Liebknechtbrücke in Mitte: Wertvolle Brückenteile nach 70 Jahren wiederentdeckt
Bei einer Firmenauflösung wurden drei wertvolle Schmuckteile der früheren Kaiser-Wilhelm-Brücke in Mitte gefunden. Gießer bewahrten den Zierrat 1941 vor dem Einschmelzen – und vergaßen ihn.
Ob die Kellerreste alter Gemäuer oder Feldsteinfundamente einstiger Bürgerhäuser, ob lange verschollen geglaubte Kunstwerke oder freigelegte, gut erhaltene Grabstätten samt Beigaben – unter Pflastersteinen oder Betonplatten in Berlins Mitte liegen viele Überraschungen. Selten zuvor kam so viel historischer Zierrat unserer Vergangenheit ans Licht wie in diesem Jahr. Die Archäologen können jubeln. Am Petrikirchplatz und vor dem Staatsratsgebäude, am Neustädtischen Kirchplatz, auf dem Schloss-Areal und zuletzt vor dem Roten Rathaus wurden sie fündig. Und auch die Denkmalpfleger freuen sich. Am Donnerstag präsentierte Landeskonservator Jörg Haspel drei plötzlich wiederaufgetauchte Teile vom künstlerisch gestalteten Schmuck der früheren Kaiser-Wilhelm-Brücke, die heute (schräg gegenüber dem Dom) Karl-Liebknecht-Brücke heißt.
„Es war ein unverhofftes Geschenk, und das kommt wirklich nicht alle Tage vor“, sagt Berlins oberster Denkmalpfleger. Jörg Haspel streichelt behutsam und fast zärtlich die drei gut erhaltenen Schmuckstücke aus Bronze: Die preußisch-deutsche Kaiserkrone, ein Relief mit einem wild um sich fauchenden Drachen und die dramatische Darstellung des Hauptes der Medusa. Die beiden mythischen Tafeln und die Krone, der nur der Reichsapfel abhanden gekommen ist, sind etwa 125 Jahre alt. Sie gehörten zu der nach Kaiser Wilhelm I. benannten Brücke, die 1885/88 nach dem ersten künstlerischen Wettbewerb für ein Berliner Bauvorhaben nach Plänen von James Hobrecht, G. Rospatt und Reinhold Persius entstand und die Spree zwischen dem Stadtschloss und dem Berliner Dom überquerte.
1945 flog der mittlere Teil der Brücke in die Luft, weil die Sprengmeister der SS glaubten, den Untergang des Dritten Reichs mit einer Ladung Dynamit aufhalten zu können. Zu dieser Zeit – und hier beginnt die Odyssee der Figuren – waren die Bronzeplatten und die Kaiserkrone schon abmontiert, um für „kriegswichtige Zwecke“ eingeschmolzen zu werden. „Eines Tages, es muss 1941 gewesen sein, rollte eine Lkw-Fuhre mit den Schmuckteilen auf den Hof der Eisengießerei meines Schwiegervaters“, sagt Anita Bänninger aus Gießen. Alles sollte in den Feuerofen wandern, um dann in Granaten und Sprengköpfe verwandelt zu werden. „Aber kluge und mutige Arbeiter weigerten sich, das heißt, sie versteckten die Teile, weil es viel zu schade und geradezu eine Schande gewesen wäre, diese alte deutsche Handwerkerkunst zu zerstören.“ Sie freue sich, dass sie die Stücke den Berlinern zurückgeben könne. Die Teile ruhten, bedeckt vom Staub der Zeit, auf einem „Hochlager“, das wegen der Auflösung der Gießerei jüngst geräumt wurde.
„Die Odyssee hat ein glückliches Ende gefunden“, sagt Jörg Haspel. Er freut sich besonders über den Prototyp der preußischen Kaiserkrone, die übrigens so nie realisiert wurde. Nun kann man diesen Glücksfall samt Drachen und Medusenhaupt in Ausstellungen zeigen oder dahin bringen, wo sie vor 70 Jahren verschwunden waren: auf die Brücke am Dom.
Lothar Heinke