zum Hauptinhalt
Besucher warten an einem heißen Tag auf dem Drachenberg auf den Sonnenaufgang über Berlin.
© Kay Nietfeld/dpa

2050 bis zu sechs Grad wärmer: Wenn Berlin so warm wie Canberra wird

Eine Studie zu den Folgen der Klimakrise untersucht, wie sich die Temperaturen in Europas Metropolen entwickeln. Ein Ausblick auf die Stadt der Zukunft.

Es wirkt wie ein letzter verzweifelter Appell der Wissenschaft an die Weltbevölkerung, den Klimawandel endlich ernst zu nehmen. „Die Geschichte hat uns wiederholt gezeigt, dass Daten und Fakten den Menschen nicht dazu inspirieren, seine Überzeugungen zu ändern oder zu handeln“, heißt es in einer neuen Studie eines Forscherteams um Jean-François Bastin von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.

Um die Klimaerwärmung um zwei Grad greifbar zu machen, haben sie untersucht, wie sich die Metropolen, in denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, bis 2050 verändern. Ergebnis: Städte aus der nördlichen Hemisphäre werden wärmer und verschieben sich klimatisch in den kommenden 30 Jahren rund 1000 Kilometer nach Süden. London könnte sich 2050 also wie Barcelona heute anfühlen, Madrid wie Marrakesch – und Berlin wie das australische Canberra. Temperaturen könnten in Berlin im Mittel um 1,8 Grad steigen.

Im Juli, dem heißesten Monat, rechnen die Forscher sogar mit einer Zunahme von über sechs Grad. Die Winter werden dem Model zufolge rund 2,5 Grad wärmer. Das Leben in der Stadt wird sich dramatisch verändern: Wohnen, Verkehr, Bauen, Energie – in vielen Bereichen müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Teilweise passiert das schon. Doch vieles steht Berlin noch bevor. Ein Ausblick in die Stadt der Zukunft.

Grüner wohnen

Berlin wird nichts anderes übrigbleiben als umzubauen – und wo es geht mit mechanisch oder elektrisch betriebenen Systemen gegen Hitze zu schützen. Das betrifft nicht nur Gebäude, sondern auch öffentliche Räume. Sie können gerade in Großstädten unerträglich heiß werden: Straßenbeläge heizen sich auf und kühlen bei hohen Temperaturen nicht mehr aus. Hier könnten Straßenpflaster helfen, die die Sonne reflektieren können, also keine Hitze aufnehmen.

Nebelduschen, wie sie in südlichen Ländern wie Italien und Griechenland bereits im Einsatz sind, können an Spielplätzen und in Fußgängerzonen durch Verdunstungskälte kurzfristige Abkühlung bieten. Sie lässt sich auch in Bürogebäuden einsetzen. Denkbar zudem: das umgekehrte Geothermieverfahren.

Was Erdwärme im Winter für die Heizung ist, könnte sie im Sommer für die Kühlung sein – wenn man tief genug bohrt. Das ist allerdings teuer, weil mehrere geologische Schichten durchbohrt werden müssten. Neben meist wenig nachhaltigen Klimaanlagen könnten zum Kühlen der Gebäude sogenannte Kältedecken eingesetzt werden. Sie werden mit Luft oder Wasser betrieben, die in feine Schläuche eingepumpt werden. Eine sehr gesunde Form der Temperaturübertragung.

In Shanghai legen sich die Menschen im Sommer nachts mitten auf die Einkaufsstraße, um der Hitze ihrer Appartements zu entgehen.
In Shanghai legen sich die Menschen im Sommer nachts mitten auf die Einkaufsstraße, um der Hitze ihrer Appartements zu entgehen.
© Johannes Eisele/AFP

Solche Kapillardecken könnten auch mit Flusswasser gespeist werden, das immer kühler als die Luft ist. So etwas funktioniert natürlich auch von unten: über eine Fußbodenkühlung. Beide Systeme regeln Temperaturen aber nicht von jetzt auf gleich herunter. Kühldecken oder auch Kühlbalken haben den Vorteil, dass man sie leicht nachrüsten kann. Photovoltaik spielt an Fassaden eine immer größere Rolle.

Inzwischen gibt es auch Systeme, die nicht nur auf Dächern, sondern auch an Außenwänden installiert werden können, um im Idealfall umweltfreundlichere Klimaanlagen mit Energie zu versorgen.

Mechanischen Schutz bieten auch bekannte Dinge wie Sonnensegel, Außenjalousien und Klappladen, die ebenfalls nachgerüstet werden können – schließlich kommt es darauf an, die Hitze gar nicht erst ins Haus zu lassen. Und das ist von Innen nicht zu machen. Auch Vorhänge helfen hier nicht wirklich.

Bei Neubauten wäre darauf zu achten, dass Möglichkeiten der Querlüftungen geschaffen werden. Und der Blick nach Süden hilft: Hier haben Häuserensembles häufig breite Außenmauern, die sich nur langsam voll aufheizen und bepflanzte Innenhöfe. Reinhart Bünger

Mobil bleiben

Auch Verkehrsplaner müssen sich auf den Klimawandel und seine Folgen einstellen. Eine von der Stadtentwicklungsverwaltung eingesetzte Arbeitsgruppe hat bereits 2016 verschieden Vorschläge erarbeitet. Beispielsweise sollen Straßen so geplant und gebaut werden, dass Sturzregen besser abfließen kann.

Los Angeles experimentiert bereits mit einer hellen Spezialfarbe, damit sich die Fahrbahnflächen weniger schnell aufheizen. Normaler schwarzer Asphalt absorbiert bis zu 95 Prozent des Sonnenlichts, die helle Farbe soll das Licht reflektieren und die Bodentemperatur senken – und damit auch die Gesamttemperatur.

Immer mehr heiße Tage beeinträchtigen auch die Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr. Wird die Stadt in Zukunft ohne Klimaanlagen auskommen? Alle neuen Busse und Straßenbahnen seien entsprechend ausgestattet, heißt es von der BVG, auch die neuen S-Bahn-Züge sollen erstmals vollständig klimatisiert sein. In der U-Bahn verzichtet die BVG jedoch weiterhin auf Klimaanlagen, weil in den Schächten die Abwärme nicht abgeführt wird. Statt zu kühlen würden die Temperaturen steigen.

Um bei Starkregen Überschwemmungen in den U-Bahn-Tunneln zu vermeiden, setzt die BVG Pumpen ein. Die seien ohnehin installiert, da Berlin auf sumpfigem Gebiet gebaut ist und der Grundwasserspiegel seit Jahren ansteigt, heißt es aus der BVG-Pressestelle. Busse sollen bei starken Unwettern besonders gefährdete Straßen und Brücken umfahren. Wetterwarnsysteme helfen, um die Routenführung möglichst rechtzeitig zu ändern.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Umweltthemen. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Die Bahn beobachtet derweil besonders Böschungen entlang der Gleise sehr genau, um bei Bränden schnell einschreiten zu können. Auch wird geprüft, an welchen Stellen es Sinn ergibt, Bäume zurückzuschneiden. Bei Stürmen führen auf die Oberleitung fallende Äste immer wieder zu Zugausfällen.

In Folge der Dürresommer wird auch das Wasser in den Flüssen knapp. Berufsschiffer und Freizeitkapitäne bekommen die Folgen zu spüren: In der Oranienburger Havel dürfen an bestimmten Tagen nur noch Schiffe mit einem Tiefgang von weniger als einem Meter fahren. Für Schlepper heißt das, dass sie im Zweifel weniger Ladung aufnehmen müssen.

Die steigenden Temperaturen haben auch einen positiven Effekt: Experten erwarten, dass in Berlin und anderen Städten mehr Menschen auf das Fahrrad umsteigen. Anpassung an den Klimawandel könnte also auch bedeuten: mehr Radwege zu bauen. Jana Kugoth

Schwammstadt werden

„Wir brauchen eine Schwammstadt“, sagt Heike Stock, Expertin für Klimaanpassung bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Bis vor kurzem wurde das Regenwasser einfach nur abgeleitet – das wollen wir jetzt nicht mehr.“ In Hitzeperioden trockne die Stadt aus, deshalb sei es sinnvoller, das Wasser für Bäume, Pflanzen und Parks zu speichern.

Wie soll das gehen? „Wir müssen versiegelte Flächen wie Straßen und Parkplätze aufbrechen, damit das Regenwasser versickern kann“, sagt Stock. Als Grundwasser oder in den oberen Gesteinsschichten könne das versickerte Wasser dann Pflanzen an der Oberfläche versorgen. Außerdem gibt es bei Starkregen schon jetzt das Problem, dass die Kanalisation überläuft „und Blätter, Schmutz und Reifenabrieb werden von den Straßen in Flüsse und Kanäle gespült.“

Lässt sich der Niederschlag aber zum Beispiel zwischenspeichern und fließt später langsam ab, bleibt eine Überschwemmung aus: „Das ist, wie wenn Sie einen ganzen Eimer Aufwischwasser auf einmal ins Spülbecken kippen, dann läuft das Becken über. Wenn Sie es aber nach und nach tun, kann das Wasser allmählich ablaufen“, sagt Stock.

Die Umweltverwaltung will im August das Förderprogramm „1000 Grüne Dächer“ auflegen, das die betonierten Terrassen und Dächern beleben soll: Wenn Gräser, Moose und Stauden bei praller Mittagssonne hoch oben die Stellung halten, verdunstet im Sommer genug Wasser, das die Umgebung kühlen kann. Gleichzeitig kann Dachbepflanzung bei Starkregen Wassermassen zurückhalten, um die Kanalisation vor Überflutung zu schützen. Für neue grüne Dächer an Bestandsgebäuden können Grundeigentümer, darunter auch Vereine und Seniorenheime, bei der Investitionsbank Berlin Anträge stellen und einen Zuschuss von bis zu 60.000 Euro bekommen.

Fehlende Wiesen haben ihren Preis: „Eine steinerne Stadt heizt sich auf, weil die Sonnenstrahlen direkt zu Wärme werden. Die Hitze verteilt sich wie bei einem Kachelofen“, sagt Stock. „Nachts geben die Gebäude dann ihre Wärme an die Umgebung ab, sodass sich die Stadt schlecht abkühlen kann.“ Grüne Fassaden können helfen, weil sie tagsüber Schatten spenden und das Wasser, das verdunstet, zur Abkühlung beiträgt. Sinan Reçber

Berliner Energie

Zumindest bei der Energieversorgung sollte es in Berlin keine Probleme geben. Diesen Schluss lassen Untersuchungen eines Forscherteams um Bas van Ruijven vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse in Österreich zu. Seine Untersuchungen zeigen, dass der Strombedarf für Klimatisierung und Bewässerung zwar weltweit steigt. In mittel- und nordeuropäischen Städten aber muss im Winter künftig weniger geheizt werden. Das Minus wird den Stromverbrauch für Kühlung im Sommer nach Auffassung der Forscher mehr als ausgleichen. Netto könne der Energieverbrauch im Norden sogar um bis zu zehn Prozent sinken.

Die Berliner Wirtschaftsverwaltung rechnet allerdings zumindest im Sommer mit steigendem Strombedarf durch mehr Klimaanlagen. Dieser würde, „zukünftig jedoch durch Energieeffizienzgewinne aufgewogen und durch erneuerbare Energien gedeckt“, sagt ein Sprecher. Bereits vor fünf Jahren hat die Stadt ein „Konzept zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels in Berlin“ (AFOK) in Auftrag gegeben, das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Konsortium erarbeitet wurde. Darin geht es neben energieeffizienten Kühlsystemen auch aber auch sogenannte „passive Maßnahmen“, die den Strombedarf senken: Verschattung, bessere Luftzirkulation und die Nutzung von Verdunstungskälte.

Berlin rechnet aber mit klimabedingten Schäden im Stromnetz: Das liegt zum größten Teil unter der Erde, ist somit anfällig für den sogenannten „Sommerfrost“. Dabei brechen Leitungen, weil sich nach längeren Trockenphasen stellenweise das Erdreich absenkt. Auch Trafostationen sind dem AFOK zufolge sensibel für Temperaturen über 35 Grad. Gas- und Kohlekraftwerke müssen aufwändig gekühlt werden. Das wird schwieriger, wenn Flüsse und Seen weniger und wärmeres Wasser führen.

Doch die Kühlwasserentnahme aus Berliner Gewässern sinkt seit Jahren, weil die Effizienz der Anlagen technisch verbessert wird. Kohlekraftwerke wie Reuter, Reuter West und Moabit von Vattenfall waren bisher die größten Kühlwasserverbraucher. Doch sie müssen im Zuge des Kohleausstiegs bis zum Jahr 2038 die Kohleverbrennung einstellen. Von mehr Sonne könnten hingegen die Berliner Stadtwerke profitieren. Sie haben Photovoltaik-Anlagen mit einer Kapazität von inzwischen 80 Megawatt auf Berliner Dächern installiert, Tendenz steigend. Christian Schaudwet

Zur Startseite