Der Blues-Botschafter: Wie Berlin zum Blues kam
Der Sänger EB Davis war zu Mauerzeiten in geheimer Mission unterwegs – und in musikalischer. Ein neuer Film erzählt aus seinem Leben.
Auf ihrer ersten US-Tournee 1964 traten die Beatles auch in Jacksonville, Florida, auf. Die Band hätte das Konzert fast abgesagt. Im Gator Bowl Stadium galt noch Rassentrennung, undenkbar für die Liverpooler, das machten sie auch sehr deutlich – mit Erfolg. So hatte der Rock’n’Roll die „racial segregation“ an jenem 11. September – ja, ein 11. September – zwar nicht überwunden, aber ein kleiner Schritt war getan.
Diese Episode, derzeit in dem Dokumentarfilm „The Beatles: Eight Days A Week – The Touring Years“ zu sehen, ist ein Beispiel für die alle Grenzen, in diesem Fall Rassenschranken überwindende Kraft der Pop-Musik. Ganz ähnliches hat der vor 70 Jahren in Elaine, Arkansas, geborene, seit Langem in Berlin lebende, nach seiner Militärzeit hiergebliebene Blues-Musiker EB Davis ein Jahrzehnt früher erlebt, nicht mit Rock, sondern mit Blues, in dem er ohnehin die Wurzeln des modernen Pop in all seinen Spielarten sieht.
1919 war sein Heimatort noch Schauplatz eines der blutigsten Rassenkonflikte in den USA, mit zahllosen vom weißen Mob ermordeten Schwarzen. Und noch in den fünfziger Jahren war auch dort die Rassentrennung Vorschrift, bei Blues-Konzerten sowieso. Polizisten wachten darüber, dass Schwarz und Weiß getrennt blieben, brachen das Konzert bei Bedarf ab, aber auf Dauer war das nicht durchzuhalten. Die in die Beine gehende Musik, die Tanzerei der Schwarzen – dem konnten sich die weißen Jugendlichen bald nicht mehr entziehen, durchbrachen die Absperrungen, tanzten mit.
Den Blues hat EB Davis von seinem Stiefvater gelernt
Das erzählt EB Davis in dem ihm gewidmeten Dokumentarfilm „How Berlin Got The Blues“, und das erzählt er auch beim Treffen in einer Coffeebar an der Kantstraße, schräg gegenüber des Quasimodo. Dessen Café wäre jetzt viel passender, ist doch der Jazzclub einer der wichtigen Berliner Auftrittsorte des Musikers. Aber dort wird an diesem Vormittag gerade für eine Filmpremiere im Delphi umgebaut, so bleibt das Quasimodo zwar fern, doch immerhin im Blick.
Der selbst hier von einem Hut beschattet wird, von dem sich EB Davis eigentlich nie trennt, darin Udo Lindenberg ähnlich, freilich aus anderen Gründen. Alle Blues-Musiker seien stets gut angezogen gewesen, erklärt er, und zu ihren schicken Anzügen gehöre eben ein Hut, das habe er als Kind so gelernt. Wie übrigens auch den Blues. „How long, Baby, how long has that evening train been gone“ – den alten Blues-Standard habe sein Stiefvater immer vor sich hingesungen, und der kleine Ebylee, der vorher nur Gospel-Musik kannte, hat es ihm einfach nachgetan. Und allmählich entstand so ein Traum: diesen wundervollen Blues auch künftig zu singen.
Das lernt man am besten in Memphis, wohin es EB Davis später tatsächlich verschlug. Man konnte dort B. B. King oder Elvis auf der Straße treffen, und an Wochenenden kamen viele schwarze Musiker zu Jam Sessions im Stadtpark zusammen, da habe er viel gelernt, erzählt er. Doch von dort war es noch ein weiter Weg, bis Davis in Berlin ankam, hier Fuß fasste und der Stadt den Blues brachte.
Schwärmen von den alten Zeiten
Eine erste Militärzeit in New Mexico gehörte zu den Stationen, für ihn auch musikalisch ungemein lehrreich, werde doch beim US-Militär die Musik, und keineswegs nur die Marschmusik, intensiv gepflegt. Jahre in New York folgten, in der EB Davis mit einer eigenen Band erste Erfolge als Sänger fremder wie eigener Stücke feierte, auch einen Plattenvertrag erhielt. Eine Zeitspanne, über die in dem Dokumentarfilm der Amerikanerin Vicki Luther und der Berlinerin Antje Dohrn viel zu hören, aber nur wenig zu sehen ist. Filmaufnahmen von damals seien kaum zu finden gewesen, erzählt die aus Miami stammende Vicki Luther, die EB Davis noch aus der gemeinsamen Berliner Militärzeit kennt. Immerhin konnten in New York die alten Bandmitglieder aufgetrieben werden, die noch heute von den alten Zeiten schwärmen.
John Travolta und die Bee Gees machten all dies zunichte: Die Disco-Welle Mitte der Siebziger überrollte auch den Blues, und EB Davis beschloss 1981, es noch einmal als Soldat zu versuchen. Die Army schickte ihn diesmal nach Europa, erst kurz nach Frankfurt, dann gleich weiter nach West-Berlin und Neu-Fahrland bei Potsdam, Sitz seiner Dienststelle, der US Military Liaison Mission, kurz USMLM, im West-Berliner Sprachgebrauch schlicht amerikanische Militärmission genannt.
Das waren Soldaten, die in ihren Autos, darin den britischen und französischen Kollegen und den sowjetischen Gegenspielern gleich, durch die Gegend streiften, immer militärischen und sonstigen Geheimnissen der Gegenseite auf der Spur, zwar all dies durch entsprechende Verträge sanktioniert, aber doch oft in einer Grauzone. In der fielen auch schon mal Schüsse. Zum Beispiel am 24. März 1985, als ein US-Major in Ludwigslust, heute Mecklenburg-Vorpommern, beim Ausspähen einer sowjetischen Panzerkaserne von einem Wachposten erschossen wurde.
Der musikalische Botschafter aus West-Berlin
Viel Arbeit auch für EB Davis, wenngleich dessen Aufgabe nicht im Auskundschaften bestand, sondern im Kommunizieren. „Sicherstellen, dass immer alle miteinander reden, die Kommunikationskanäle offenhalten und so dafür sorgen, dass entstehende Konflikte nicht eskalieren“ – so beschreibt Davis heute seine Aufgabe. Jedenfalls den offiziellen Teil. Denn neben dieser halb geheimen, zumindest nicht öffentlichen Arbeit war er ja weiterhin auch Blues-Musiker und damit eine öffentliche Person, mit Auftritten in West-Berlin, aber auch im Osten. Seine Vorgesetzten hatten nichts dagegen, sahen in ihm eine Art musikalischen Botschafter des Westens, auf jeden Fall „a good tool“, dessen man sich eben bediente, wie Davis es sieht.
Dieses Werkzeug einzusetzen, als Botschafter des Blues wie des American Way of Life, war anfangs nicht so einfach. Blues war in West-Berlin Anfang der 1980er nicht gerade gefragt. In den Clubs spielte man Rock und Jazz, da bedurfte es einiger Überredungskunst und Beharrlichkeit, überhaupt Auftrittsorte zu finden. Die Bereitschaft zum musikalischen Experiment war eben sehr gering.
Heute ist auch das Geschichte, der Blues aus Berlin nicht wegzudenken. Beim alljährlichen Köpenicker Blues- und Jazzfestival gebe es jetzt viele schwarze Musiker, er aber sei der erste gewesen, der dort auftrat, erzählt Davis, der Bobby Bland und eben B. B. King zu seinen Vorbildern zählt und mittlerweile 36 Alben veröffentlicht hat – mit Blues-Standards und eigenen Songs. Der Hauptgrund, warum er diese Musik liebt, von ihr seit seiner Jugend nicht lassen konnte ? „Ich möchte es in einem Wort zusammenfassen: Wahrheit.“
Der 40-minütige Dokumentarfilm „How Berlin Got The Blues“, erstes Projekt der Produktionsfirma Calypso Media von Vicki Luther und Antje Dohrn, läuft einmalig am Mittwoch, 12. Oktober, 20 Uhr, im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Danach geben EB Davis und The Superband ein Konzert; Eintritt 12 Euro.
Andreas Conrad
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