BVG, BSR und Co.: Wie Berliner Unternehmen Social Media aufmischen
BSR, Wasserbetriebe, Polizei, BVG oder Senat: Alle twittern, aber das ist gar nicht so einfach. Eine Stadtrundfahrt auf den digitalen Kanälen.
Am Anfang waren es wohl die dauertwitternden Piraten, die die sozialen Medien einem größeren, erwachsenes Publikum in Berlin nahebrachten. Inzwischen sind die Piraten untergegangen und Facebook, Twitter, Youtube und Instagram die wesentlichen Plattformen, auf denen die Welt kommuniziert. Doch vielem, das sich online abspielt, haftet aus konservativer Sicht der Ruf des Windigen an. Damit müssen sich auch konservative Institutionen arrangieren: Ämter, Behörden, Landesunternehmen. Zeit für eine Stadtrundfahrt auf den digitalen Kanälen.
Das Transportmittel der Wahl ist fast zwangsläufig die BVG, bei der es online so gut läuft, wie es im wahren Stadtverkehrsleben kaum möglich scheint. Ein Großraumbüro am Gleisdreieck: das Callcenter der BVG. Von den Arbeitsplätzen dringt leises Gemurmel in Headsets, und neben der Fensterfront mit Blick aufs Technikmuseum steht Robert Klemm am Twitter-Platz.
2011 hat Klemm die drei Servicekanäle gegründet, auf denen die BVG über Störungen bei U-Bahn, Tram und Bus informiert – insgesamt mehr als 200 000 Follower, wobei die U-Bahn klar vorn liegt. Werktags mindestens von 7 bis 20 und am Wochenende von 9 bis 17 Uhr werden die Kunden mit den Infos versorgt, die die Leitstelle Klemms Team durchgibt. Bevor er sie weiterleitet, übersetzt Klemm die Infos manchmal: „Nicht die Umleitungsstrecke interessiert unsere Kunden, sondern welche Haltestellen bedient werden und welche nicht“, beschreibt er seine Maxime.
80 Prozent der Anfragen werden binnen 10 Minuten bearbeitet
Außerdem kämen schnelle Antworten immer gut an: Gerade fragt ein User, ob die U 5 so verspätet bleibe. Klemms diensthabender Kollege klickt aufs Echtzeit-Netz und sieht viele verspätete, aber gleichmäßig auf der Linie verteilte Züge. „Keine größeren Verspätungen“, twittert er zurück, „die Züge könnten aber etwas voll sein“. Denn die S-Bahn baut – und die BVG-Züge sind überfüllt und deshalb auch aus dem Takt. Sofort kommt ein „Danke!“ des Fahrgastes zurück.
80 Prozent der Anfragen und Kommentare wollen sie binnen zehn Minuten bearbeiten, sagt Klemm – bei 100 bis 200 eingehenden Tweets und Facebook-Posts pro Werktag. Wenn was Kurioses kommt wie das Foto von der Straßenbahn mit Bugwelle oder das vom Dixi-Klo in einem Haltestellenhäuschen, leiten sie es dem Kampagnenteam weiter. Also den Kollegen von Christian Artopé, der jetzt danebensteht und sagt: „Dann bin ich wohl der Unseriöse.“
Artopé ist Geschäftsführer der Agentur GUD.berlin, die die „Weil wir dich lieben“-Accounts bespielt. Auf dem wird das Pfützenfoto – nach Rückfrage beim Urheber – mit der Bemerkung „Morgens ziehen wir ja gern mal ein paar Bahnen“ verbreitet, das vom Dixi-Klo mit dem Hinweis: „Auf den nächsten Shitstorm sind wir vorbereitet.“
Artopé und sein Team koffern zurück
Der Spaßkanal mit seinen mittlerweile fast 180 000 Followern könnte ohne die Servicetruppe von Klemm nicht existieren – zumindest nicht mit gutem Gewissen, weil Kunden mit ernsthaften Anliegegen auch ernst genommen werden wollen. So aber können die vier in sozialen Medien erfahrenen Texter um Artopé zurückkoffern, als wären sie Busfahrer. „Auf Augenhöhe zurückraunzen“, nennt Artopé das. „Das können die Leute auch ab.“ Man erkenne ja am Twitterprofil ungefähr, wie jemand drauf sei. Zu Beginn der Kampagne Anfang 2015 „haben wir Leitplanken definiert“. Wähnen sie sich allzu dicht an der Leitplanke, fragen sie bei der BVG nach, bevor sie Gags veröffentlichen. Meist machen sie einfach.
Robert Klemm erklärt die Symbiose so: „Wir stecken ja in dieser BVG-Denke: Wenn jemand fragt, warum der Bus schon wieder drei Minuten Verspätung hat, gehen wir in Gedanken gleich die Baustellen auf der Linie durch. Die Agenturleute dagegen sagen: Drei Minuten – hat der keine anderen Probleme?“
Inzwischen gibt es Socken im BVG-Design
BVG-Marketingfrau Manja Helm bildet die Brücke zwischen Agentur und Unternehmen, nimmt an den wöchentlichen Treffen in einem Neuköllner Café teil. Und verkauft auch deshalb erfolgreich Socken und Turnbeutel im BVG-Sitzmusterdesign, weil die Kampagnenleute den Eindruck vermitteln, dass die BVG ein cooler Laden zu sein scheint, in dem man auch mal über sich selbst lachen kann.
Was die BVG perfektioniert hat und über ihr Marketingbudget teilweise extern einkauft, betreiben die meisten anderen öffentlichen Unternehmen und Behörden in viel bescheidenerem Maß. Bei der S-Bahn etwa betreut jemand aus dem für alle Anliegen zuständigen „Kundendialog-Team“ im Zweischichtsystem den Twitter-Kanal – erfahrene, geschulte Bahner. „Die Art der Kundenansprache soll je nach Anlass persönlich bzw. sachlich sein“, teilt die Bahn mit. Für den Regionalverkehr gibt es neuerdings den „Streckenagenten“, eine teilweise manuell bestückte App, die den Kunden bei Bedarf Umfahrungsmöglichkeiten zeigt. Facebook und das auf Bilder spezialisierte Instagram bespielt die S-Bahn nicht.
Auch die Polizei twittert gerne
Die Polizei twittert auf einem regulären und auf einem zu besonderen Anlässen genutzten Einsatzkanal – mit jeweils mehreren hunderttausend Followern. Nach Auskunft des Präsidiums besteht das Team durchweg aus Beamten; sechs seien regulär dabei. Was veröffentlicht wird, richte sich nach Vorabsprachen mit beteiligten Dienststellen, Kompetenzen und teilweise nach den persönlichen Interessen der Kolleginnen und Kollegen. Twitter sei der bevorzugte, aber nicht der einzige Social Media Kanal.
Von mehreren Stellen ist zu hören, dass Twitter sich vor allem an „Stakeholder“ wie Politiker und Journalisten richte und Facebook eher an private Kundschaft. Aktiver als manche Landesunternehmen sind neuerdings mehrere Verwaltungen einschließlich der Senatskanzlei. Deren Social Media Referat erwachte mit Ankunft der beiden Pandas im Juni zum Leben – und wird von der langjährig erfahrenen stellvertretenden Senatssprecherin Kathi Seefeld geleitet.
„Der User ist grundsätzlich faul“
Neu unter den Aktiven ist auch die Verkehrsinformationszentrale, die seit Mitte Juli eifrig und konzentriert über Probleme auf den Straßen informiert. Die BSR, Mutter aller Spaßvogelkampagnen, präsentiert sich auf Twitter seriös. Visit Berlin bestückt einen deutsch- und einen englischsprachigen Kanal mit Inspiration für (potentielle) Touristen.
Ebenfalls noch neu sind die Aktivitäten der Wasserbetriebe (BWB) auf Twitter. Zunächst sei man nur auf Facebook unterwegs gewesen, um sich als Arbeitgeber bei jungen Leuten interessant zu machen, sagt ein Sprecher. Über Social Media erreiche man Menschen, an die man über klassische Medien gar nicht herankäme. Verantwortlich dafür ist Dennis Klehr, der bis 2009 Azubi in der Kommunikationsabteilung der BWB war.
„Der User ist grundsätzlich faul“, lautet Klehrs Erfahrung, auf deren Basis er Fragen beantwortet, die die User auch über die Internetseiten der Wasserbetriebe klären könnten. Soziale Medien könnten überraschende Image-Effekte haben, sagt Klehr: Wenn etwa jemand über einen stinkenden Kanal klage und das Problem schnell behoben werde, gebe es Lob, das sich wiederum im Netz verbreite.
Eigenproduktionen, etwa Videos, streuen die Wasserbetriebe über mehrere Kanäle. Aktuell werde das Instagram-Profil geschärft, was für potenzielle Azubis wichtig sei. Die sollen dort abgeholt werden, wo sie sind – also oft auf Whatsapp: Über den Kurznachrichtendienst wollen die Wasserbetriebe bald Infos zur Ausbildung verbreiten. Damit die Leute sie genauso cool finden wie die BVG.