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Wenn die Corona-Impfungen in Hausarztpraxen stattfinden sollen, müssen diese gut vorbereitet werden.
© Ole Spata/dpa

Impfskeptiker in Berlin: "Windpocken sind nicht harmlos für die Schwachen"

Nur 83,2 Prozent der Kinder sind bei Schuleintritt gegen Windpocken geimpft. Warum es besonders sinnlos ist, wenn Eltern gerade diese Impfung weglassen.

Das Thema Impfen ist eines, das unter Eltern zu heftigen Diskussionen führen kann. Kürzlich hatte das Gesundheitsamt Kleinmachnow mehreren Kindern einer Waldorfschule und -kita den Zutritt verwehrt, weil diese nicht gegen Windpocken geimpft waren. Möglich, dass deren Eltern konsequente Impfgegner sind – die ihre Kinder nicht einmal gegen gefährliche Kinderkrankheiten wie Masern oder Mumps impfen lassen. Doch bei Windpocken verhält es sich manchmal anders. Diese Impfung wird – vereinzelt – auch von Eltern weggelassen, die an sich Impfbefürworter sind, jedoch nicht den Sinn einer Windpocken-Impfung erkennen. Tatsächlich fällt die Impfquote gegen das Varizella-Zoster-Virus, das die Krankheit auslöst, in Berlin deutlich geringer als bei Masern aus. Nur 83,2 Prozent der Kinder haben bei Schuleintritt den kompletten Impfschutz erhalten. Gegen Masern sind immerhin 92,6 Prozent der Schüler vollständig geimpft.

Schwangere können bei einer Infektion ihr Baby verlieren

Denn viele Eltern tun Windpocken als „harmlose“ Kinderkrankheit ab, die sie häufig auch selbst durchgemacht haben. Andere werden vielleicht erst durch diverse impfkritische Internetartikel oder Gespräche mit anderen Eltern verunsichert – und bitten dann den Kinderarzt, mindestens diese eine Impfung wegzulassen, worauf sich manche Mediziner auch einlassen.

Auch Kinderarzt Martin Karsten, der in Wilmersdorf eine Gemeinschaftspraxis betreibt, bemerkt bei einzelnen Eltern eine besondere Skepsis gegenüber der Windpocken-Impfung. Bei der Beratung dramatisiere er allerdings die Krankheit nicht. „Ich sage ganz ehrlich, dass eine Infektion in den allermeisten Fällen harmlos verläuft, betone aber die gesellschaftliche Relevanz einer Impfung“, erklärt Karsten. Denn bei der Windpocken-Impfung stehe anders als bei anderen Impfungen nicht der Individualschutz, sondern die Herdenimmunität im Vordergrund. „Man schützt dadurch andere Personen. Immungeschwächte, bei denen eine Krankheit zu schweren Komplikation führen kann“, erklärt Karsten. Das sind zum Beispiel Personen mit einem Krebsleiden, Erkrankte, die eine Cortison-Therapie machen müssen, oder Neugeborene. Schwangere können außerdem bei einer Infektion ihr Baby verlieren. Komplikationen wie Lungenentzündungen oder Hirnhautentzündungen treten in 5,7 Prozent der Infektionen auf. Diese verlaufen mitunter schwer bis hin zu stationären Krankenhausaufenthalten.

Für Erwachsene ist die Krankheit schmerzhafter und gefährlicher

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit 2004 die Impfung gegen das Varizella-Zoster-Virus (seit 2009 mit zwei Dosen), da wegen des hohen Ansteckungsrisikos die Krankheit immer wieder epidemieartig auftreten kann. Neun von zehn ungeschützten Personen, die Kontakt zu einem Infizierten haben, stecken sich an. Wären 95 Prozent der Bevölkerung geimpft, könnte die Krankheit ausgerottet werden. Geimpfte profitieren außerdem zweimal, da es für sie eher unwahrscheinlich ist, im Erwachsenenalter an einer schmerzhaften Gürtelrose zu erkranken, die ebenfalls durch das Virus ausgelöst werden kann. So oder so tun Eltern ihren Kindern keinen Gefallen, wenn sie sie nicht impfen. Seit der Einführung weltweiter Impfprogramme ist die Krankheit um 89 Prozent zurückgegangen. Auch in die Praxis von Kinderarzt Karsten kämen nur noch „sporadisch“ an Windpocken erkrankte Kinder zur Behandlung. Bewegt man sich also nicht in anthroposophischen Zirkeln, in denen vereinzelt sogar sogenannte Windpocken-Partys veranstaltet werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind im Kindesalter erkrankt, relativ gering.

Im Erwachsenenalter verlaufe die Krankheit dann aber umso schmerzhafter und das Risiko von Komplikationen sei ebenfalls höher, erklärt Karsten. Wer seine Tochter jetzt nicht impfe, riskiere beispielsweise, dass sie sich während einer Schwangerschaft infiziert. Bei Kinderarzt Karsten in Wilmersdorf nehmen die allermeisten Eltern nach einer Beratung, die von der STIKO empfohlenen Impfungen gerne an.

Beim viel diskutierten Thema Impfpflicht ist der Arzt hin- und hergerissen. Wichtiger sei es, Hürden abzubauen: „Für Familien mit sprachlichen oder anderen sozialen Barrieren ist es oft schwer, Impftermine zu vereinbaren und diese auch wahrzunehmen.“ Besser sei es, Kinder in Kitas und Schulen impfen zu lassen. An tatsächliche Impfgegner, die allerdings nur einen sehr kleinen Prozentteil ausmachten, komme man so oder so nicht heran.

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