Rückblick: Wie Berlin 1918 und 1948 Weihnachten feierte
Turbulentes Fest 1918: Erst wurde gekämpft, dann gefeiert. 1948 gab’s die Geschenke von den US-Soldaten. Ein Streifzug durch die Stadtgeschichte.
Viel ist in diesem Jahr zurückgeblickt worden auf besondere Momente der deutschen und der Berliner Geschichte, und meist spielte bei diesen Jubiläen die Endziffer 8 eine entscheidende Rolle: die Revolutionen von 1848 und 1918, der Beginn der Luftbrücke 1948, das Aufbegehren der Studenten 1968. Alles historische Großereignisse voller Dramatik, und kein Gedanke an „Stille Nacht“ oder „O du fröhliche“. Dennoch, auch in Krisenzeiten wie diesen wurde Weihnachten gefeiert, wenn auch oft mit nicht zu vertreibendem Unbehagen, voller Sorge, was der nächste Tag bringen würde.
Nun gut, 1848 war dieses Gefühl vielleicht nicht ganz so stark ausgeprägt, die Berliner Straßenkämpfe lagen ein dreiviertel Jahr zurück. Und auch 1968 bevorzugten die aufmüpfigen Studenten offenbar ein warmes Plätzchen unterm Christbaum, anstatt sich am Kurfürstendamm von Wasserwerfern nassspritzen zu lassen: Demonstrationen wurden am Heiligabend keine gemeldet. Aber die Weihnachtstage 1918 und 1948 waren in Berlin alles andere als gemütlich, es waren Tage des Mangels, der Angst, auch des Todes, aber zugleich Tage der Besinnlichkeit. Oft lagen nur Stunden zwischen widersprüchlichsten Ereignissen und den damit verbundenen Empfindungen.
An Heiligabend 1918 gab es bürgerkriegsähnliche Zusammenstöße
Man nehme nur das Foto, das vor 100 Jahren von dem Pressefotografen Willy Römer abends im Lustgarten aufgenommen wurde: Im Vordergrund eine Menschenmenge, die Augen meist auf einen in der Bildmitte strahlenden Weihnachtsbaum gerichtet, wo offenbar die Musikkapelle spielt, die Römer in der Bildlegende erwähnt hat. In der Bildmitte ragt das Reiterstandbild von Friedrich Wilhelm III., dahinter liegt friedlich das Schloss, eine dunkle Masse ohne Konturen. An sich hat die Aufnahme nichts Spektakuläres, wäre da nicht das von Römer genannte Aufnahmedatum: 24. Dezember 1918.
Am Abend also herrschte schon wieder besinnliche Normalität, wo Stunden zuvor noch heftig gekämpft worden war? Ausgerechnet zu Heiligabend gab es bürgerkriegsähnliche Zusammenstöße zwischen den revolutionären Matrosen der im Schloss und im Marstall verschanzten Volksmarinedivision und regierungstreuen Truppen. Das Schloss wurde mit Maschinengewehren und vom Lustgarten her mit Artillerie beschossen, konnte anfangs eingenommen werden, musste aber wieder geräumt werden, nachdem andere revolutionäre Einheiten und bewaffnete Arbeiter den Matrosen zu Hilfe kamen und Friedrich Ebert, Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten, den Befehl zur Einstellung der Kämpfe erteilt hatte.
Der Schauplatz des blutigen Kräftemessens lockte hinterher viele Schaulustige an, möglicherweise blieb der eine oder andere abends gleich da, hoffend auf ein paar anrührende Momente unterm Christbaum. Aber bizarr wirkt die von Römer festgehaltene Szene schon, hatte doch der Tag 56 Regierungssoldaten, elf Matrosen, aber auch Zivilisten das Leben gekostet.
Arbeitslosigkeit, Brennstoffmangel
Besinnlichkeit mit Gänsehaut – so dürfte das Grundgefühl der meisten Berliner in jenen gewalterfüllten Weihnachtstagen vor 100 Jahren gewesen sein. Und vielen wird auch der Magen geknurrt haben, zählte man in Berlin, so berichtete das „Berliner Tageblatt“ am 22. Dezember, insgesamt 88.500 Arbeitslose. Noch immer druckten die Zeitungen Todesanzeigen von Frontsoldaten ab, obwohl seit fast zwei Monaten im Westen wirklich nichts Neues mehr passierte, der Krieg zu Ende war. Auch die Ankündigung der Schulbehörde, dass man die Weihnachtsferien bis zum 11. Januar verlängere, wird die Schüler nur begrenzt gefreut haben. Anlass sei der „bevorstehende Brennstoffmangel“, hieß es zur Begründung.
Doch muss es auch in den damaligen stürmischen Zeiten so etwas wie Weihnachtsmärkte und ein saisonales, wenngleich bescheidenes Sortiment in den Läden und Kaufhäusern der Stadt gegeben haben. Beispielsweise die Weihnachtsteller der Porzellanfabrikanten. Rosenthal zeigte, dem Kriegsende angemessen, einen demütig knienden und betenden Krieger in Ritterrüstung, umrahmt von dem Bibelspruch „Frieden den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind“. Die Königliche Porzellanmanufaktur Berlin dagegen hatte die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt und zeigte zwei Matrosen auf einem U-Boot, einer trägt einen kleinen Weihnachtsbaum. Immerhin, mit den Matrosen lag die KPM richtig.
Für die Masse der Berliner lagen preiswertere Präsente bereit, etwa „Christbaumschmuck als Glücksfiguren zu Neujahr zu schmelzen“, wiederum durch ein Foto von Willy Römer dokumentiert, aufgenommen zu Weihnachten 1918 auf einem nicht näher lokalisierten, aber recht ärmlichen Weihnachtsmarkt: Zwei heimkehrende Frontsoldaten decken sich dort mit Geschenken ein, noch in ihren Uniformen, beladen mit Rucksack und einer zum Gepäckstück umfunktionierten Munitionskiste. Lange werden sie die Militärklamotten nicht mehr getragen haben, war doch erst am 22. Dezember eine „Bekanntmachung betr. Ablieferung von Heereswaffen und sonstigem Heeresgut“ in den Zeitungen veröffentlicht worden.
Am 24. Dezember 1948 Zwischenfall im Luftkorridor
Immerhin hatte es am Vortag des Heiligabends geschneit, eine dünne weiße Decke schmückte reiche wie arme Viertel, der Schriftsteller Klabund hat die immer größere Kluft dazwischen im Gedicht „Berliner Weihnacht 1918“ beschrieben: „Am Kurfürstendamm, da hocken zusamm / Die Leute von heute mit großem Tamtam. / Brillanten mit Tanten, ein Frack mit was drin, / Ein Nerzpelz, ein Steinherz, ein Doppelkinn.“ Weiter nördlich vom Boulevard sah es anders aus: „Am Wedding ist’s totenstill und dunkel. / Keines Baumes Gefunkel, keines Traumes Gefunkel. / Keine Kohle, kein Licht ... im Zimmereck / Liegt der Mann besoffen im Dreck.“
Auch 30 Jahre später, zu Weihnachten 1948, gab es wieder „keine Kohle, kein Licht“, diesmal allerdings vor allem im Westen der Stadt: Blockade. Und wenn auch nicht aufeinander geschossen wurde, dramatisch genug waren die Zeiten auch so. Ausgerechnet am 24. Dezember, dem 184. Tag der Blockade, gab es einen schweren Zwischenfall im Luftkorridor nach West-Berlin. Eine viermotorige C-54 Skymaster der US Air Force stieß kurz vor der Stadt in 600 Meter Höhe fast mit seinem sowjetischen Jagdflugzeug zusammen. Solche Zwischenfälle waren während der Luftbrücke nicht selten.
Rosinenbomber, aber auch zivile Maschinen wurden häufig von sowjetischen Jägern bedrängt, mitunter sogar beschossen. Diesmal allerdings ging der Zwischenfall gut aus, und der Tagesspiegel konnte für den Tag 369 Flüge melden, mit denen 3312 Tonnen Kohle, Lebensmittel und andere Güter nach West-Berlin gebracht wurden. Tödlich endete dagegen kurz vor Weihnachten ein Unfall in der Moabiter Flemingstraße: Eine Ruine stürzte ein, begrub vier Männer unter sich, zwei von ihnen starben.
Oberst Frank Howley empfand „tiefste Sympathie für Berlin“
Es waren Zeiten, in denen das Wort eines gar nicht mal so ranghohen US-Offiziers mehr galt als das des Papstes. Dass er „tiefste Sympathie für Berlin“ empfinde, wie der Direktor der amerikanischen Militärregierung in Berlin, Oberst Frank Howley, in seiner Weihnachtsbotschaft die Bevölkerung wissen ließ, war dem Tagesspiegel, der noch im Tempelhofer Ullsteinhaus saß, jedenfalls die Schlagzeile auf der ersten Seite der Ausgabe vom 25. Dezember wert. Erst an zweiter Stelle folgten die Worte von Pius XII.
Verständlich war das schon, ohne die Luftbrücke mit den Maschinen der US Air Force und der Royal Air Force wäre West-Berlin durch die Blockade bald in die Knie gezwungen worden. Mangel herrschte dennoch allerorten, die Zeitungsspalten waren voller Nachrichten, die von der Not der Bevölkerung handelten, sei es, dass über die Bezugsmöglichkeiten durch die allgegenwärtigen Berechtigungscheine berichtet wurde, sei es, dass Kriegsheimkehrer beschenkt wurden oder wieder mal alliierte Soldaten für Berliner Kinder gesammelt und diese Spenden nun bei einer Weihnachtsfeier übergeben hatten.
Und viele Eltern mussten alleine feiern, hatten das Angebot der britischen Militärregierung angenommen und ihre Kinder via Luftbrücke zu Verwandten nach Westdeutschland geschickt. Dort konnten sie sich mal wieder satt essen.
Es muss ihnen wie im Schlaraffenland vorgekommen sein – so schilderte es ein kleiner Junge, der von Neusiedlern in der Lüneburger Heide aufgenommen worden war, dem Hamburg-Korrespondenten des Tagesspiegels: „Heimweh? Jeden Mittag wünsche ich mir, dass meine Mutti unseren Esstisch sehen könnte. Ich schreibe mir immer auf, was es gegeben hat, und das erzähle ich ihr dann in meinem Sonntagsbrief.“