Berlin: Wertekunde: SPD überstimmt ihren Bildungssenator Parteitag mit großer Mehrheit gegen Religion als ordentliches Unterrichtsfach
Gemeinschaftsschule als Fernziel – Letztes Kita-Jahr soll kostenlos werden
Mit großer Mehrheit hat der Bildungsparteitag der SPD gestern für verpflichtende Wertekunde votiert. Das neue Fach soll zum Schuljahr 2006/07 ab Klasse 7 eingeführt werden. Nicht durchsetzen konnten sich die Fürsprecher eines Wahlpflichtmodells, bei dem man das Wertefach zugunsten von Religionsunterricht oder Lebenskunde abwählen kann. Als „bildungspolitische Perspektive“ sprach sich der Parteitag auch dafür aus, das gegliederte Schulsytem zugunsten einer Gemeinschaftsschule abzuschaffen.
Für das neue Werte-Pflichtfach, das sich an dem brandenburgischen LER (Lebensgestaltung/Ethik/Religionskunde) orientieren soll, stimmten 166 Delegierte, 51 waren dagegen. Der Abstimmung war eine heftige Debatte vorausgegangen. Die Fürsprecher eines Pflichtfachs ohne Abwahlmöglichkeit, unter ihnen Parteichef Michael Müller und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, argumentierten, dass alle Jugendlichen gemeinsam etwas über ihre religiösen und kulturellen Wurzeln erfahren sollten.
Bildungssenator Klaus Böger unterlag mit seiner Ansicht, dass es eine Wahlmöglichkeit geben müsse. Er wandte sich gegen diejenigen in seiner Partei, die davon ausgingen, dass in Religionsunterricht und Wertekunde „indoktriniert“ werde. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse als prominentester Vertreter des Wahlmodells, sagte, die deutsche Verfassungsordnung verbiete, „dass der Staat sich Wertebevormundung anmaßt“. Der Staat dürfe Wissen vermitteln, aber für Wertevermittlung brauche er verlässliche Partner wie die Kirchen. Thierse erinnerte daran, dass die DDR in den 50er Jahren die Kirchen aus den Schulen verdrängt habe. Etwas Derartiges dürfe sich nicht wiederholen: „Es ist politisch, verfassungsrechtlich und inhaltlich falsch, kein Wahlpflichtmodell zuzulassen“, so Thierse.
Renate Harant vom Arbeitskreis Bildung der SPD warnte vor den Kosten, die entstünden, wenn alle Kinder LER hätten und zusätzlich noch freiwillig Religionsunterricht oder Lebenskunde besuchen könnten. Zudem löse man das Problem nicht, das Berlin mit der Islamischen Föderation habe. Nur wenn es islamischen Unterricht im Wahlpflichtmodell als staatlich verantwortetes Fach gäbe, könne der Staat ausreichend Einfluss auf die Unterrichtsinhalte nehmen.
Um den Streit mit den Kirchen abzuschwächen, wurde der Antrag zur Einführung von LER erweitert. Es wurde die Formulierung aufgenommen, dass die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften „gemeinsame Projekte in Zusammenarbeit mit dem Fach LER anbieten können“. Dies reicht den Befürwortern des Wahlpflichtmodells nicht. Sie befürchten, dass der Religions- und Weltanschauungsunterricht aus den Schulen verdrängt wird, wenn er in den Nachmittagsstunden stattfinde und die Kinder zusätzlich LER besuchen müssten.
Bei der Diskussion über die Gemeinschaftsschule gab es weniger kritische Rednerbeiträge. Selbst Bildungssenator Böger stimmte letztlich für den Leitantrag, der „eine Schule für alle“ als Ziel formuliert. Um auch die Gegner dieser Passage mit uns Boot zu holen, wurde der Antrag um den Satz ergänzt, dass „mit Schülern, Eltern, Lehrern und Wissenschaftlern“ ein Dialog über das Konzept der neuen Schulform geführt werden solle.
Beschlossen wurde auch die schrittweise Abschaffung der Kitagebühren „beginnend für Kinder, die das letzte Jahr einer Kita besuchen“. Außerdem sollen die Gruppengrößen, zurzeit maximal 15 Kinder pro Erzieherin, nicht erhöht werden.
Gestrichen wurde die umstrittene Pasage zu den Privatschulen. Sie waren im Antragsentwurf als „Fluchtorte“ bezeichnet worden, deren Genehmigung „widerrufen oder verweigert“ werden müsse, wenn das Schulgeld zu hoch sei.
Vor dem Tagungsort der Sozialdemokraten, der Kongresshalle am Alex, hatten sich hunderte Eltern und Lehrer und Gewerkschafter versammelt, um gegen die Bildungspolitik der SPD zu protestieren.
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