Interview mit dem Bürgermeister von Neukölln: „Wir haben ein Antisemitismus-Problem"
Am Mittwoch kam es am Hermannplatz bei einer geplanten Demo zu einem antisemitischen Zwischenfall. Der Tagesspiegel hat mit Neuköllns Bürgermeister darüber gesprochen.
An der Fasanenstraße gab es am Mittwoch keine Zwischenfälle bei der Demonstration „Berlin trägt Kippa“, am Hermannplatz schon. Einem Teilnehmer wurde die Israel-Flagge weggerissen, die Kundgebung wurde laut Polizei anders als geplant ohne Umzug beendet. Der Täter war ein 21-jähriger syrischer Flüchtling, gegen den jetzt ermittelt wird. Anruf beim Neuköllner Bürgermeister Martin Hikel (SPD).
Herr Hikel, irgendwie hat man schon damit gerechnet, dass in Neukölln was passiert.
Ich will das gar nicht kleinreden, wir haben auch ein Antisemitismus-Problem in Neukölln. In Wirklichkeit haben wir es aber in der ganzen Stadt. Antisemitismus zeigt sich auch in rechten Parolen, in Kapitalismuskritik, in Israel-Kritik, es gibt viele Facetten.
In Neukölln leben sehr viele Muslime.
Wir haben eine große muslimische Community. Das heißt aber nicht automatisch, dass in dieser ganzen Community antisemitische Muster bestehen. Richtig ist aber, dass teilweise der Nahostkonflikt hierher verlagert wird, auch auf die Schulhöfe. Die Kinder wissen oft gar nicht, was es bedeutet, wenn sie „Du Jude!“ als Schimpfwort verwenden.
Was muss geschehen?
Politische Bildung muss ganz früh ansetzen. Politik als Schulfach wird es ab Mittelstufe geben, und das ist richtig so. Wenn man einen Schüler fragt, warum er gegen Israel ist, dann weiß er darauf oft gar keine Antwort.
Welche Akteure außer der Schule gibt es?
Alle Neuköllner Integrationsprojekte, wie die Stadtteilmütter, haben einen Auftrag der Demokratiebildung. Man muss lernen, Konflikte auszuhalten. Diskriminierung ist mit unseren Grundwerten unvereinbar. Das ist Konsens bei allen Projekten im Bereich Integration.
Sind Juden in Neukölln in Gefahr?
Nein. Andererseits geben sich viele Menschen jüdischen Glaubens nicht im Alltag zu erkennen, deswegen war die Demonstration so wichtig: endlich jüdisches Leben sichtbar machen, damit es zu einem gewohnten Anblick und zur Normalität werden kann.