Berliner-Türkisches Fast Food: Wie entsteht eigentlich ein Döner?
Er kostet wenig, macht satt, ist der kleinste kulinarische Nenner der Republik. Der Kebab ist längst eine Marke made in Berlin. Aber wie entsteht die Imbisstasche fürs Party-Wochenende? Wir haben den Weg des Fleisches begleitet. Ein Spießroutenlauf.
Es ist neune durch im Kebabkönigreich. Grauer Morgen, Herbstluft. Eben, da drüben an der Kreuzungsecke, rotierte schon ein Spieß um die eigene Achse, auf Hungrige wartend. Das war das Ende der Nahrungskette. Aber wir wollen ja erst mal an den Anfang. Wollen schauen: Woher kommt unser Döner, wohin geht er? Wir wollen die Leute treffen, die ihn bauen, und die, die ihn kauen. Die Mission Spießroutenlauf startet in Weißensee.
Das Wellblechtor zur Aydin Döner Produktion GmbH wird erst auf Nachfrage aufgesummt, genau wie die ganze Geschichte erst auf Nachfrage angebahnt wurde. Die Skepsis kroch beim ersten Telefonat durch die Leitung. Geht es um Gammelfleisch? Die Branche ist misstrauisch geworden, viele Produzenten in und um Berlin sagten ab. Aber Aydin stimmte zu. Es schickt sich im Massenkonsumzeitalter, mündiger Verbraucher zu sein. Woher stammt mein T-Shirt, die Tomate in meinem Salat? Das Nachvollziehbarkeitsbedürfnis will befriedigt werden, und der Weg des Dönerspießes präzisiert.
Hanifi Aydin, der im Folgenden Herr Aydin genannt wird, weil sein Auftreten dazu veranlasst, empfängt im Geschäftsführerbüro. Große Hände, kleine Augen, ruhige Sätze. Blaue Cordhose zu grauem Strick. Kein streitbarer Dönerkönig wie Remzi Kaplan, eher ein bedächtiger Mittelständler, bei dem Geschäft von Schaffen kommt. West-Berliner und Ostanatole zugleich. 1992 gründete Herr Aydin seine Firma, ohne Studium, Ökonomie brachte er sich selbst bei. Mittlerweile werden seine Spieße nach Prag, Barcelona und in die Mongolei geliefert. Bisschen Tellerwäschermythos, bisschen Gastarbeiterkindromantik, das ist Herr Aydins Geschichte, und sie klingt gut. Er sagt: „Döner ist nicht wie McDonalds. Döner ist Tradition.“
Frau Merkel habe der Döner gut geschmeckt, sagt Aydin
In der Türkei gab es Kebab, zu deutsch: drehendes Fleisch, einst nur einmal in der Woche, den feinen Leuten als Delikatesse auf dem Teller serviert in den osmanischen Palästen. Helmut von Moltke, Militärberater des Osmanischen Reiches, schrieb 1836 in sein Tagebuch: „Dann erschien auf einer hölzernen Scheibe der Kiebab oder kleine Stückchen Hammelfleisch, am Spieß gebraten und in Brotteig eingewickelt, ein sehr gutes, schmackhaftes Gericht.“ Tradition: Im Büro von Herrn Aydin stehen ein anatolischer Pflug und ein Foto des Großvaters. Erinnerung pflegen; wissen, woher man kommt. Und woher kommt der Döner, Herr Aydin?
Beim Übergang in die Produktionshalle wird die Rezeption gequert, wo gerahmte Bilder an der Wand die Bundeskanzlerin zeigen, wie sie Fleisch vom Spieß säbelt. Der Frau Merkel habe der Döner gut geschmeckt, sagt der Herr Aydin. Dass die Politik mit der Branche posiert, zeigt: Längst ist der Döner der kleinste kulinarische Nenner der Republik, deutscher als die Currywurst, auf ihn können sich alle einigen, Anzugträger wie Punker. 16 000 Dönerbuden in Deutschland verkaufen pro Tag 600 Tonnen Fleisch, die Dönerindustrie erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: McDonalds macht vier Milliarden im Jahr. Der Döner stellt 60 000 Arbeitsplätze.
Natürlich spielt diese Reportage in Berlin. Gut 1300 Dönerbuden gibt es hier, kein Berliner braucht mehr als fünf Minuten zum Spieß. Längst gehört der Imbiss zum infrastrukturellen Versorgungsstandard. In Berlin residiert der Verein der europäischen Dönerhersteller, in Berlin steigt die Branchenmesse Döga, in Berlin wird das Dönerquartett verlegt. Am Bahnhof Zoo soll Kadir Nurman den Döner erfunden haben. Fleisch im Brot, damals ein Experiment, heute ein Boom. Nurman starb vor einem Jahr mit 80. Er hatte sich sein Rezept nie patentieren lassen.
Döner schichten ist Kunst
Adnan Iba trägt einen weißen Kittel, ausgelatschte Loafer, eine Haube, und der Döner sieht noch nicht aus wie ein Döner. Iba sichtet die Kisten mit dem Hack, die aus Schlachtbetrieben eintreffen. Berg um Berg wuchtet er in einen Fleischwolf, der doppelt so hoch ist wie er selbst und fünfmal so breit. Iba sagt nicht viel. Die Sprache, die er am Wolf gelernt hat, ist das Schweigen. 250 Kilo werden von der Maschine einstündig zerkleinert – dann kippt Iba die Masse in einen Wagen, der an die Loren unter Tage erinnert, und schiebt sie durch die Flügeltür. Hier stehen Kasim Arayici, Cafer Attas und Faruk Kanaat, im Lagerhallenneon, im Großküchenkachelweiß. Im Fleisch. Kein Blabla, ein auf null reduziertes Mienenspiel. Mittelalte Anpacker mit linealvermessenem Schnauz, die einmal kurz aufschauen, wenn man eintritt, und danach lange nicht mehr. Maloche in Kants Tradition der ungeselligen Geselligkeit. In ihrer Mitte: ein großer, grauer Tisch. Was folgt, ist fast schon Kunst, vielleicht arbeiten die Männer auch deshalb in sakraler Stille.
Um die Dönerstange schichtet Arayici das gefleischwolfte Hack im Wechsel mit unzerkleinertem Kalbfleisch, das er einer anderen Kiste entnimmt und in Streifen messert, Quer- und Hochrippe. Er schneidet das Fett weg, mehr als 20 Prozent Anteil sollte nie sein. Ein Klumpen aus der Lore, ein Streifen aus der Kiste. Lore, Kiste, Lore, Kiste. Man kann sich verlieren in dieser rhythmisierten Routine, in der Art, wie zwischen Kanaats behandschuhten Händen eine Skulptur wächst. Gunther von Hagens hätte seine helle Freude an dem Job. Dazu das Patsch und Paff der Hände, die den Spieß dauerdrehen und festklopfen, ein Soundteppich wie in Scorseses Raging Bull. Das Tempo macht Staunen, der Mensch als Maschine. Stühle gibt es keine in dem Raum, jeder Handgriff steht. Die Lüftung verweht die Ausdünstungen, trotzdem kriecht der Geruch in die Kittel der drei, die, mundschutztragend, aussehen wie Ärzte – und wie sie am Fleische herumdoktorn, passt der Vergleich fast. Götter in Schweiß. Das täglich Fleisch ist ihr täglich Brot.
Acht Stunden, brummt Attas, das erste Wort seit langem. An die hundert Spieße schaffen sie in dieser Zeit, Kebab und Chicken, Paradies für Carnivore, Hölle der Vegetarier. In ihren Pausen rauchen sie auf dem kleinen Hof, zünden sich neue Zigaretten an den alten an. Dann wieder rein, ins Schichten versinken. Ist ein Spieß fertig, zellophaniert Kanaat ihn ein und hievt ihn auf die Waage. Ein Kebab kann fünf Kilo wiegen oder hundert, dieser hier bringt 63 Kilo auf die Digitalanzeige, ein Monster, nur aus Kalb, das etikettiert wird und in neue Hände gereicht, mit testamentarischer Würde. Wäre dies der letzte Kebab der Welt, es wäre ein würdiger Kebab, Betriebsnummer DE-BE-10001-EG.
Dann: das neunstündige Schockfrosten bei minus 40 Grad.
Dann: die Lagerung im Kühlraum, minus 18 Grad.
Dann: das Warten auf die Auslieferung.
63 Kilo Fleisch rösten am Spieß
Herr Aydin verabschiedet sich mit festen Händedruck und sagt: „Es arbeiten unglaublich viele Menschen in der Dönerbranche, darunter ein paar schwarze Schafe. Wenn die Mist verbocken, ist wieder der ganze Döner böse. Aber hinter einem Spieß steckt viel Fleiß, Arbeit und Verantwortung.“ Iba, Arayici, Attas und Kanaat verabschieden sich schweigend.
Ein Transporter leert die Kühlkammer Fahrt um Fahrt, mitten in der Nacht geht es los. Rauf auf die Ladefläche, raus in die Stadt. Der Mond hängt am Himmel wie eine fette Zitrone. Es ist sechs Uhr morgens, als Tamer, der nur seinen Vornamen nennt, den Sprinter in Kreuzberg bremst. Das Tadim Bistro liegt am Kottbusser Tor, zwischen Drogerie und Asia Imbiss. Tamer spurtet in die Küche, durch die zwei Putzfrauen feudeln, er holt die Stange, schiebt sie durchs Kebaböhr und trägt den Spieß auf der Schulter hinter die Theke. Kalb, 63 Kilo, Boxsackmaße. Tamers Oberarme sind breit, das Kreuz auch, der Transport trainiert. „Für mich ist es noch nicht vorbei, Hälfte der Tour erst“, ruft er, zurück am Steuer. Fünfzehn Läden noch. Achtzehn Spieße noch. Berlin hat Hunger. Tamer winkt, entfährt in die Dunkelheit.
Ein paar Stunden später, kurz vor elf, kann Berlin seinen Hunger stillen. Der Dreiundsechzigkilospieß im Tadim dreht sich an den glühenden Lamellen des Bräters vorbei, fast 200 Grad färben das Fleisch in knuspriges Rotbraun. „Gleich fertig, gleich fertig“, ruft Cagdas Türkmen, Polohemd, unter der Brust ein Soßefleck, die Knöpfe offen. Das mundwasserzusammenlaufende Warten, der sondierende Blick in die Auslage, welche Soße, welcher Dip, Rituale des Dönerkaufs. Zu früh für Döner? Nein, niemals. Döner ist, auch das macht ihn so beliebt, tageszeitenflexibel uminterpretierbar. Die Berliner Wochenendherrlichkeit aus Suff und Party wäre ohne Döner gar nicht denkbar – mit dem Döner davor als Grundlage, dem Döner danach als Frühstück, und gesund soll er sein, proteinreich, fettarm, die Vitamine, die Ballaststoffe, selbst für Kohlehydratehasser geeignet.
Döner lässt sich nicht weggentrifizieren
Cagdas ist der jüngere Türkmen, Jahrgang 86, sein Bruder arbeitet auch im Familienbetrieb, Spätschicht. Cagdas war mal Fußballer, für ganz oben reichte es nicht. Er hat BWL studiert und gesehen, wie sich sein Kiez gewandelt hat. Start-ups sind zugezogen, aber der Döner ist geblieben, Tadim gibt es seit 1997. Döner lässt sich nicht weggentrifizieren. Im Gegenteil. „Es gibt im Umkreis mittlerweile 30 Dönerläden“, sagt Cagdas und klingt nicht besorgt. Das Produkt boomt und sein Bistro hat einen guten Ruf. Michel Friedmann stand mal hinter der Theke, Künast, Roth, Ströbele natürlich, der Norddeutsche Rundfunk reiste aus Hamburg an und blieb gleich sieben Tage. Jetzt aber: Magenknurren.
Cagdas rasiert den Spieß und klaubt die Flocken mit einer kleinen Zange ins Fladenbrot, 50 Gramm pro Zangengriff, zwei Griffe pro Döner, plus Soße und Salat. Eine Tasche 250 Gramm. Man könnte mit der Atomwaage nachmessen. „Auch Zwiebeln?“ Logisch, keine falsche Pikiertheit, gehört doch alles dazu, der Rückstand in der Zahnlücke, der kaugummiresistente Kalbsmundgeruch. Afiyet olsun, guten Appetit! Cadgas sagt: „Viele denken, Döner kann ja jeder. Falsch! Es ist eine Kunst, man muss den Döner arrangieren, damit er schmeckt.“ Der hier ist zart und kross zugleich, als habe man einen Engel durch den Fleischwolf gedreht und kein Kalb. Anerkennendes Rülpsen. Pardon. Es ist auch nicht zu viel und nie zu wenig, am Ende satt statt übersättigt. „Ein guter Döner füllt nach und nach. Da hast du den ganzen Tag was von.“ Dreifuffzig, das geht in Ordnung, Döner ist erschwinglich für fast jeden und jede, in Berlin jedenfalls noch, während die Preise in Hamburg und Köln auf vierfünfzig geklettert sind, selbst fünf Euro sind kein Tabu mehr.
Für das Tadim endet der Tag in der Nacht, um zwei, vom Dreiundsechziger werden dann nur noch Fleischkrümel an der Stange hängen. Es wird ein neuer Kebab kommen aus Weißensee, mürbe gewalzt im Schweigen, ausgefahren in der Dämmerung. Es wird so weitergehen, immer weiter, ein Kreislauf der Kulinarik. Und Berlin wird hungrig sein.
Moritz Herrmann
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