50. Jahrestag der Ermordung: Wie West-Berlin um John F. Kennedy trauerte
In diesen Tagen jährt sich das Attentat auf John F. Kennedy: Vor 50 Jahren wurde er in Dallas erschossen. Die Menschen in West-Berlin reagierten geschockt und mit tiefer Trauer. Hunderttausende stellten Kerzen in die Fenster und trugen sich in die Kondolenzlisten ein.
Die erste Nachricht vom Attentat in Dallas ratterte um 19.43 Uhr aus den Fernschreibern, 13 Minuten nach der Tat. Eine „Eilmeldung“ von UPI: „Auf Präsident Kennedy sind am Freitag in Dallas in Texas drei Schüsse abgefeuert worden. Der Präsident soll ernstlich verwundet worden sein.“ Danach jagten die Agenturen eine Nachricht nach der anderen durch den Ticker, bis um 20.24 Uhr eine „Blitzmeldung“ von dpa traurige Gewissheit gab: „Kennedy tot.“ Die Kunde von der Ermordung des amerikanischen Präsidenten am 22. November 1963 löste Schockwellen aus, die um den ganzen Erdball rasten. In New York riefen Menschen die im Radio gehörte Nachricht aus den Fenstern auf die Straße hinunter, Passanten brachen in Tränen aus. Die Wallstreet verzeichnete Kurseinbrüche von umgerechnet 40 Milliarden D-Mark, bevor der Handel vorzeitig eingestellt wurde. Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow beendete umgehend einen Aufenthalt in der Ukraine und kehrte nach Moskau zurück, und der Papst begab sich nach der Todesbotschaft sofort in seine Privatkapelle, um für den Ermordeten zu beten. Besonders tief aber traf die Nachricht aus Dallas die Menschen in West-Berlin. Wenige Monate zuvor, bei Kennedys Besuch am 26. Juni 1963, hatte sie ihm noch zugejubelt, war er mit seinem berühmten „Ich bin ein Berliner“ für sie endgültig zur Lichtgestalt, zum Hoffnungsträger, wenn nicht Erlöser aus dem eisigen Dunkel des Kalten Krieges aufgestiegen. Und nun war er tot, erschossen, ermordet. Die Stadt verfiel in eine kollektive Trauer, eine abgrundtiefe Betroffenheit, deren spontane Äußerungen der am nächsten Tag folgenden offiziellen Aufforderungen nicht bedurft hätten.
Studenten der Freien und der Technischen Universität hatte die Nachricht auf dem Internationalen Studentenball im Hotel Hilton, dem heutigen Interconti, überrascht, der daraufhin abgebrochen wurde. Die Teilnehmer sammelten sich vor dem Studentenhaus am Steinplatz, erhielten rasch Zulauf, Fackeln wurden herbeigeschafft. Gegen Mitternacht formierte sich ein Trauerzug, bis zu zwei Kilometer lang, der sich langsam durch die Stadt zum Rathaus Schöneberg schob, dem Ort von Kennedys schon damals legendärer Rede. 50 000 Menschen versammelten sich dort, um des toten Präsidenten zu gedenken. Nach einem Studentenvertreter sprach der Regierende Bürgermeister Willy Brandt: „Gerade wir in Berlin trauern, weil wir unseren besten Freund verloren haben.“
Als Kennedy starb, schlossen in Berlin die Tanzlokale
Überall in der Stadt spürte man den Schock, unter dem die Berliner standen, sah Menschen, die schweigend aus den Theatern strömten, die ihre Vorstellungen abgebrochen oder zumindest die Zuschauer informiert hatten. Tanzlokale schlossen, Varietés machten dicht. Auf den Straßen wurden Funkstreifen von verstörten Menschen angehalten, die um Rat baten, wie man sich denn nun verhalten solle. Und im Tagesspiegel rief eine Leserin an, die sich anbot, als Schreibkraft die Redaktion zu unterstützen. Am folgenden Tag rief Brandt die Menschen auf, zum Zeichen der Anteilnahme zwischen 19 und 20 Uhr brennende Kerzen ins Fenster zu stellen. Das hatten viele Berliner schon am Vorabend von sich aus getan und wiederholten es nun hunderttausendfach. Auch an den Fahrkartenschaltern der U-Bahn standen Kerzen, sogar an denen „der der Sowjetzonen-,Reichsbahn’ unterstehenden S-Bahn“, wie der Tagesspiegel berichtete. Auf ihre sonst übliche Reklamebeleuchtung hatten viele Geschäfte verzichtet.
Der Rudolph-Wilde-Platz vor dem Rathaus Schöneberg, wie er da noch hieß, wurde auch an diesem Abend zum Ziel eines Trauerzuges, nun vom Berliner Berufsschulparlament, dem sich das Schülerparlament angeschlossen hatte. Etwa 40.000 Teilnehmer, meist Jugendliche, sollen es gewesen sein. Der Senat hatte mittlerweile auf Halbmast flaggen lassen und eine Verordnung erlassen, wonach Sport- und Festveranstaltungen, der Betrieb von Spielhallen und -casinos sowie „öffentliche Tanzlustbarkeiten“ bis zum Tag der Beerdigung verboten seien.
250.000 Menschen kamen zur Trauerfeier
Die Berliner US-Garnison erwies ihrem ermordeten Oberkommandierenden mit einer Trauerparade vor den McNair Barracks an der Lichterfelder Goerzallee die letzte Ehre. Rund 2000 Soldaten defilierten am Tag nach der Tat am amerikanischen Stadtkommandanten, General James H. Polk, vorbei, zu Fuß, in Schützenpanzern, Selbstfahrlafetten, Panzern, und über 3000 Berliner schauten zu. Vertreter der Sowjets waren eingeladen worden, aber nicht erschienen. Noch lautstärker wurde vor dem US-Headquarter an der Dahlemer Clayallee Kennedys gedacht. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schossen 10,5-Zentimeter-Haubitzen im Abstand von 30 Minuten Salut.
Den Höhepunkt erreichten die Trauerfeierlichkeiten am Abend des 25. November, wiederum vor dem Rathaus Schöneberg, zur selben Zeit, als in Arlington Präsident Kennedy zu Grabe getragen wurde. Schon anderthalb Stunden vor der Trauerfeier war der Platz gefüllt, weit über 250.000 Menschen waren gekommen. Hunderte von Blumensträußen und Kränzen lagen vor dem Portal des Gebäudes, dazwischen viele Beileidsbriefe an die Witwe und mit Trauerflor umkränzte Fotos des Toten. In die Kondolenzlisten, die im Rathaus und davor ausgelegt worden waren, hatten sich da bereits 130 000 Berliner eingetragen. In langen Schlangen hatten sie gewartet, bis die Reihe an ihnen war.
Die US-Armee und die Schutzpolizei hatten Ehrenformationen entsandt, ein Musikkorps der Polizei spielte „Ich hatt' einen Kameraden“. Danach sprachen Parlamentspräsident Otto Bach und Bürgermeister Heinrich Albertz, würdigten den Toten, beschworen sein Vermächtnis, und Albertz vollzog die angekündigte, bereits am Abend des Attentats beim Zug der Studenten vorgeschlagene Umbenennung des Rudolph-Wilde-Platzes in John-F.-Kennedy-Platz. Nach einer Schweigeminute erloschen alle Lichter, Scheinwerfer, Laternen – nur zwei amerikanische Trompeter waren noch angestrahlt, der eine auf dem Balkon des Rathauses, der andere auf dem Dach eines Hauses gegenüber, und bliesen den Zapfenstreich der US-Armee. Auch danach verharrten die Menschen in Schweigen, lauschten dem Geläut der Freiheitsglocke, und es dauerte noch minutenlang, bis sie auseinandergingen.
Am 22. Januar 1992 wurde in Berlin die Premiere von „JFK“ gefeiert, Oliver Stones Spielfilm über den Kennedy-Mord. Als Partyort hatte man ein Gebäude gewählt, an dem US-Justizminister Robert Kennedy am ersten Jahrestag des Berlin-Besuchs seines Bruders eine Gedenktafel enthüllt hatte: das Rathaus Schöneberg.