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Ungleiches Paar. Der Sozialarbeiter Fadi Saad und der Polizist Karlheinz Gaertner haben zusammen ein Buch über Neukölln geschrieben: „Kampfzone Straße – Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen“ erscheint Ende April im Herder-Verlag
© Kai-Uwe Heinrich

Buch "Kampfzone Straße": Wie sich die Jugendgewalt eindämmen ließe

Schlagen, stechen, ausrauben: Die Gewalt auf Berlins Straßen macht vielen Angst - doch was lässt sich dagegen tun? Ein Polizist und ein ehemaliges Gang-Mitglied suchen in einem Buch gemeinsam nach Auswegen.

Tödliche Messerstiche nach einer banalen Bolzplatz-Rangelei, tödliche Schüsse auf offener Straße – nach den tragischen Vorfällen der vergangenen Wochen in Neukölln mit zwei toten und weiteren verletzten Jugendlichen ist die Frage drängend, was gegen die alltägliche Gewalt auf der Straße getan werden kann. Mehr gegenseitiges Verstehen, Empathie und Respekt sind einige der Antworten von zwei Berlinern, deren Lebensweg nicht gegensätzlicher sein könnte. Der Polizeihauptkommissar Karlheinz Gaertner und der aus einer palästinensischen Familie stammende Fadi Saad stellen ihre Vorschläge jetzt in einem Buch vor: „Kampfzone Straße. Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen“.

Tödliche Schüsse in Neukölln:

Verarbeitet haben der 60-jährige Dienstgruppenleiter eines Neuköllner Abschnitts und der 32-jährige Saad, die lange Jahre auf verschiedenen Seiten standen, ihre gemeinsamen Erfahrungen mit einer zunehmenden Brutalität von Jugendlichen, der selbstherrlichen Rechtsferne einer migrantischen Minderheit und den Mechanismen, die ein Abgleiten in eine kriminellen Karriere erleichtern. Sie sind überzeugt, dass man etwas dagegen tun kann.

Gemeinsam haben sie einen Alarmruf an die Politik formuliert, weil die bisherigen Mittel nicht ausreichend seien, um die Gewalt zu stoppen und Jugendliche zur Räson zu bringen. „Es ist verrückt, aus welcher Nichtigkeit heraus hier Menschen niedergestochen werden“, kann sich Hauptkommissar Gaertner auch nach 40 Dienstjahren noch ereifern. Gemeinsam mit Saad stellt er das Buch am Donnerstag im Neuköllner Rütli-Campus vor; auch Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky wird bei der schon ausgebuchten Veranstaltung anwesend sein.

Fadi Saad schlug einst selbst zu

Fadi Saad, inzwischen Quartiersmanager in Moabit, hat an sich selber erfahren, wie diese Jugendlichen ticken, mit denen sich die Polizei herumschlagen muss. Fehlende Anerkennung und mangelnde Perspektiven haben ihn einst zum Mitglied der „Araber Boys 21“ werden lassen. Gewalt gehörte zu seinem früheren Leben: Er schlug zu, er benutzte ein Messer, er beraubte andere Jugendliche – und die Schule war nur eine gänzlich bedeutungslose Randerscheinung. Einen abschreckenden und wehrhaften Rechtsstaat, das beklagen Gaertner und Saad, erfahren die Jugendlichen zu selten. Immer wieder stand Fadi Saad vor Gericht – wegen Körperverletzung, Nötigung oder Raub, doch immer wieder beließen es die Richter mit Verwarnungen und einigen Stunden gemeinnütziger Arbeit. Oft genug gab es einen Prozess erst etliche Monate nach der jeweiligen Tat, als die Erinnerung längst verblasst war und eine Reue erst recht. Statt Grenzen zu erfahren, werde der Rechtsstaat für diese Jugendlichen dadurch zu einer zahnlosen Sozialveranstaltung. Erst beim achten Prozess, so erzählt Saad, verhängte der Richter einen Wochenendarrest.

Sehen Sie hier Bilder zum Fall Jusef El.-A. und von der Trauerfeier:

Verändert habe sich schon einiges, gestehen Gaertner und Saad zu. Das erfolgreiche Programm gegen vielfach aufgefallene Jugendliche zeigt Wirkung; viele der brutalsten Gewalttäter sitzen nun in Haft. Beide Autoren haben das Konzept der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig unterstützt. Schneller aburteilen, härter strafen – das sei richtig, werde aber noch nicht konsequent genug umgesetzt. Der Grundsatz des Jugendstrafrechts – erziehen statt strafen – stoße an Grenzen bei den kriminellen Jugendlichen, die überwiegend aus Migrantenfamilien stammen. Wenn Erziehung nicht helfe, dann müsse Strafe sein, damit sich etwas ändere. Saad selbst hat erst in der Haft beschlossen, sein Leben zu ändern.

Die Autoren fordern mehr gegenseitige Achtung

Um die Gewalt zu stoppen, plädieren Gaertner und Saad für eine strikte Vernetzung von sozialen Einrichtungen, Behörden, Schulen und der Polizei unter Einbeziehung von Eltern und Jugendlichen. Für sie kommt den Eltern eine große Bedeutung zu. Aber auch die Schule müsse weit stärker über die Wissensvermittlung als Erziehungsagentur wirken, weil die oft bildungsfernen Eltern dies nicht leisten könnten. Beide Autoren sind aber überzeugt, dass gerade dort, wo soziale Schichten, Kulturen und Religionen aufeinanderstoßen, die Basis für Gewaltprävention mehr gegenseitiges Verstehen und Achtung ist.

„Begegnung, Respekt und die Bereitschaft, einander zuzuhören“, könnte die Formel für ein spannungsärmeres Zusammenleben sein, sagen Gaertner und Saad. Sie sehen begründete Hoffnung, dass ihre Mission gegen die Gewalt erfolgreich sein kann. Die beiden Autoren, die sich kennenlernten, als sie ein nun schon traditionelles Fußballturnier mit Mannschaften aus jugendlichen Migranten, Polizisten oder der Feuerwehr organisierten, möchten mit ihrem Buch dazu beitragen.

Kampfzone Straße – Jugendliche Gewalttäter jetzt stoppen. Herder-Verlag, ISBN 978-3-451-30472-9

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