Erst Olympia-Dorf und dann Wohnungen: Willkommen auf der olympischen Meile von Tegel
Bausenator Geisel schreitet mit seinem Staatssekretär das Flugfeld Tegel ab und erzählt vom geplanten olympischen Dorf: 5000 Wohnungen für 17 000 Athleten – und danach für die Berliner. Jetzt muss nur noch der BER fertig werden.
Eine Stunde vorm Abheben sollte man schon da sein, am Airport Tegel. Deshalb hatten Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel und Engelbert Lütke Daldrup, sein Staatssekretär und designierter Aufsichtsratschef des BER, den Termin zum Check-In auf neun Uhr gelegt. Eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, denn am Gate bildete sich keine Schlange und den Sicherheitsscan durchliefen die Journalisten wie im Fluge. Kurz nach neun standen sie dann im frostigen Winterwind am Fuße von Tegels Tower und unkten: „Das ist Teil des Plans, wir sollen uns alle eine Grippe holen, dann können wir nichts Schlechtes mehr über Berlins Olympiabewerbung schreiben“
Erst knapp eine Stunde später begann die Werbung des Senats für Berlins Bewerbung um die Austragung der Spiele 2024. An diesem Montag ging es um die Vision eines olympischen Dorfes auf dem Flughafen-Gelände in Tegel.
Spätestens 2018 soll Tegel stillgelegt werden
Noch donnern hier Passagiermaschinen über den Himmel. Platz für Olympia und Paralympia gibt es in Tegel frühestens, wenn der BER öffnet – und „Tagesspiegel-Checkpoint“-Leser wissen, nicht die Tage bis zu dessen Eröffnung sind gezählt, sondern die seit deren Absage – fast 1000 sind es.
„Ich bin da ganz entspannt“, sagt BER-bald-Chefkontrolleur Lütke Daldrup: Olympia finde 2024 statt, in zwei Jahre öffne der BER, sodass im Jahr 2018 der Umbau des dann stillgelegten Airport Tegel beginnen könne.
Der Mann hat Nerven. Wer allerdings nicht annimmt, dass schlicht gar nichts mehr passiert an Deutschlands peinlichster Baustelle in Schönefeld, muss auch bei größter Skepsis einräumen: Eine Bauzeit-Verlängerung von fünf weiteren Jahren zur Beseitigung auch kniffliger Probleme ist großzügig bemessen. Für die Tegel-Umplanung bedeutet das wiederum Zeit genug, denn „ein Haus zu bauen, dauert rund 18 Monate“, so Lütke Daldrups Rechnung, auch wenn es besonders gut gedämmt und mit Solar- und Energiespartechnik vollgestopft ist.
Zumal die Planung des Quartiers bereits im nächsten Jahr starten soll mit der Auslobung eines städtebaulichen Wettbewerbs. Zwar hielten Geisel und sein Staatssekretär am Rande des Rollfeldes schon bunte Computerbilder mit großen Wohnblöcken und Sportarenen in die Kameras. Doch das seien nur „Ideenskizzen“, die beweisen sollen, dass Platz genug ist für Sportler sowie olympische und paralympische Einrichtungen. Ob auch eine Halle, eine Schwimmanlage oder ein Sportplatz für die Wettbewerbe dort entstehen, wird erst im Dezember entschieden – falls die Berliner die Spiele wollen und der Deutsche Olympische Sportbund Berlin den Zuschlag erteilt.
Infrastruktur soll den Kiezbewohnern erhalten bleiben
Geisel will sie unbedingt, „kleinmütig“ nennt er die Gegner, verspricht den gewaltigen Sanierungsstau bei Kitas, Schule sowie Berlins Straßen und Infrastruktur außerdem aufzulösen und sieht bereits einen „Vorteil für Berlin bei Umfragen auf Bundesebene“. Im Übrigen sei auch die Stimmung in Hamburg ein ähnlicher „Unsicherheitsfaktor“ wie in Berlin.
Kann Berlin aber wirklich alles gleichzeitig? Eine Milliarde Euro kosten die 5000 Wohnungen für die 17500 Athleten. Hinzu kommen 245 Millionen Euro für „Einrichtungen und Funktionsgebäude“, die für Olympia gebraucht werden: Empfangsgebäude, Mensa, Sportklinik und Fitness-Halle. Möglichst viel davon soll nach den Spielen den Kiezbewohnern erhalten bleiben, der Rest für 145 Millionen Euro „zurückgebaut“ werden – das IOC trage die Kosten dafür.
„Neu für mich ist, wie nahe dran an der Stadt das hier ist“, sagt Geisel beim dritten Halt des Busses. Da ist die Gruppe an der Julius-Leber-Kaserne „Quartier Napoléon“ vorbeigefahren, die jenseits des Sicherheitszauns liegt. Dazwischen liegt der Kurt–Schumacher-Damm, den Autos in Richtung Wedding hinunter donnern. Grenzt Reinickendorf neuerdings an Mitte? Nein, aber mit „den Öffentlichen“ sind es tatsächlich nur 14 Minuten bis zur Friedrichstraße, simst eine Kollegin am Mittag ihren Erfahrungsbericht. Mit dem Auto dauert es länger.
Das Quartier soll auch ohne Olympia kommen
Wer allerdings Mitte der 2020er-Jahre im olympischen Quartier leben wird, dürfte sich weniger nach Mitte als zum Kurt-Schumacher-Kiez orientieren und außerdem Wald, Wasser und Ruhe suchen: 200 Hektar groß ist das Landschaftsgebiet, das an die Siedlung grenzt und erst richtig sichtbar werden dürfte, wenn das letzte Flugzeug hier entlangflog.
Und was ist, wenn die Berliner Olympische und Paralympische Spiele abwählen? Dann kommt das Quartier auch, nur langsamer, in Bauabschnitten. Von „Sowieso-Kosten“ spricht Bausenator Geisel deshalb. Ebenfalls nicht aufzuhalten ist der Plan für das südlich von dem Quartier gelegene, durch einen grünen Landschaftstreifen (8 Hektar) von den Wohnhäusern getrennte Gebiet für moderne Industrietechnologien, die „urban Tech Republic“. Deren wichtigster Nutzer ist die Beuth-Hochschule und Geisel, der die Ingenieure jüngst besuchte, berichtet: „Die sind ganz heiß auf den Umzug.“ 15 000 Arbeitsplätze sollen in der TechRepublik entstehen, in Startups und Techfirmen.
Am Kurt-Schumacher-Platz hält der Bus noch einmal. Die Düsentriebwerke der zum Greifen nahen Flugzeuge konkurrieren mit den Dieselmaschinen von LKWs und Pendlern um die Lufthoheit im Lärmwettbewerb. Die Stadt ist hier von den Schneisen zerfurcht und es gehört viel Phantasie dazu, sich den olympischen Aufschwung auszumalen. Aber Berlin, erklärt der Bausenator, wird den neuen Siedlungsbau in Tegel mit Millionen fördern, die Hälfte der Wohnungen werden Sozialbauten – das passt.