Die Influencer-Industrie: Wie Influencer Kinder und Jugendliche umgarnen
Lucia ist zwölf. Sie liebt die Stars aus dem Netz, weil sie glaubt, dass sie ihr auf Instagram und Youtube die Wirklichkeit zeigen. Und Firmen lieben die Influencer, weil Lucia das glaubt.
Sie sind auf der Suche nach ihren Stars in diesem Einkaufszentrum am Alexanderplatz. Es ist ein Samstagmorgen im November, immer mehr junge aufgeregte Mädchen kommen durch die Eingangstüren. Drinnen warten schon Hunderte vor dem Geschäft Holymesh, das Shirts, Pullover und Rucksäcke verkauft, die von Youtubern gestaltet wurden – oder die zumindest ihren Namen dafür hergegeben haben. Einige der Youtuber sind zum Eröffnungstag des Ladens zur Autogrammstunde gekommen. Und so warten nun vor dem Laden viele auf Einlass, wie bei einem Popkonzert.
Auch Lucia ist hier im Alexa, mit ihrer Mutter, und wartet. Sie schaut durch die Glasfront in das Geschäft. Die Ersten sind bereits hineingelangt, stehen im Schein der Neonlichter inmitten von hellblauen Luftballons, die an den Regalen befestigt sind. Jugendliche mit Einkaufstüten in der Hand schießen Selfies von sich und ihrem Youtuber. Bilder, die später in Videos im Netz zu sehen sind.
Nach einiger Zeit in der Schlange verliert Lucias Mutter die Geduld. Das Mädchen wird heute keinen Youtuber treffen. Das Geschäft nicht von innen sehen. „Ich war traurig, nicht drinnen gewesen zu sein“, sagt sie, einige Monate später. Lucia ist schmal, hat lange hellbraune Haare, die weit über die Schulter reichen. Sie ist zwölf. Noch halb Kind, schon halb Jugendliche und Teil einer neuen Generation, für die die wachsende Zahl junger Menschen im Netz Vorbilder, Anbetungsfiguren, Stars sind.
Umfragen, wie jüngst eine Kinder- und Jugendstudie des Branchenverbandes Bitkom, haben ergeben, dass die Stars im Netz bei Jugendlichen mittlerweile beliebter sind als Schauspieler und Sportler. Sie sind es nicht deshalb, weil sie besonders gut in einer Fußballmannschaft Tore schießen oder in Spielfilmen Emotionen wecken können. Sie sind berühmt und beliebt, aus einem auf den ersten Blick schrägen und verkehrten Grund: weil sie einfach nur ihr Leben in die Öffentlichkeit tragen. Die Stars im Netz erreichen ein Millionenpublikum, weil sie ihren Alltag zeigen und nahbarer wirken als jeder Prominente, jeder Star der Vorgängergeneration.
Einer, der im Netz als neuer Star gefeiert wird, ist Erik Scholz. Ein 20 Jahre alter Junge, mit roten Haaren, sitzt mit Sneakers, Jeansjacke und Jutebeutel in einem Café in Moabit. Er scheint unter all den Großstädtern an diesem Morgen im April fast zu verschwinden, weil er wie alle anderen wirkt: ganz normal. Gerade ist Scholz vom Coachella-Musikfestival in der Colorado-Wüste von Kalifornien zurückgekehrt. In Los Angeles, wo er auch einige Tage verbrachte, ist es ihm mehrfach passiert, dass Menschen auf der Straße seinen Namen geschrien haben. „Eeeerik“ hat er gehört und sich umgedreht. Es waren deutsche Touristen.
Er transportiert ein Lebensgefühl
Erik Scholz betreibt einen Blog über Mode und zeigt Fotos von sich in unterschiedlichen Outfits im sozialen Netzwerk Instagram. Dort ist Scholz vor wechselnden Hintergründen zu sehen: im Café, vor Straßenzügen, auf einer Wiese im Sonnenuntergang. Es sind Bilder, die Lebensgefühle transportieren sollen; und ganz nebenbei Kleidungstücke bewerben.
Die Zahl der Menschen, die sich das ansehen – seine Follower –, hat sich in kurzer Zeit mehr als verdreifacht. Scholz kommt aus dem rund 100 Einwohner zählenden Dorf Grunau in Sachsen, Ortsteil der Stadt Roßwein bei Döbeln und knapp 50 Kilometer westlich von Dresden gelegen. Seit er im September 2016 in einem Kölner H&M-Geschäft den „Germany’s New Influencer“-Preis gewann, ging alles wahnsinnig schnell. Eine Woche später war Scholz auf der Fashion Week in London. Eine Woche darauf zog er nach Berlin.
Anfang vergangenen Jahres hatte Scholz noch rund 25.000 Follower. Allein in den vergangenen Wochen, nachdem Scholz auch noch den Preis in der Kategorie „Upcoming“ bei den größten Influencer Awards der Branche vom Online-Versandhandel „About You“ gewonnen hatte, folgten ihm rund zehntausend Jugendliche mehr. Insgesamt sind es nun knapp 80 000.
Aufgrund der hohen Followerzahlen sind Menschen wie Erik Scholz interessant für die Wirtschaft geworden. Sie gelten Unternehmen als Influencer; Personen, die andere beeinflussen können und mittlerweile mehr oder weniger offenkundige Kaufempfehlungen im Internet geben. Als Scholz die ersten 10.000 Follower hatte, begannen Unternehmen, ihm kostenlose Produkte zuzuschicken. Scholz macht Werbung für Mode und arbeitet heute mit Firmen wie Wrangler oder Vans zusammen.
In Berlin ist ein kleines Gewerbegeflecht um die Influencer herum entstanden, bestehend aus potenziellen Kunden und deren oft noch jungen Abteilungen, die von der genauso jungen Form der Werbung profitieren wollen. Wie aber funktionieren die Mechanismen dieser Werbeindustrie? Und was folgt daraus für Kinder und Jugendliche, die ihren Stars im Netz täglich folgen?
An einem Nachmittag im Frühjahr sitzt Lucia neben ihrer Mutter in einer Pizzeria in Reinickendorf. Lucia besucht im Stadtteil die sechste Klasse eines Gymnasiums und darf seit gut einem halben Jahr Youtube-Filme schauen. „Alle in meiner Klasse schauen Youtube“, sagt sie. Es klingt trotzig. Die Eltern waren zu Beginn dagegen, dass Lucia auf ihrem Smartphone Zugang zu der Videoplattform erhält. Lucias Mutter, brauner Kurzhaarschnitt, Brille, Angestellte im Jobcenter, kann mit den Inhalten in den Videos wenig anfangen. „Ich sehe keine Notwendigkeit darin, aber das ist wohl eine Generationsfrage“, sagt sie. „Wir haben früher Serien im Fernsehen geschaut. Heute folgt man irgendwelchen Menschen im Netz.“
Produkte glaubhaft vermitteln
Lucia schaut hauptsächlich sogenannte Vloggs, Video-Tagebücher, in denen junge Menschen erzählen, was sie so gemacht haben. Zu Hause verbindet sie manchmal mit einem Adapter ihr Smartphone mit dem Fernseher. Dann laufen darüber die Youtuber aus dem Netz in Großformat. Lucia findet die Videos unterhaltsam, sie müsse oft lachen, sagt sie. Kommt ihre Mutter ins Zimmer, schaltet Lucia immer gleich aus. „Das ist mir dann irgendwie peinlich“, sagt sie, den Blick auf die Tischkante gerichtet. Lucias Mutter findet die Aufnahmen albern.
Influencer lassen ihre Follower an den alltäglichsten Situationen im Leben teilnehmen, reden über Probleme und Sorgen, mit denen sich junge Menschen identifizieren können. Man kann Kommentare auf den Seiten hinterlassen und bekommt manchmal bereits Minuten später eine Antwort von seinem Star. Lucia sagt: „Ich mag, dass man einen Einblick in deren Leben erhält.“ Lucia findet die Stars im Netz toll, weil sie glaubt, dass sie ihr die Wirklichkeit zeigen. Und die Wirtschaft findet die Stars im Netz toll, weil Lucia das glaubt.
Für Werbeagenturen gelten Influencer als Personen, die Produkte glaubhafter vermitteln können als jedes Model oder jeder Prominente. Da sie in ihren Videos so normal wirken, haben sie bei den Followern einen ähnlichen Stellenwert wie Freunde und Familienmitglieder – und deren Kaufempfehlung vertraut man schließlich am meisten. Glaubwürdigkeit ist das größte Kapital der Influencer. Die immer wieder aufs Neue zu inszenieren, ohne sie zu beschädigen, ist ein schwieriges Geschäft.
In einem Großraumbüro in Kreuzberg sitzen etwa zwanzig Personen an langen Holztischen vor großen iMac-Bildschirmen. Mitarbeiter von Visumate, einer Werbeagentur. Im Besprechungsraum, der durch eine Glasfront abgetrennt ist, wartet Diana Welte, 31, glattes schwarzes Haar, mit dunklem Pullover und einer dünnen Goldkette um den Hals. Welte hat den Bereich Influencer-Marketing, auf den die Agentur spezialisiert ist, mit aufgebaut. „Wenn ein Influencer von einem Produkt, einer Marke begeistert ist, dann kann sie oder er es auch persönlich und authentisch ihrer oder seiner Community vermitteln“, sagt Welte. „Ansonsten wirkt es einfach unglaubwürdig.“
Die Agentur arbeitet mit jungen Menschen wie Riccardo Simonetti zusammen, der mittlerweile eine eigene Fernsehshow beim Bezahlfernsehsender E!Entertainment hat. „Wir haben aber nicht nur mit den Größten zusammengearbeitet, sondern versuchen oftmals frühzeitig zu erkennen, wer interessant ist. Ohhcouture zum Beispiel!“, sagt Welte, als sie vor einem der vielen Polaroids steht, die an der Wand, gleich neben der Eingangstür der Agentur, hängen. Sie deutet auf ein Bild, auf der eine lachende Frau mit langen blonden Haaren zu sehen ist. Sie heißt Leonie Hanne, „mit ihr haben wir schon zusammengearbeitet, als sie noch zu einer der Kleinen zählte.“ Hannes Instagram-Account folgen fast zwei Millionen Menschen. Sie arbeitet für Marken wie Cartier.
Tausende Euro für einen Post
Welte und ihre Kollegen sitzen vor einer Werbekampagne zusammen und suchen aus einer Vorauswahl eine Handvoll Influencer heraus, deren Profile dann im Detail durchgegangen werden. Es geht bei der Auswahl um Reichweite und Engagement, aber auch um die Bildsprache und viel um die „Community“. Wie reagieren die Nutzer auf den Influencer? Welche Kommentare werden geschrieben? Folgen die Follower der Person schon seit langer Zeit?
In den vergangenen Jahren haben sich etliche Agenturen gegründet, die Werbung mit Influencern anbieten, sie als glaubhafte Empfehlungsgeber inszenieren wollen. Je schöner die Orte, an die man sie zum Werbungmachen schickt, desto mehr Begeisterung bei den Influencern, desto glaubhafter wird die Werbung vermittelt.
Bei einem Auftrag der Agentur von Welte, für den Tourismuskonzern Thomas Cook, bei dem es um die Neueröffnung eines Hotels auf Rhodos in Griechenland ging, wurden Influencer etwa zu einer Reise eingeladen und ein Rahmenprogramm veranstaltet. Auf den Fotos im Netz sind später junge Menschen in Hotelzimmern mit privatem Zugang zum Pool zu sehen. Sie liegen auf weißen Polstern, umrahmt von einer Hügellandschaft, in der Sonne. „Dass Influencer nicht sachlich, sondern emotional über etwas berichten, können wir nur erreichen, durch das, was wir machen“, sagt Welte.
Unternehmen sind mittlerweile bereit, Tausende Euro für einen einzigen Post von Influencern zu bezahlen. Der Jahresumsatz von Größen wie Mode-Influencerin Caro Daur, 23, die eineinhalb Millionen Follower auf Instagram hat, wird auf eine Million Euro geschätzt. Bianca Heinicke, 25, Bibi, die wohl berühmteste deutsche Influencerin, die mit Schminktipps bekannt wurde, soll mit ihren fünf Millionen Followern auf Youtube und 5,8 Millionen Followern auf Instagram mehr als 110 000 Euro pro Monat verdienen. Das errechnete das „Manager-Magazin“ im vergangenen Jahr mithilfe eines Experten. Glaubt man einer Studie aus Dänemark, werden 67 Prozent der befragten Marketingabteilungen ihr Budget für Influencer-Werbung im kommenden Jahr erhöhen.
Der Drogeriemarkt dm gilt etlichen in der Branche als Beispiel dafür, wie Unternehmen Influencer-Marketing gekonnt einsetzen können. Der Konzern war der Startpartner für einen Duschschaum, den Bibi herausbrachte. Nach nur wenigen Stunden waren die Regale leer gekauft. In der Kampagne #Schachtelglück stellten eine Handvoll Influencer – darunter Größen wie Dagi Bee – eine Box mit ihren Lieblingsprodukten von dm zusammen, versehen mit einer persönlichen Karte. Auch die Agentur von Welte arbeitet mit großen Unternehmen wie Samsung, Otto oder Radisson Blu zusammen.
„Das ist schon clever gemacht“
Welte erinnert sich an diesem Vormittag an eine Kampagne für den Fernsehsender RTL. Die Suche nach Influencern, die glaubhaft die Vorabendserie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten! bewerben könnten, ging so weit, dass die Agentur sogar nach echten Fans der Serie Ausschau hielt. Mitarbeiter durchforsteten Profile in den sozialen Medien, riefen Influencer aus ihrer Datenbank an und fragten, ob sie die Sendung regelmäßig schauen würden. „Dass die Reaktionen der Community bei der Kampagne so positiv waren, hätten wir niemals erreicht, wenn wir beliebige junge Menschen genommen hätten“, sagt Welte.
Ein Jahr lang begleitete die Agentur die Youtuberin Sara Isabel. Sie wurde in die Babelsberger Fernsehstudios eingeladen. Traf dort ihre Serienstars am Set, spielte selbst eine Komparsenrolle und verloste unter den jungen Menschen, die ihr folgen, Karten für die 25-Jahr-Feier der Serie. In den Videos im Netz ist ein aufgeregtes Mädchen zwischen Fernsehkameras und Kulissen zu sehen. Es ist ein Spiel mit der Wirklichkeit, in dem die Grenzen zwischen Realität und Inszenierung ständig verschwimmen. Wird Werbung dadurch subtiler oder einfach nur manipulativ?
Ein paar Monate nach der Eröffnung des Youtube-Stores schlendern Lucia und ihre Mutter durch den Laden und machen vor einem der Regale halt. Dort liegt ein rundes Kissen, auf dessen Vorderseite ein Smiley aufgedruckt ist. Es ist das Markenzeichen von ConCrafter Luca. Gerade flimmert der 22-jährige Youtuber fast in Lebensgröße über den Monitor, der gleich am Eingang des Geschäftes steht. Im Netz findet man Videos von ihm, auf denen er zu sehen ist, wie er Computerspiele spielt, mit Freunden zusammensitzt und Witze reißt. Er hat mehr als drei Millionen Follower und ist der Youtuber, den Lucia von allen am liebsten mag.
Einen schwarzen Kapuzenpullover mit dem Motiv hat sie bereits in ihrem Kleiderschrank liegen. Ihre Eltern haben ihr den Pulli zu Weihnachten gekauft. Die Tochter sagt: „Das war das beste Geschenk.“ Die Mutter sagt: „Das ist schon clever gemacht. Die Pullover gibt es schon in den ganz kleinen Größen, in XXS, damit auch die jungen Mädchen sich das kaufen und anziehen können.“ Laut der Marktforschungsstudie „Social-Media-Atlas“ gab jeder Zweite unter den jungen Menschen zwischen 14 und 19 Jahren an, schon einmal auf Empfehlung eines Influencers etwas gekauft zu haben. Lucias Mutter kann verstehen, dass auf Youtube immer wieder Produkte beworben werden. Anders komme man an die Zielgruppen ja gar nicht mehr heran. „Es ist für mich aber schon versteckte Werbung und Beeinflussung.“
Kennzeichnungspflicht und Transparenz
Zwei Fälle erregten im vergangenen Jahr besondere Aufmerksamkeit. Die Landesmedienanstalten, die für die Aufsicht der Einhaltung des Telemediengesetzes sowie den Rundfunkstaatsvertrages zuständig sind, mahnten den Youtuber Flying Uwe ab. Uwe Schüler hielt auf den beanstandeten Videos zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel für Bodybuilder in die Kamera. Es waren Produkte einer Firma, bei der Schüler selbst Geschäftsführer ist. Nachdem der Youtuber die Videos gelöscht hatte, wurde das Verfahren eingestellt. Das Bußgeld in Höhe von 10 500 Euro musste Schüler nicht zahlen. Nun steht grundsätzlich unter jedem seiner Videos: #Werbung.
Auch die Drogeriekette Rossmann wurde wegen Schleichwerbung durch eine Influencerin, nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), verurteilt. Das Oberlandesgericht Celle entschied, dass die Werbung in diesem Fall nicht ausreichend und sichtbar genug gekennzeichnet war. Der Kläger war der Verband Sozialer Wettbewerb, der in der Vergangenheit immer wieder mit Abmahnungen auf sich aufmerksam gemacht und auch einen Brief an die Influencerin Vreni Frost geschickt hatte.
An einem Vormittag im April kommt Vreni Frost von einer Veranstaltung mit dem Mobilfunkunternehmen Telekom. Frost, 35, trägt ihre braunen Haare fast schulterlang, kurzer Pony, rot angemalte Lippen. Gerade hält sie ihr Smartphone in die Luft, macht ein Video für ihre Follower auf Instagram, bevor sie und ihre Managerin sich auf den Weg in ihr Büro in Berlin-Mitte machen. Sie wollen die Auftragslage der kommenden Wochen besprechen.
In der Szene galt Frost bislang als eine der wenigen Influencer, die öffentlich für Kennzeichnungspflicht und Transparenz einstehen. Im April vergangenen Jahres wurde sie mit einem Post bekannt. Frost gestand ein, sogenannte Fake Follower gekauft zu haben und schrieb auf ihrem Blog: „... instagram fakes sind ein riiiiiiiiesiges thema momentan ...“ Viele kommentierten den Beitrag mit den Worten „mutig“ und „ehrlich“. Eine Nachricht mit Sprengkraft in einer Branche, in der man nach der Anzahl seiner Follower bezahlt wird. Vreni Frost hat für ihren ersten bezahlten Post 80 Euro bekommen. Sie bewarb damals ein Paar Schuhe eines Onlineversandhandels. Mittlerweile hat sie 53 000 Follower und verlangt 2500 Euro für je einen Post auf Instagram und Blog. Seit fünf Jahren kann Frost davon leben. In Monaten, in denen es gut läuft, macht sie bis zu 25 000 Euro Umsatz.
Einer ihrer Kunden, ein Unternehmen mit dem Frost erst seit Kurzem zusammenarbeitet, droht an diesem Vormittag, einen Auftrag platzen zu lassen. Die Abmahnung von Frost führe zu Verunsicherung; wohl wegen der Befürchtung, damit auch den eigenen Ruf zu gefährden. Vreni Frost hat das Abmahnschreiben vom Verband Sozialer Wettbewerb in Auszügen auf ihrem Blog im März veröffentlicht, wenige Tage nachdem Sie den Brief in den Händen hielt. Sie wirkt aufgebracht: „Ich möchte mich nicht unter den Generalverdacht stellen lassen, nur Werbung zu machen,“ sagt sie. Wann aber wird eine Meinung zur Werbung?
Kunstfigur der Werbung
Auf den Kanälen der sozialen Medien ist eine eigentümliche Gemengelage entstanden: Profile von Unternehmen gelten in der Regel als sogenannte Eigenwerbekanäle, bei denen meist klar ersichtlich ist, dass der Inhalt werblich ist. Bei Profilen von Influencern sind die Konturen zwischen privaten und beruflichen Profilen verwischt. Eindrücklich zeigte sich das erst vergangene Woche, in einem Video von Influencerin Bibi, in dem sie vermeintlich einen privaten Moment teilen wollte. Das sofort vielmillionenfach angesehene Hochglanzvideo zeigt sie und ihren Lebensgefährten, von Musik untermalt, bei einer Art Waldspaziergang. In Zeitlupe. Nach endlosen zweieinhalb Minuten beginnt er, ihren Bauch zu streicheln, küsst ihn. Bibi ist schwanger.
Ist das noch einer dieser echten Menschen im Netz, die ihr Leben zur Schau stellen, oder ist sie längst zur reinen Kunstfigur der Werbung geworden, die sich nur noch als vermeintlich echt in Szene setzt?
Die Grenzen sind fließend, der Graubereich bei der Frage, wann und wie gekennzeichnet werden muss, noch groß. bis Anfang Juni wird der Fall von Frost vor Gericht geklärt. Dabei geht es darum, ob Marken auf Bildern getaggt – also markiert und verlinkt – werden dürfen, ohne es als Werbung zu kennzeichnen, wenn man für die Bilder von Unternehmen nicht bezahlt wurde. An einem der vergangenen Wochenenden hat Vreni Frost zu Hause vor ihrem Laptop gesessen und rund 2000 Bilder auf Instagram nachbeschriftet. Darunter steht jetzt: #unbezahlt. „Ich möchte vorerst keine weitere Angriffsfläche bieten“, sagt Frost.
Lucias Eltern denken immer mal wieder darüber nach, den Zugang ihrer Tochter im Internet zu begrenzen. Lucia verbringt jeden Tag im Schnitt etwa zwei Stunden auf den Kanälen der sozialen Netzwerke. Über eines der Videos, die Lucia im Netz gesehen hat, erfuhr sie auch von der Pizza des Youtubers ConCrafter Luca, die in Rewe-Supermärkten zum Verkauf auslag. Im Internet schauen Mutter und Tochter gemeinsam nach, wo es die Pizza zu kaufen gibt. Nur drei Märkte in Berlin haben die Ware im Sortiment. Einer davon, in Prenzlauer Berg, ist etwa eine halbe Stunde Fahrzeit mit dem Auto entfernt und Lucias Mutter am Ende zu weit weg. Es sind Momente, in denen augenscheinlich wird, dass die Mutter hin- und hergerissen ist. Einerseits hält sie die Faszination, die die Netzstars auf ihre Tochter ausüben, für völlig übertrieben. Andererseits möchte sie Lucia keine Bitte abschlagen, für die sich der Wunsch nach eben jener Pizza ja sehr real anfühlt.
Jeder dritte wäre gern Influencer
Erik Scholz bekommt in der Woche rund 120 Nachrichten zugeschickt. Da ist eine Mutter, die schreibt: Danke für das tolle Outfit, jetzt weiß ich, was ich meinem Sohn kaufen kann. Da sind aber auch etliche junge Menschen, die sich bei ihm bedanken: Du hast mich inspiriert, meinen eigenen Träumen zu folgen. Einer Studie des Digitalverbandes Bitkom zufolge sieht jeder zweite der befragten Jugendlichen Influencer als ganz normalen Beruf an. Jeder dritte wäre sogar selbst gerne einer.
Erik Scholz hat das geschafft. „Seit meinem Abitur vergeht mein Leben wie im Flug“, sagt er. In dem Café in Berlin-Moabit, sitzt man einem Jungen gegenüber, der sagt: „Ich bin eigentlich noch genau derselbe wie davor.“ Und kurz darauf hinzufügt: „Hoffe ich.“ Ausgerechnet materielle Werte haben für Scholz enorm an Bedeutung verloren. Testartikel, die er zugesandt bekommt, verschenkt er mittlerweile oft. Mit Freunden aus der Schulzeit kann er nur noch wenig teilen. „Eigentlich würde ich gerne die ganze Zeit reisen. Aber es kann keiner mitkommen, weil es sich niemand finanzieren kann.“ Stattdessen fährt er nun fast alle drei Wochen nach Hause zu seinen Eltern. Geht mit Mutter und Hund im Wald spazieren. Er will zu jedem Familienfest mit. Auch von Freunden seiner Eltern. Ein Konsumanimateur verlernt den Konsum. Die Frage, ob er nachvollziehen kann, dass viele junge Menschen Influencer werden wollen, bejaht er trotzdem sofort.
Auch Lucia scheint insgeheim davon zu träumen, einmal selbst Influencerin zu werden. Nach Unterrichtsschluss schauen sie und eine ihrer besten Freundinnen manchmal gemeinsam Youtube-Videos. Als die beiden an einem Nachmittag bei Lucia im Kinderzimmer sitzen, wollen sie ein eigenes Video drehen. Die beiden Mädchen beginnen, die Anziehsachen von Lucia aus dem Schrank herauszunehmen. Sie filmen sich dabei, wie sie die einzelnen Kleidungsstücke präsentieren. Lucia lächelt, als sie jetzt davon erzählt.
Die Mutter sagt: „Youtuber ist ja mittlerweile ein richtiger Berufswunsch geworden.“ Sie will nicht, dass ihre Tochter eigene Videos ins Netz stellt. Lucia meint nur, das Video hätte sich ohnehin niemand angeschaut. Eine halbe Stunde hatten Lucia und ihre Freundin sich vor die Kamera gestellt. Es sei zu langweilig und viel zu lang gewesen. Lucia klingt in diesem Moment wie eine, die sich sicher ist, zu wissen, wie es wirklich läuft, in dieser eigenen Welt im Netz.
Nikola Endlich