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In der Walpurgisnacht und am 1. Mai ist die Polizei im Dauereinsatz.
© dpa

22 Stunden im Einsatz: Wie eine Polizistenfamilie den 1. Mai erlebt

Der Autor dieses Textes schreibt für unseren Jugendblog, möchte aber anonym bleiben. Ein persönlicher Bericht darüber, wie eine Familie den 1. Mai auch erleben kann.

"Ganz Berlin hasst die Polizei“ – so hallt es öfters am 1. Mai durch die Stadt und ich hasse diesen Satz. „Die Polizei“, das ist mein Vater, den angeblich ganz Berlin hasst. Als Kind, so vor zehn Jahren, war für mich der 1. Mai der Tag, an dem mein Vater in Kreuzberg, dem „Krawallbezirk“, besonders lange arbeiten musste. Ich verfolgte abends, an meine Mutter gekuschelt, die Nachrichten. Vermummte Männer warfen Steine und Molotowcocktails, Menschenmassen flohen, zerstreuten sich, Polizisten schlugen mit Stöcken um sich. Ich hörte meine Mutter „um Gottes willen“ in mein Ohr murmeln. Meistens wurde ich schon früh ins Bett geschickt, aber das Einschlafen fiel mir schwer, weil das Licht in der Küche die halbe Nacht brannte.

Am 2. Mai bewegten wir uns nur schleichend durch die Wohnung, bis mein Vater mittags aus dem Schlafzimmer kam. Handgroße blaue Flecken auf Beinen und Armen, Prellungen und Verstauchungen waren keine Seltenheit. In seinem Blick lag Erschöpfung, er hatte tiefe Augenringe.

Erfolgreichste Zeit bei einer „Eingreiftruppe“

Wir erlaubten ihm, eine Tasse Kaffee zu trinken, bevor wir ihn mit Fragen bombardierten. Er berichtete von stundenlangen Steinschlägen, die auf ihn und seine Kollegen niedergingen, während sie bewegungslos dastehen mussten. Von unerfahrenen Polizisten, die Panik bekamen und versuchten zu fliehen, weil sie an Beinen und Rücken getroffen wurden, weil sie vom Schutzanzug nur vorne abgedeckt wurden. Zu Boden gingen. Schuld daran sei die „Deeskalationspolitik“, die ein defensiveres Vorgehen der Polizeibeamten bezweckte, sagte er. Stattdessen gebe es mehr Verletzungen und die Kollegen seien noch frustrierter.

Seine erfolgreichste Zeit hatte mein Vater bei einer „Eingreiftruppe“, bestehend aus den bestausgebildeten und körperlich fittesten Polizisten. Sie hatten den Auftrag, gezielt Demonstranten, die Steine oder Ähnliches warfen und dabei gefilmt wurden, aus dem schwarzen Block zu ziehen und festzunehmen. Dadurch kamen weniger Unschuldige zu Schaden und es konnten gewalttätige Demonstranten mithilfe von Videobeweisen und Augenzeugenberichten vor Gericht gebracht werden.

Für polizeiliche Gewalt kannte mein Vater keine Entschuldigung

Für übertriebene polizeiliche Gewalt kannte mein Vater keine Entschuldigung. Er gab aber zu bedenken, dass es nach 22 Stunden Dienst schwerfällt, einen aus nächster Nähe geschleuderten Pflasterstein nicht einfach zurückzuwerfen.

Am beeindruckendsten fand ich die Schilderung, wie mein Vater nach 24 Stunden Dienst mit seinen Lieblingskollegen nach alter Tradition Stühle unter die Dusche schob, auf die sie sich in voller Montur setzten, mit einer Cola in der Hand, während das kalte Wasser Schweiß-, Blut- und Tränengasreste aus ihren Kampfanzügen spülte.

In der 8. Klasse bekam ich einen Eintrag, weil ich einen Mitschüler vom Stuhl schubste, der behauptete, am 1. Mai Polizisten mit Steinen beworfen zu haben. Zu Hause gab es keinen Ärger.

Der Autor dieses Textes schreibt für unseren Jugendblog, möchte aber anonym bleiben.

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