Kinderärzte überlastet wegen Angst vor Corona: „Wir können nicht alle Kinder gegen Grippe impfen“
Die Kinderarztpraxen sind voll wegen Patienten mit leichten Symptomen. Ärzte widersprechen Jens Spahn – und raten von Grippeimpfung für die Jüngsten ab.
Es ist Spätsommer mit angenehmen Temperaturen, doch die Kinderarztpraxen in Berlin und anderswo sind voll. Grund dafür ist nicht Covid-19, auch keine beginnende Grippewelle – sondern schlicht „milde und harmlose Symptome“, wie Kinder- und Jugendarzt Jakob Maske, Sprecher vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), es ausdrückt.
Eltern, Lehrer und Erzieher sind verunsichert: Ist es nur ein Schnupfen, ein Halskratzen oder Covid-19?
„Momentan kommen die Patienten wegen Kleinigkeiten“, sagt Maske. Noch reichten die Kapazitäten. „Aber wenn der Herbst kommt, können wir wirklich nicht jeden Schnupfen behandeln“. Deshalb ist Jakob Maske froh, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) jetzt ein Leitsystem entwickelt hat, an dem sich Eltern, Lehrer und Erzieher im Krankheitsfall eines Kindes orientieren können.
Eine Infografik, zu finden auf der Webseite der Senatsverwaltung für Bildung, zeigt anhand einer Art Ampelsystem, wie Eltern sich bei Erkrankung eines Kindes verhalten sollen.
Hat das Kind nur Schnupfen und Husten, aber kein Fieber, das heißt eine Körpertemperatur bis 37,5 Grad, kann es mit diesen milden Symptomen trotzdem weiterhin den Schulunterricht oder die Kita besuchen. Das alles würde laut der Grafik in den grünen Bereich fallen.
Hat das Kind zusätzlich zum Schnupfen oder Husten eine erhöhte Temperatur (bis 38,5) darf das Kind die Schule oder Kita nicht besuchen und muss mindestens 24 Stunden zu Hause bleiben. Dies fällt in den gelben Bereich. Sollte das Fieber nicht abklingen oder sich der Gesundheitszustand verschlechtern, soll ein Arzt konsultiert werden.
Die Kinderärzte entscheiden, ob getestet wird
Hierbei bitten die Kinderärzte um eine telefonische Anmeldung mit Beschreibung der Symptome, damit im Wartezimmer keine Patienten angesteckt werden können. Der Arzt entscheidet dann, ob ein Corona-Test erfolgen soll. Bis zur Übermittlung des Testergebnisses muss das Kind zu Hause bleiben. Fällt der Test negativ aus und bleibt das Kind 24 Stunden symptomfrei, kann es die Schule oder Kita wieder besuchen.
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Ist das Ergebnis positiv, ordnet das Gesundheitsamt eine Quarantäne an. Schule, Kita und Kontaktpersonen müssen informiert werden.
Anders verläuft es, falls das Kind gleich zu Beginn für Corona typische Symptome aufweist. Kommen Abgeschlagenheit, Muskel- und Gliederschmerzen, anhaltender Husten, Kurzatmigkeit oder eine Störung des Geruchs- und Geschmackssinns dazu, darf das Kind keinesfalls eine Betreuungseinrichtung besuchen. Eltern sollen sich an eine Teststelle oder einen Kinder- und Jugendarzt wenden. Das würde alles in den roten Bereich fallen.
Jens Spahn hatte zur Grippeimpfung bei Kindern aufgerufen
Jakob Maske hofft, dass dieser Leitfaden dazu beiträgt, die Praxen zu entlasten. Außerdem wäre er froh, wenn Schulen und Kitas von ständigen Wünschen nach Attesten und Gesundschreibungen absehen würden.
Auch von der Forderung, in diesem Herbst möglichst viele Kinder gegen Grippe zu impfen, hält der Kinderarzt wie die meisten seiner Kollegen wenig.
Nur 25 Millionen Impfdosen gegen Grippe bundesweit
Seit dem vergangenen Wochenende gebe es dazu etliche Anfragen von Eltern. „Wir haben in Deutschland momentan nur 25 Millionen Impfdosen gegen Grippe zur Verfügung und können deshalb nicht alle Kinder gegen Grippe impfen“, sagt Jakob Maske. Der Vorrat an Impfdosen müsse Alten, Kranken und anderen Risikogruppen vorbehalten bleiben. Sind diese Gruppen geimpft, könnten sie auch nicht von einem Kind angesteckt werden.
Zuletzt hatten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sowie der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, Johannes Hübner, gefordert, möglichst viele Kinder in diesem Herbst gegen Influenza zu impfen. Maske sieht keine auffällige Ansteckungsgefahr, die von Kindern ausgeht. „Kinder sind keine Superspreader.“