Paten im Ehrenamt: Wenn Duschen zum Luxus wird
Die ehrenamtlichen Helfer von „Wellcome Berlin“ übernehmen Patenschaften für Babys. Damit helfen sie Müttern, die pausenlos im Betreuungseinsatz sind – und dringend Ruhe brauchen.
Die Frau da drüben, die mit dem grünen T-Shirt? Längst registriert. Und der Typ mit der roten Baseballkappe, der so cool vorbeischlendert? Selbstverständlich bereits erfasst. Franz entgeht nur wenig hier auf der Straße. Wie auch? Er sitzt ja auf einer Bank mitten in der Wilmersdorfer Straße, bester Beobachtungsstandort.
Zwei Meter neben ihm ist Johann. Sein Zwillingsbruder. Johann bekommt gar nichts mit, Johann schläft. Das ist okay, er hat schließlich gerade Milch bekommen, das macht müde. Und als Baby von fünf Monaten verpennt man ohnehin viel Zeit im Kinderwagen.
Franz dagegen wippt leicht auf den Knien von Renate Lippert. Franz blickt in die Gegend, also blickt sie mit. Sie hat keine Eile, sie muss die Jungs erst in zwei Stunden zurückbringen. Zu Silvia Klein, einer jungen Mutter, die dankbar für drei Stunden Ruhe ist. Die in diesen Stunden Behördenkram erledigt hat. Die sagt, dass sie manchmal „einen dritten oder vierten Arm bräuchte“. Und dass ihr Schwager zwar erzählt hatte, wie anstrengend Kinderbetreuung sein kann. Aber, na ja, der Schwager, „man glaubte das ja nicht“. Jetzt weiß sie es.
Aber deshalb gibt’s ja Frauen wie Renate Lippert. Eine 61-Jährige mit kurzen Haaren und viel Dynamik. Eine von 200 ehrenamtlichen Helfern, die für „Wellcome Berlin“ im Einsatz sind. Die Anlauf- und Hilfsstelle ist da für das Wohlbefinden – die „Wellness“ – der Mütter. Wenn die Kinder schreien, wenn die Frauen im Dauereinsatz sind, wenn Duschen, Haarewaschen, Geschirrspülmaschineeinsortieren oder Einkaufen zum Luxus wird.
Wellcome-Helfer entlasten erschöpfte und genervte Mütter, sie kümmern sich stundenweise um die Kinder, damit die Mutter mal durchatmen kann. Zweimal pro Woche, jeden Montag und Freitag, klingelt Renate Lippert bei Silvia Klein in Wilmersdorf. Immer zu festen Zeiten, anders geht es nicht. Die 61-Jährige arbeitet schließlich auch noch für einen Senioren-Freizeittreff. Ein spontaner Hilferuf von Silvia Klein, an einem Dienstagnachmittag etwa, ist nicht drin. Und ihr Partner kommt immer erst abends.
Maximal sechs Monate taucht Renate Lippert bei der gleichen Frau auf. „Dann sind die Mütter aus dem Gröbsten raus.“ Franz und Johann ist ihr 13. Betreuungsjob, die Gesundheitswissenschaftlerin Klein hatte sich einen Monat nach der Geburt bei Wellcome gemeldet.
Jetzt sitzt Renate Lippert in der Wilmersdorfer Straße, Johann neben sich, Franz fünf Zentimeter vor sich, die Sonne strahlt, und die Ex-Sekretärin erzählt von den Müttern, die sie hatte. Von jener Frau, die in den freien Stunden einkaufen ging und dann ins Café, einfach nur dasitzen, Zeitung lesen, zwei Stunden Ruhe genießen. Oder von der Mutter, die immer ihren Zahnarzttermin mit Lipperts Präsenz koordinierte. Oder von jenen Müttern, die einfach nur mal schlafen wollen, nur schlafen.
Und zum Schluss berichtet sie von jener Mutter, die sich noch vor der Geburt bei Wellcome gemeldet hatte und Renate Lippert dann aus der Fassung brachte. „Was machen Sie denn jetzt in den freien Stunden?“, hatte die Helferin gefragt, reine Neugier, es war ja der erste Treff. Da blickte die Mutter unschlüssig in die Gegend, überlegte und sagte zögernd:
„Also, ich weiß es jetzt gar nicht.“
Wie bitte? Warum dann Wellcome?
„Weil es bei meinem ersten Kind so schwierig war. Ich hatte Angst, dass es beim zweiten auch so wird.“ Nach dem zweiten Treffen beendete Lippert die Besuche. „Manchmal“, sagt sie, „funktioniert es einfach nicht.“
Manchmal klappt es aber wunderbar. Wie bei Franz und Johann. Oder bei jener Mutter, die Renate Lippert dankbar Socken strickte. „Die habe ich heute noch.“
Socken, ein dankbares Lächeln, zufriedene Gesichter, das ist das emotionale Honorar für die 61-Jährige. Sie erhält nur Fahrgeld, ihr Antrieb ist Idealismus. Und sie macht es seit fünf Jahren, seit sie in der RBB-„Abendschau“ auf Wellcome gestoßen ist.
Das ist typisch. „Wir erhalten viele Freiwillige über die Presse“, sagt Katja Brendel, die Koordinatorin für Berlin. Und übers Netzwerk der Organisation, Träger, Kliniken, Hebammen, Gynäkologen, Beratungsstellen.
Im April 2007 ist in Berlin der erste Standort eröffnet worden, in Prenzlauer Berg. Inzwischen gibt es 17 Anlaufstellen; rund 50 Prozent der Helfer sind im Ruhestand, die jüngsten Ehrenamtler sind 18 Jahre alt, die ältesten Mitte 70.
In der Wilmersdorfer Straße, Renate Lippert sitzt jetzt hier seit einer halben Stunde, wird’s nun ganz spannend. Vor der Bank flaniert eine grell geschminkte Frau mit verwegenem Sommerhut auf dem rot gefärbten Haar. Eine schräge Gestalt, Blickfang für Beobachter. Für Franz selbstverständlich auch.
Aber Franz lässt sie einfach vorbeiziehen. Franz ist völlig teilnahmslos. Er wippt nicht einmal mehr. Franz liegt im Kinderwagen. Er schläft.
Berliner Patenprojekte für junge Familien:
Wellcome sucht weitere Paten für den ehrenamtlichen Einsatz. Informationen für Interessierte gibt es über Telefon: 29 49 35 83 und E-Mail: berlin@wellcome-online.de.
Känguru ist ein Projekt des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. Kontakt über Telefon: 440 30 82 62 und E-Mail: info@kaenguru-diakonie.de.
Frühe Hilfen – Bärenstark ins Leben ist ein Projekt des Sozialdiensts katholischer Frauen e.V. Berlin. Kontakt über Telefon: 44 79 35 98 und E-Mail: fruehehilfen@skf-berlin.de.