Milliardenschweres Projekt in Berlin-Spandau: Wie der Siemens-Campus angebunden werden soll
Die S-Bahn könnte schon 2026 zur „Siemensstadt 2.0“ fahren – und eine neuartige Kabinenbahn nach Tegel. Doch noch sind zentrale Fragen ungeklärt.
Die Siemensbahn soll fahren, aber ohne Fahrer. Dies wünscht sich der Grünen-Verkehrsexperte Holger Kirchner, der jetzt „Sonderbeauftragter der Senatskanzlei für Großprojekte“ ist. „2026 ist ein Zug mit Fahrer doch nicht mehr zukunftsfähig“, sagte Kirchner am Sonnabend auf einer Veranstaltung der Grünen. Bekanntlich investiert der Siemens-Konzern viel Geld in seinen neuen Campus in Siemensstadt, das Land Berlin hat zugesichert die Siemensbahn wieder aufzubauen. Das Ziel eines autonomen Betriebs ist sogar im Vertrag zwischen Siemens und dem Land Berlin festgehalten, sagte Kirchner.
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Doch ob die Siemensbahn tatsächlich so innovativ starten wird, ist mehr als unsicher. Bahnchef Alexander Kaczmarek habe die Sorge, dass sich der Ausbau der 1980 stillgelegten Zweigstrecke von Jungfernheide durch die Siemensstadt nach Gartenfeld dann um Jahre verzögert, berichtete der Senatsbeauftragte.
Kirchner sprühte vor Ideen, so will er auch Güterzüge auf der Siemensbahn fahren lassen, um den Industriestandort zu versorgen. Bedenkenträgern hielt er vor: „Warum, verdammt noch mal, soll das nicht möglich sein?“ In den benachbarten Forschungs- und Industriepark, der auf dem bisherigen Tegeler Flughafengelände entstehen soll (Urban Tech Republic, UTR), könnte von Siemensstadt ein ganz neues Verkehrsmittel fahren, sagte Kirchner.
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Nämlich eine Kabinenbahn, wie sie auf großen Flughäfen benutzt wird. Eine solche aufgeständerte Strecke ließe sich schneller realisieren, auch automatisch („autonom“) fahrend. Zur Bedingung macht Kirchner die Idee des autonomen Betriebs nicht: „Lieber eine Bahn mit Fahrer als gar keine Bahn."
Natürlich, betonte Kirchner, müssen beide Standorte direkt miteinander verbunden werden. Wie genau die UTR an das Schienennetz angebunden wird, ist noch offen, die Verkehrsverwaltung will 2020 eine Machbarkeitsstudie vorlegen, ob ein Abzweig von der U6 möglich ist.
Ein „Multimilliardenprojekt“
Die Siemens-Projektchefin Karina Rigby nannte die „Siemensstadt 2.0“ am Sonnabend ein „Multimilliardenprojekt“. Bekanntlich nimmt der Konzern 600 Millionen Euro in die Hand, Rigby rechnete noch die etwa halbe Milliarde Euro hinzu, die die Siemensbahn inklusive einer Verlängerung nach Hakenfelde kosten soll, dazu das viele Geld, das andere Firmen noch investieren dürften, angelockt von Siemens.
Rigby kündigte an, dass die Zäune um die derzeitigen Industrieanlagen bereits 2023 fallen werden. Siemens habe aus der Nachbarschaft bereits mehr als 1000 Anregungen bekommen, sagte Rigby. 2700 Wohnungen sollen auf dem Siemens-Campus entstehen, 30 Prozent davon preisgebunden. Wo diese Wohnungen gebaut werden, sei noch nicht entschieden. Siemens habe von 18 Architekten Vorschläge erhalten. Viele weitere tausend Wohnungen sollen in Haselhorst und der Wasserstadt Oberhavel gebaut werden.
Gravierende Verzögerung gegeben
Bei der Anbindung an die Schiene hat es jetzt jedoch eine erste gravierende Verzögerung gegeben. Die Bahn hat vor wenigen Tagen die Planungsleistung für diese Verlängerung ausgeschrieben. Darin wird ein Termin Ende 2021 genannt. Bislang hatte es geheißen, dass diese Machbarkeitsstudie schon 2020 vorliegen könnte. Knackpunkt der Verlängerung ist die Frage, ob die Bahn die Havel im Tunnel oder auf einer Brücke quert. Kirchner sagte, alles spreche für einen Tunnel, auch wenn dieser viel Geld kosten werde.
Wien habe gerade eine S-Bahn mit diesem Argument gebaut. Nun sind die Grünen seit jeher eher straßenbahnfreundlich eingestellt – und gegen teure Tunnel. Aber auch die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop sagte am Sonnabend auf der Parteiveranstaltung, dass es Bereiche gebe, „wo Tram und Bus an ihre Grenzen stoßen“.
„Der Bezirk will, der Senat will, die Bahn will, die Parteien wollen“
Kirchner nannte es am Sonnabend eine „große Ausnahme“, dass alle bei der Siemensstadt 2.0 an einem Strang ziehen. „Der Bezirk will, der Senat will, die Bahn will, die Parteien wollen.“ Selbst die Umweltschützer hätten sich bislang konstruktiv eingebracht, es seien „keine Ablehnungsfronten entstanden“. Kirchner warnte dennoch vor der „Berliner Krankheit“, die das Projekt noch lähmen könnte: Wenn alle ständig nur neue Wünsche äußerten, alle mitreden wollten, aber keiner irgendwas entscheide. „Wenn das hier in Siemensstadt nicht klappt, wird gar nichts in Berlin klappen.“