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Bin ich schön? Fritzi Massary, Berlins Königin der Operette, im Jahr 1912, fotografiert von Waldemar Titzenthaler.
©  Wikipedia Commons

Berlin-Bücher: Wie der Journalist Paul Marcus den Zauber der Boheme erlebte

Die zwanziger Jahre waren die große Zeit des Berliner Journalisten Paul Marcus. Jetzt sind seine Erinnerungen wiederaufgelegt worden

Ein Nacktballett? Nie! Rudolf Nelson, Kabarettist, Komponist, Theaterdirektor, gab dem Oberleutnant a. D. Alfred Seveloh einen Korb. Der hatte ihm im Frühjahr 1921 vorgeschlagen, die in Berlin schon recht populäre erotische Tanzgruppe seiner Frau Celly de Rheidt zu engagieren. Das von Nelson gegründete und nach ihm benannte „Nelsontheater“ war erst zwei Jahre alt, doch namhafte Autoren wie Kurt Tucholsky schrieben bereits Texte für die Shows. Warum also den Ruf riskieren?

Aber Kollegen stimmten Rudolf Nelson um. Er engagierte Rheidts Truppe probeweise – mit Riesenerfolg: So lange Autoschlangen hatten noch nie allabendlich vor dem Theater an der Ecke Ku’damm/Fasanenstraße geparkt. Paul Marcus, einer der begabtesten Berliner Journalisten der 20er Jahre, hat die Geschichte erstmals 1952 erzählt, in seinem Erinnerungsbuch „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“. Mehrfach wurde es seither aufgelegt, zuletzt 1986, ohne Register, mit oft fehlerhaften Namen. Der Transit-Verlag hat den Band durchgesehen, ein ausführliches Namensverzeichnis hinzugefügt und ihn erneut mit geändertem Titel veröffentlicht – ein Beitrag zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“. Denn Marcus’ Geschichten über die Stars und Sternchen, die Fans und Förderer der Kunst- und Kulturszene, der Film-, Show- und Sportwelt von 1919 bis 1933 sind weit mehr als ein Who’s who dieser Zeit. Sie machen klar, welches Potenzial an Kreativität und Lebenslust von den Nazis vernichtet wurde.

Marcus emigrierte nach London. Sein Buch gehört zu den wenigen Rückblicken, die ganz dicht dran sind an den Menschen, die damals Berlin so unwiderstehlich machten. „PEM“, wie Paul Marcus seine Artikel kürzelte, kannte sie alle. War fasziniert von den Berlinern, über die er schrieb – und sie mochten ihn.

Fast täglich saß der 1921 erst 20-Jährige im Romanischen Café, dem Treff der Boheme. Er beherbergte 1926 einen schüchternen Reporter aus Wien auf seinem Sofa, als der nach Berlin umzog: Billie Wilder, damals noch ohne y. Marcus war befreundet mit Egon Erwin Kisch, Alfred Kerr, Friedrich Hollaender, interviewte Eistänzerin Sonja Henie, das „Häseken“. Erlebte, wie Hans Albers in der Revue „Donnerwetter – 1000 Frauen“ vom Kronleuchter ins Wasserbassin sprang. Gab es eine Künstlerin, für die er besonders schwärmte? Ja, für die Königin der Operette, Fritzi Massary. „Sie hatte einen Charme, eine Überlegenheit, etwas Damenhaftes“, schreibt er. „Das hat sie über das ganze Klischee-Genre turmhoch erhoben.“

Paul Marcus: Zwischen zwei Kriegen. Aus Berlins glanzvollsten Tagen und Nächten. Transit-Verlag, Berlin. 199 Seiten, zahlr. Schwarz-Weiß-Fotos, 19,80 Euro

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