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Am Karfreitag wurde die in der katholischen St.-Joseph-Kirche in Berlin-Wedding die Liturgie per Livestream übertragen.
© Christophe Gateau/dp

Virtuelle Gottesdienste in Berlin: Wie bleiben die Religionsgemeinschaften in Verbindung?

Kirchen, Moscheen, Synagogen und andere religiöse Zentren sind geschlossen. Sie wissen sich aber zu behelfen – und werden kreativ.

Yehuda Teichtal, Rabbiner der jüdischen Gemeinde zu Berlin: „Die Gemeindearbeit hat sich drastisch verändert, es läuft jetzt viel mehr digital ab. Ich halte am Tag mehrere Videovorträge. Die Gottesdienste vor dem Shabbat streamen wir bei Facebook-Live. Unser Gemeindeleben findet derzeit in Konzerten und Vorträgen online statt.

Wir finden neue Formen der Gemeinsamkeit – beim Singen, Beten und Sprechen. Menschen, die zu Hause sind, brauchen viel Unterstützung und Zuspruch, die können mich jederzeit über Facetime oder per Anruf erreichen. Für viele ist es schwer, gerade für Senioren, die fühlen sich alleine. Jetzt ist es umso wichtiger, nicht allein zu sein. Religion heißt auch, Verantwortung für das Leben von anderen zu übernehmen.

Yehuda Teichtal, Rabbiner der jüdischen Gemeinde zu Berlin.
Yehuda Teichtal, Rabbiner der jüdischen Gemeinde zu Berlin.
© privat

Auch für mich persönlich hat sich einiges verändert, die offiziellen Gottesdienste finden nicht statt – einer morgens und einer abends. Aber es ist nicht so, dass Religion und Tradition zur Seite gelegt werden. Wir verzichten nicht, es ist nur anders – so sollte man das sehen. Viele sind auch mit ihren Familien zu Hause, und bei allen Problemen, die das mit sich bringt: Wir müssen in jeder Situation das Positive sehen, auch jetzt – Familienzeit ist etwas Positives. Keiner hat das geplant, aber für die Kinder kann diese Zeit im Rückblick auch etwas Schönes haben.

Wir sollten die Zeit nutzen. Ich verbringe natürlich mehr Zeit mit meiner Familie, ein Sohn hilft mir bei den technischen Dingen. Ich merke, dass die Menschen nachdenklicher sind, bei manchen gibt es noch mehr Wertschätzung für den Alltag. Wir müssen gemeinsam das Coronavirus bekämpfen und Verantwortung übernehmen. Und: Die Situation zeigt uns, dass es einen Gott gibt, dass wir nicht alleine sind – und vielleicht nicht immer alles in der Hand haben."

„Gottesdienst am Küchentisch"

Kathrin Oxen, Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: „Wir haben an der Gedächtniskirche schon sehr früh beschlossen, Gottesdienste, Konzerte und Veranstaltungen abzusagen. Inzwischen habe ich gemerkt, dass der allergrößte Teil meiner Arbeit darin besteht, Gemeinschaft zwischen Menschen zu ermöglichen.

Natürlich kenne ich auch die Arbeit allein am Schreibtisch, aber darauf reduziert zu sein, ist sehr ungewohnt. Und ehrlich gesagt: In jedem Pfarrer und jeder Pfarrerin steckt ja auch eine Rampensau. Das fehlt uns allen schon sehr. Das merkt man an den gelegentlich recht unbeholfenen Versuchen, jetzt zum Beispiel über Streaming Gemeindemitglieder zu erreichen. Seelsorge und Gespräche lassen sich gut am Telefon machen. Mein Kollege und ich haben überall unsere Telefonnummern und E-Mail-Adressen veröffentlicht und sind so ständig gut erreichbar.

Kathrin Oxen, Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Kathrin Oxen, Pfarrerin an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
© privat

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Kürzlich hatte ich eine Beerdigung nach den derzeitigen Richtlinien mit nur zehn Trauergästen. Bei dem guten Wetter war es eigentlich sehr schön, nicht in einer architektonisch fragwürdigen Trauerhalle, sondern unter den Bäumen eines schönen Friedhofs zu sein. Zu unseren Gemeindemitgliedern halten wir Kontakt durch einen Newsletter mit einem „Gottesdienst am Küchentisch“. Ich bin nur selten in der Kirche, etwa wenn ich etwas holen muss. Die Gedächtniskirche ist ein Raum von besonderer Schönheit. Es ist aber kein schönes Gefühl, zu wissen, dass unser goldener Christus nun ganz alleine ist und wir nicht zu ihm können.

Die Gottesdienste aus der leeren Kirche, die im Fernsehen und als Livestream gesendet werden, können einen „richtigen“ Gottesdienst nicht ersetzen. Ostern kommt so bestimmt nicht gut rüber. Solche Fernsehgottesdienste steigern aber vielleicht die Sehnsucht nach „richtigen“ Gottesdiensten. Wenn wir wieder dürfen, werden wir bestimmt einen großen, festlichen Gottesdienst feiern."

Beten im Kreis der Familie

Said Ahmed Arif, Imam der Khadija-Moschee in Heinersdorf: „Der Alltag hat sich stark verändert. Die Arbeit hat sich ins Büro und das Internet verlagert. Dinge, die vorher selbstverständlich waren, kann man jetzt nicht mehr machen, zum Beispiel fünfmal am Tag gemeinsam in der Moschee beten und sich danach begegnen. Unter den derzeitigen Umständen wird einem der Wert der Gemeinschaft im Bezug zu der Spiritualität aufs Neue bewusst. Die Gemeinschaft wirkt wie eine Stütze für die Spiritualität. Da diese nun fehlt, ist mehr Selbstdisziplin für die spirituelle Weiterentwicklung gefragt. Das ist eine Herausforderung, die es zu bestehen gilt.

Imam Said Ahmed Arif
Imam Said Ahmed Arif
© privat

Was das Gemeindeleben betrifft, finden unsere wöchentlichen und monatlichen Gemeindesitzungen jetzt per Videokonferenz statt. Ich bin online und telefonisch für die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder erreichbar – aber man kann mich auch in der Moschee besuchen, wenn dabei der Sicherheitsabstand gewahrt bleibt. Um aktuell für die Menschen da zu sein, haben wir eine Gruppe von Ehrenamtlichen, die gemeindeintern und -extern Hilfe und Unterstützung für Einkäufe und weitere Anliegen anbietet.

Unsere Gemeindemitglieder leben ihre Religion zu Hause weiter, die Gebete werden individuell oder im Kreis der Familie verrichtet. Auch ich habe sonst in der Moschee mein Gebet verrichtet, nun bete ich meist gemeinsam mit meiner Frau zu Hause. Ich bin immer noch täglich in der Moschee, den Gang dorthin brauche ich einfach. Solange das rechtlich möglich ist, möchte ich mir das nicht nehmen lassen.

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Die Gemeindemitglieder, die eine Moschee in ihrer Umgebung haben, für die ist der Moscheebesuch eine Selbstverständlichkeit, sie vermissen das sehr. Einer sagte mir, er fühle sich aktuell wie ein Fisch ohne Wasser. Andererseits hat man aber Verständnis für die aktuellen Maßnahmen. Unsere Gemeinde empfiehlt, den Regelungen der Regierung und den Empfehlungen der Experten zu folgen. Das sehen eigentlich alle ein und verhalten sich dementsprechend. So gibt es halt nur ein freundliches Lächeln ohne Umarmung.

Bald beginnt der Ramadan. Das ist ein Monat, in dem fast alle Muslime bemüht sind, die Moschee intensiver aufzusuchen als sonst. So wie es aussieht, wird das dieses Jahr anders sein. Wir werden einen täglichen Youtube-Livestream von Quran-Lesungen zur Verfügung stellen, um die Lesungen nach Hause zu übertragen. Wir versuchen, jeden Haushalt in kleine private Moscheen zu verwandeln."

Meditationsabende über Zoom

Dharmasara, Leitung im buddhistischen Tor, Angehöriger des Ordens Triratna: „Sich nicht mehr in unserem Zentrum treffen zu können, ist ein erheblicher Einschnitt in unsere buddhistische Praxis. Wir können nicht mehr gemeinsam meditieren, Rituale feiern, gemeinsam die Lehre studieren oder auch einfach nur miteinander quatschen. Meditation ist eine unserer Hauptpraktiken.

Dharmasara, Leiter im buddhistischen Tor.
Dharmasara, Leiter im buddhistischen Tor.
© privat

Auch diese ist für uns reicher, wenn wir in Gemeinschaft praktizieren. Miteinander den Geist zu transformieren und uns darüber auszutauschen, wie es läuft, ist uns wichtig. Daher haben wir als Ordensmitglieder wöchentliche Treffen, in denen wir über unsere Praxis sprechen und uns unsere Fehler eingestehen. Der Versuch über das Videochatprogramm Zoom war zunächst nicht völlig befriedigend. Wir meditieren, da es im Buddhismus darum geht, seinen Geist zu verwandeln.

Zusätzlich gibt es Livestreams von Einführungen in Meditation oder Pujas (eine Art Andacht) wöchentlich über Youtube. Ganz befriedigend ist das nicht, es ersetzt den menschlichen Kontakt nicht. Wir nehmen auch kurze Videos zur buddhistischen Lehre auf, die die Leute sich zu Hause anschauen können. Doch wir versuchen diese Zeit zu nutzen, um uns selbst ein Licht zu sein, wie der Buddha uns aufgefordert hat.

Gleichzeitig ist eine der wichtigsten buddhistischen Reflexionen die Vergänglichkeit der Dinge. Alles, was entsteht, vergeht wieder, dann entsteht etwas Neues. Viel Leid entsteht daraus, dass wir das nicht wahrhaben wollen. Diese Zeiten der Veränderung sind für uns also eine intensive Zeit der Praxis und der Reflexion. Ich nehme das persönlich mit in meine tägliche Meditationspraxis, um daraus vielleicht etwas weiser zu werden. Der Beginn der Schließung war ein starker Umbruch, da wir im Leitungsteam, so gut es geht, unser Angebot auch online stattfinden lassen wollten.

Leider hatten wir noch keine Infrastruktur dafür, von Social Media bis hin zum Kameraequipment musste ich mir alles erst aneignen oder leihen. Das hat viel Energie gekostet, ich spüre aber die Dankbarkeit in unserer Gemeinschaft. Montagabend haben wir beispielsweise einen Meditationsabend auf Englisch, der auch vom gemeinsamen Austausch gelebt hat. Jetzt machen wir diesen Abend über Zoom, das gibt vielen Leuten Halt. Wir stehen mit den Alternativen noch sehr am Anfang, alles ist ein großes Experiment."

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