U20-Poetry-Slam-Meisterschaften: Wer dichtet so spät...
Goethe und Brecht waren gestern, jetzt kommen Nick Pötter und Lars Ruppel. Die U20-Poetry-Slam-Meisterschaft zeigt, wie aktuell Gedichte sind.
Studentisches Publikum quetscht sich auf Bierbänke, viel Club Mate, hohe Jutebeutel-pro-Kopf-Quote. Junge Menschen lesen Gedichte vor. Wer jetzt an Erlkönig und Nebelschwaden denkt, der ist fehl am Platze. Die Rede ist längst nicht mehr von Goethe und Brecht und vorgetragen wird auch nicht mehr in Schulaulas, sondern am liebsten in Berliner Szeneclubs und -theatern. Statt die Gedichte Heiligabend unterm Tannenbaum aufzusagen, bewertet man sie mit Punktetafeln. Von eins, wie langweilig, bis zehn, wie atemberaubend.
Ab Mittwoch finden die U20-Poetry- Slam-Meisterschaften auf den Bühnen des Grips-Theaters statt. Die 60 besten Slammer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein reisen dafür nach Berlin. Warum sind Gedichte wieder modern? „An Poetry Slam ist der Reiz, dass es in erster Linie anders als Kino und Theater ist“, sagt Nick Pötter. Der 21-Jährige gewann im vergangenen Jahr die Berlin-Brandenburg-Meisterschaften und moderiert in diesem Jahr. „Viele Leute gehen dorthin, weil sie nicht genau wissen, was passiert.“ Seit zwei Jahren steht er auf der Bühne.
Es sind bereits die zehnten U20-Meisterschaften, doch die Regeln bleiben die gleichen: Selbst verfasste Texte, keine Requisiten, fünf Minuten Zeit und der Künstler darf keinen Tag älter als 20 Jahre sein. Ansonsten ist alles erlaubt: Rap, Reime, Freestyle und Geschichten. In sechs Vorrunden, zwei Halbfinals und im Finale der besten zehn wählt das Publikum durch die besagten Punktetafeln seine Favoriten. Oder es applaudiert so laut es kann. Der Künstler mit der besten Punktzahl oder dem lautesten Applaus gewinnt dann.
Alt gegen Neu
Wie man sich bei einem Slam durchsetzt? „Die beliebte Formel ist es, einen sehr lustigen Text zu schreiben, der die Zuhörer am Ende mit einem Satz extrem zum Nachdenken bringt“, sagt Nick Pötter.
Besonders interessant wird ein Wettstreit gleich am Mittwoch zu Beginn der Meisterschaft: Alt gegen Neu, heißt es dann. Die älteren Vertreter der Poetry-Slam-Szene gegen Slammer, die deren Kinder sein könnten. Veranstalter Lars Ruppel glaubt an die Frischlinge: „Die Jungen lassen die Poesie näher an sich und ihre persönlichen Themen ran und das Publikum daran teilhaben“, sagt Ruppel, selbst 29 und schon lange dabei. „Sie haben die Motivation mit ihren Texten etwas zu verändern.“ Die beliebtesten Themen dabei seien die Digitalisierung der Gesellschaft, das Individuum in der großen Welt, Erwachsenwerden und Kapitalismuskritik.
Aber warum übt dieser Poetry Slam eine solche Faszination auf junge Leute aus? „Weil ein Poetry Slam nicht krampfhaft versucht zu vermitteln, dass Gedichte cool sind“, sagt Lars Ruppel. Nicht? Die Club-Mate-Fraktion scheint das ein wenig anders zu sehen. Nick Pötter schätzt den Slam als Trend-Beschäftigung ein: „Versnobte Pärchen gehen oft hin, um sagen zu können, sie waren auf einer Kulturveranstaltung.“ Aber auch, weil man nach dem ersten Poetry Slam einfach „geflashed“ sei. Einmal Slammer, immer Slammer.
„Poetry Slam taugt nicht als Unterrichtsthema“
Ob auch im Schulunterricht Goethe bald den Slam-Poeten weicht? „Wer auf den gängigen Websites für Schüler einmal nach Poetry Slam sucht, wird verzweifelte Foreneinträge finden, die Hilfe bei der Interpretation eines Gedichtes von Sebastian 23 brauchen“, berichtet Lars Ruppel lachend. Gut findet er das allerdings nicht. „Poetry Slam taugt nicht als Unterrichtsthema. Man muss es erleben und im besten Fall selbst gestalten.“
Zu gewinnen gibt’s bei den Meisterschaften übrigens nur „wertlosen Blödsinn“, wie es Lars Ruppel nennt. Keiner käme nur, um abzuräumen. Es geht um den Slam, Dabeisein ist alles. Generation Poesie also.
Eröffnungsshow „Alt gegen Neu“ am Mittwoch, 20 Uhr, im Grips am Hansaplatz, Hansaviertel. Bis Sonnabend finden die Poetry Slams immer um 18 und 20 Uhr im Grips-Theater statt. Eintritt 7, ermäßigt 4 Euro.
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Jolinde Hüchtker
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