Gewerkschafter will ich an der Uni mobilisieren, aber der Streikaufruf kommt oft nicht an oder geht unter. Wir haben hier ein Mobilisierungsproblem.
Doch wenn nur wenige Personen streiken, ist der Leidensdruck für die Unis relativ gering. Die Streikenden wollen zwar nicht, dass der Streik den Studierenden schadet, aber es ist unvermeidbar, dass jetzt Prüfungen und Beratungstermine ausfallen und Hausarbeiten nicht kontrolliert werden. Allerdings erhöht das nicht unbedingt den Druck auf die Arbeitgeber.
Der Warnstreik erfolgt vor der nächsten Verhandlungsrunde. Er zeigt die Solidarität vor allem mit den Streikenden des Sozial- und Erziehungsdienstes und Unterstützung für die Verhandlungsführer. Aufgrund der gut gefüllten Steuersäckel und des hohen Drucks, den unsere Streiks aufbauen, hoffe ich auf eine baldige Lösung. Wir wollen ja nicht primär, dass die Studierenden leiden, Unterricht ausfällt oder Kinder nicht betreut werden. Unsere Berufe machen uns Spaß. Solche Streiks lassen sich aber selten komplett vermeiden. Wir hoffen zwar, dass schnell ein Ergebnis vorliegt. Doch die Gesprächsbereitschaft der Gegenseite ist natürlich ein einschränkender Faktor. Sonst gibt es eben weitere Streiks.“
Anne Albers, angestellte Lehrperson an der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule in Neukölln und Mitglied der Bezirksleitung der GEW Neukölln und im Landesvorstand sowie der Tarifkommission der GEW Berlin:
„Ich bin angestellte Lehrerin in Neukölln und streike auch für meine Kollegen im Sozial- und Erziehungsdienst. Es ist zutiefst sexistisch, dass diese meist von Frauen ausgeübten Berufe so gering bezahlt sind. Klar, formal liegt das am Tarifrecht. Aber was ist uns wirklich wichtig als Gesellschaft? Frühkindliche Bildung und soziale Arbeit sind in meinen Augen ebenso wie Pflege viel mehr wert für den sozialen Frieden als zum Beispiel die Finanzbranche, wo sich die Topverdiener tummeln. Und noch etwas ist mir wichtig: Dass die Arbeitgeber die längst überfälligen Entgelterhöhungen im Sozial- und Erziehungsdienst jetzt kofinanzieren wollen über geringere Erhöhungen für alle Beschäftigten, finde ich einen Skandal. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst so gegeneinander auszuspielen, hat mit guter staatlicher Ordnung nichts mehr zu tun.
An der Fritz-Karsen-Schule im Neuköllner Ortsteil Britz werden wir am Dienstag und Mittwoch wieder mit vielen Kollegen streiken – und wollen auch diesmal wieder den Laden dichtmachen. Es geht uns dabei auch um die Bildungsbedingungen unserer Schüler. In den letzten Jahren wurden unsere Unterrichtsstunden von 21 auf 26 beziehungsweise 28 an der Grundstufe erhöht, dazu kommen die massive Arbeitsverdichtung und viele sinnlose Tätigkeiten. Ich verschwende täglich viel wertvolle Zeit mit Bürokratie, Papierstau im Kopierer oder auf der Suche nach einem funktionierenden Beamer.
Unsere Schüler haben Verständnis für unseren Arbeitskampf. Wir haben über den Streik gesprochen. Ich war erstaunt, wie deutlich die Schüler unsere schlechten Arbeitsbedingungen zu spüren bekommen. Sie sagten mir, dass sie es genau merken, wenn wir müde sind, weil wir bis spät abends noch korrigiert oder uns Mühe für eine gute Unterrichtsplanung gemacht haben. Oder wenn wir krank zur Schule kommen, damit die Klausurübung nicht ausfällt. Und sie haben schon mehrfach miterlebt, dass ihre engagierten Lehrpersonen irgendwann psychisch ausgebrannt waren oder andere gesundheitliche Probleme bekommen haben. Das zeigt deutlich, dass es so nicht weitergehen kann. In diesem Streik geht es auch um bessere Bedingungen in der Bildung!“
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