Religionsgegner: Wer sind die Humanisten?
Die Guten wollen sie sein. Aufklären. Aber ihre DDR-Vergangenheit hängt ihnen nach. In Berlin kämpfen sie gegen die Initiative Pro Reli. Denn ihr Motto lautet: Es geht auch ohne Kirche. Fragen und Antworten zu dieser Bewegung.
WOHER KOMMEN DIE HUMANISTEN?
Der „Verein der Freidenker zur Ausführung von Feuerbestattung“, 1905 in Berlin von Sozialdemokraten ins Leben gerufen, setzte sich von den Kirchen und generell vom Glauben an die Auferstehung ab. Es ist die erste Vorläuferorganisation der Humanisten. Philosophen und Pädagogen betrieben damals die Entwicklung des Schulfaches „Lebenskunde“ voran, um den Kirchen und dem Religionsunterricht ihre Sicht der Welt ohne Jenseits entgegenzusetzen. Ihre Hochzeit hatten die Freidenker in den 20er Jahren. Ihr Verband soll 700 000 Mitglieder stark gewesen sein, bis er 1933 von den Nazis verboten wurde. Erst am Ende der 50er Jahre gab es unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt (SPD), einen neuen Anlauf zur Einführung des Schulfaches Lebenskunde.
Die Freidenker von heute sind im „Humanistischen Verband“ (HVD) organisiert, der 1993 in Berlin gegründet wurde. In der Bundeshauptstadt kommt der Verband nach eigenen Angaben auf 4100 Mitglieder. Auf der Werbebroschüre des Verbandes lächeln der ehemalige Berliner Schulsenator Klaus Böger (SPD) und der Ex-Kultursenator Thomas Flierl (Linke).
Dass der ehemalige SED-Kulturfachmann Flierl für die Humanisten wirbt, verweist auf einen heiklen Aspekt der Verbandsgeschichte. Freidenker gab es nämlich auch in der DDR. Die „Pankower Freidenker“ waren eine SED-nahe Gruppe. Deren Auftrag bestand darin, Bürgerrechtler gewissermaßen einzufangen, die gegen das Regime opponierten, die sich aber nicht dem kirchlichen Widerstand anschließen wollten. Bei der Fusion der West- und der Ost-Freidenker wurden laut HVD-Geschäftsführer Manfred Isemeyer nur Leute aufgenommen, die nicht vorbelastet waren.
WO STEHEN SIE IN DER AUSEINANDERSETZUNG UM DAS SCHULFACH RELIGION?
An einem Scheideweg. Unter veränderten Umständen könnten die Humanisten in Zukunft einigen Einfluss auf die Berliner Schüler verlieren – was ihr entschiedenes Engagement gegen die Initiative Pro Reli erklärt. Nämlich dann, wenn sich die Initiative bei einem Volksentscheid durchsetzt. Ihr Gesetzentwurf besagt, dass alle Schüler an allgemeinbildenden Schulen „entweder am Religions- oder am Ethikunterricht“ teilnehmen. Die humanistische Lebenskunde würde ihren Sonderstatus verlieren. Sie müsste – wie der konfessionell gebundene Unterricht – mit dem Fach Ethik konkurrieren. Fraglich wäre, wie viele von den 45 000 Grundschülern dann noch den Lebenskundeunterricht besuchen würden. Im Moment wird Grundschülern alternativ zum Religionsunterricht das Fach Lebenskunde angeboten, was vor allem in den Ostberliner Bezirken angenommen wird. Auf den ersten Blick mag die Lebenskunde dem Fach Ethik ähneln, das ab der 7. Klasse unterrichtet wird. Ethik will eine Erziehung „im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit“. Das Fach soll laut Rahmenplan „bekenntnisfrei – also religiös und weltanschaulich neutral – unterrichtet“ werden. Lebenskunde ist anders, hier lernen die Schüler, Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Gewalt „mit Hilfe humanistischer Vorstellungen“ zu beurteilen. Oder sie lernen, ausgewählte religiöse Inhalte mit den Grundwerten der humanistischen Weltanschauung „zu vergleichen und zu beurteilen“.
WAS WOLLEN DIE HUMANISTEN?
Einfluss – wie alle, die für eine Weltanschauung oder eine Religion kämpfen. Mit dem Einfluss kommt die zahlende Kundschaft. Die Humanisten setzen bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen an, vermitteln Werte, formen das Bewusstsein etwas mit. Der Verband hat es so von einer Organisation der Religionskritiker zum sozialen Dienstleister gebracht: Jugendweihe, Hochzeitsfeier, Schwangerschaftskonfliktberatung, Patientenverfügung, palliativmedizinische Betreuung – für alle Lebenslagen ist gesorgt. Die unterschwellige Botschaft lautet: Keine Angst, es geht auch ohne Kirche – mit uns! Gegen das, wofür sie sich einsetzen, sollte niemand etwas haben. Vielleicht wirkt die Aneignung des Begriffs „Humanismus“ etwas anmaßend. Diese geistesgeschichtliche Strömung wandte sich in der Renaissance gegen die kirchliche Dogmatik, nicht aber gegen den christlichen Glauben an die eine Wahrheit.
Die Humanisten von heute haben ihre Lehre erheblich weiter gefasst. Beim Lesen ihrer Broschüren denkt man an Parteiprogramme mit ihrer durchweg positiven Sprache und der dahinter stehenden Behauptung: Wir sind die Guten! Den Humanisten ist die „Naturzugehörigkeit“ des Menschen so wichtig wie Gleichheit, Freiheit, Vernunft und „Weltlichkeit“. Sie gehen nicht „von der Existenz übernatürlicher Kräfte oder eines sinnstiftenden Schöpfers“ aus. So steht es im „vorläufigen Rahmenplan“ des Verbandes für die „Humanistische Lebenskunde“.
WIE FINANZIEREN SIE SICH?
Der Verband, der seinen Sitz in Berlin-Mitte hat, bekommt als „Weltanschauungsgemeinschaft“ Geld vom Land Berlin – wie auch alle anderen Organisationen dieser Art und die Kirchen. Viel wichtiger als die halbe Million Euro institutionelle Förderung sind fast zwölf Millionen Euro für den Lebenskundeunterricht. Davon bezahlt der HVD die Lebenskundelehrer. In einem Rechtsstreit mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hielt der HVD fest, er habe „keine ehemaligen Staatsbürgerkunde-Lehrer umgeschult“. Staatsbürgerkunde war ein Unterrichtsfach in der ehemaligen DDR, das die Schüler zu gefestigten sozialistischen Staatsbürgern erziehen sollte.
Der Humanistische Verband betreibt heute in Berlin 22 Kindertagesstätten und bezieht daraus fast 40 Prozent seiner Einnahmen – 14,3 Millionen Euro. Ebenso wichtig ist der Schulbetrieb. Der Lebenskundeunterricht erreichte 2008 nach einer Statistik des Senats fast 45 000 Grundschüler. Dafür bezahlte das Land Berlin 11,9 Millionen Euro an den HVD. Der honoriert davon die Lehrkräfte für das Schulfach.
WARUM SIND SIE SO UMSTRITTEN?
Humanisten konkurrieren mit den Kirchen, tun aber so, als gehe es nicht um die Konkurrenz von Weltanschauungen, sondern um Aufklärung über religiöse Irrtümer. Ihre Texte enthalten die unausgesprochene Behauptung, Humanisten seien vernünftiger, geistig weiter, aufgeklärter als gläubige Menschen. Damit treiben sie den Prozess der Säkularisierung in Berlin voran. Etwas anderes kommt hinzu: Die forcierte Ablehnung von Religion erinnert manche Eltern an DDR-Zeiten. „Humanistische Ideale“ nahmen auch die Stützen des DDR-Regimes für ihren Staat in Anspruch. In der DDR war die Jugendweihe eine Veranstaltung, die zur Identifikation mit dem Staat dienen sollte, wie der Historiker Andreas Meier geschrieben hat.
Mit Entrüstung weisen heute führende Funktionäre des Verbandes alles zurück, was mit DDR, Staatsbürgerkunde, Stasi und anderen infizierten Begriffen zu tun hat. Der Berliner Landesvorsitzende Bruno Osuch und der Landesgeschäftsführer Manfred Isemeyer sind ihren eigenen Worten nach typische Beispiel für Menschen, die schlechte Erfahrungen mit der Kirche, aber gute Erfahrungen mit der politischen Linken und den diversen Protestbewegungen der 60er und 70er Jahre gemacht haben und so zur Freidenkerei gekommen sind. Sie haben sich von religiöser Bevormundung befreit. Dem halten Theologen die Frage entgegen: Wenn man Religion abschafft – was tritt dann an deren Stelle? Wissenschaft? Evangelische Theologen argumentieren: Die Humanität einer Gesellschaft entsteht auch aus der Differenz zwischen Wissen, Glauben und Hoffen.
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