zum Hauptinhalt
Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
© Christoph Soeder/dpa

Der Erfindergeist ist zurück: Wie Berlin gestärkt aus der Corona-Krise tritt

Wie sieht die Wirtschaft nach der Krise aus? Als Innovationsstadt gehört Berlin die Zukunft. Ein Gastbeitrag.

Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) ist Bürgermeisterin von Berlin sowie Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Sie ist auch Verwaltungsratsvorsitzende der Investitionsbank Berlin und Mitglied im Aufsichtsrat von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie sowie der Messe Berlin.

Berlin ist Stadt der Freiheit und des freien Geists. Als Innovationsstadt war und ist Berlins Wirtschaft erfolgreich. Mitten in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Wiedervereinigung schaut manch ein Kommentator mit Häme auf die Hauptstadt. Die „FAZ“ sieht das „Ende des Berliner Geschäftsmodells“.

Der Tourismus und die Kreativ- und Medienbranche als Markenkern Berlins sind besonders von der Krise betroffen. Das ist richtig – und dennoch falsch in der Verkürzung des wirtschaftlichen Erfolgs Berlins. Berlin ist die „Stadt der Freiheit“. Sie war aber auch schon immer die „Stadt des freien Geistes“. Der Erfindergeist ist zurück in der Stadt und zeigt sich in den zahlreichen Start-ups, Gründungen, Forschungseinrichtungen und Zukunftsorten. Berlin ist Hauptstadt der Innovation.

Denn weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit hat sich Berlins Wirtschaft bereits in den letzten Jahren emanzipiert. Seit 2016 lag das Wirtschaftswachstum Berlins stets deutlich über dem Bundesschnitt, in den Jahren 2018 und 2019 als Spitzenreiter.

Auch beim Lohnwachstum und den neu geschaffenen Arbeitsplätzen liegt die Hauptstadt ganz weit vorne im Reigen der deutschen Länder. Selbst im Mai 2020 – auf dem Höhepunkt der Corona-Epidemie – stehen 10.000 zusätzliche, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Vergleich zum Mai 2019. Und es gibt allen Grund anzunehmen, dass die Stadt nach der Pandemie an diese Erfolge anknüpfen kann.

Berlin ist stark in den Zukunftsfeldern: Als unumstrittene Start-up-Hauptstadt Deutschlands werden hier die Trends der Digitalisierung ersonnen und gefördert. Praktisch alle Dax- und zahlreiche internationale Konzerne haben ihre Digitaltöchter in Berlin angesiedelt.

Berlin ist bekannt als „Stadt der Freiheit“ aber auch als „Stadt des freien Geistes“.
Berlin ist bekannt als „Stadt der Freiheit“ aber auch als „Stadt des freien Geistes“.
© Fabian Sommer/dpa

Die gemeinsame Innovationsstrategie mit Brandenburg setzt bereits seit Jahren auf Felder, die nach der Krise besonders gefragt sein werden, wie der Gesundheits-, der Energie- und der Mobilitätsbereich. Hier haben wir besonders starke Player in Wirtschaft und Wissenschaft. Die Lektionen des Virus sind: Krisenresilienz und Digitalisierung voranbringen und die Dekarbonisierung der Industrie zur Bekämpfung der Klimakrise rechtzeitig angehen. Die Berliner Wirtschaft wird für den Rest des Landes und der Welt Lösungen genau dafür anbieten können.

Berlin ist für Fachkräfte attraktiv

Manch einer mutmaßt, dass der starke Fokus Berlins auf die Kreativ- und Eventbranche nun bittere Folgen hat. Kurzfristig sind die Unternehmen in diesen Bereichen besonders getroffen. Aber es wäre fatal, daraus den Schluss zu ziehen, diese Branchen könnten nun vernachlässigt werden.

Längst spielt das Angebot an Fachkräften bei Standortentscheidungen auch eine entscheidende Rolle. Und Fachkräfte kommen in Regionen und Städte, die aus beruflicher wie privater Perspektive gleichermaßen attraktiv sind. Bezahlbare Mieten, eine hohe Lebensqualität, gute Bildung sind dafür die Voraussetzung.

[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]

Diese vermeintlichen Wohlfühlthemen sind mittlerweile harte Standortfaktoren für unsere Stadt. Das kreative Umfeld und Image der Stadt ist zentraler Ankerpunkt gerade auch für innovative Unternehmen und Start-ups, die sich eben genau aus diesen Gründen für Berlin entscheiden. Auch deswegen war es wirtschaftspolitisch essenziell, den frühen und schnellen Fokus auf die Selbstständigen und Kreativen zu richten und sofort Hilfe in der Pandemie zu leisten.

Die Mischung aus Kreativität und Wissenschaft, aus Ausbildung und Forschung und Unternehmen, die das hier produzierte Wissen für neue Produkte und Geschäftsmodelle nutzen, macht Berlin zur Innovationsstadt. Genau an der Schnittstelle zwischen wissensintensiven Dienstleistungen und moderner Produktion liegt unsere Stärke.

Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Aufbauarbeit: In den elf Zukunftsorten Berlins werden die Netzwerkstrukturen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen gelebt. Mit unserer starken Digitalkompetenz unterstützen wir den produktionstechnischen Wandel hin zu modernen Fertigungsverfahren, die effizienter, flexibler und ressourcenschonender sind.

Denn diese Transformation ist für eine wachsende Stadt wie Berlin mit ihren besonderen Herausforderungen als Industriestandort essenziell. Wir vernetzen Industrie, Forschung und IT-Wirtschaft in konkreten Verbundprojekten. Wir verbinden Stadtentwicklung und industrielle Leuchtturmprojekte, um Berlin zur Referenzplattform für Zukunftstechnologien auszubauen. Die Entscheidung von Siemens, hohe dreistellige Millionenbeträge in die Siemensstadt zu investieren, ist Ausweis dafür. In der Siemensstadt 2.0. wird gezeigt, wie das Schlagwort der „urbanen Industrie“ mit Leben gefüllt werden kann.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Mutige Innovationspartnerschaften sind gefragt

Denn die Rückkehr der Industrie in die Städte ist einer der Megatrends unserer Zeit. Digitalisierung, Dekarbonisierung und emissionsfreie Produktion brauchen das kreative Umfeld aus Wissenschaft, Forschung. Wohnen, forschen, arbeiten und leben an einem Ort: Das wird in Berlin wieder zur Normalität.

Ohne Frage: Berlin ist kein Wunderland. Insbesondere die kaputtgesparte Verwaltung der Stadt muss innovationsfreundlicher werden. Themen wie Open-Data werden in den Fachressorts noch immer abgewehrt. Es gilt, mutig Innovationspartnerschaften in der Beschaffung einzugehen und Experimentierklauseln bei Genehmigungsprozessen stärker zu nutzen.

Wir müssen noch mehr Orte in der Stadt definieren, wo neue Formen der Mobilität, der Energieerzeugung und -versorgung pilothaft im öffentlichen Raum ausprobiert werden. Der gesetzliche Rahmen ist da, es fehlt an Mut und Wissen in der Verwaltung. Dies ist eine Hauptaufgabe der nächsten Zeit. Kern muss der Wissenstransfer aus der Theorie in die gelebte Praxis sein.

Berlin ist bereits die Stadt in Deutschland, wo Neues erdacht wird. Sie ist zunehmend der Ort, wo Neues produziert wird. Wir müssen dafür sorgen, dass Berlin auch die Stadt ist, wo Neues für den Rest der Welt erfahrbar wird. Berlin ist die Stadt, die immer gestärkt aus Krisen herausgewachsen ist: mit ihrem Freiheitsdrang, mit ihrer unerschöpflichen Kreativität und ihrem Innovationsgeist.

Ramona Pop

Zur Startseite