Berlin: Wenn aus Trauer Wut wird
Nach dem Tod eines Häftlings gärt es in der JVA Tegel. Gefangene fordern eine Kommission, die die Vorwürfe prüfen soll
Trauern durften die Gefangenen zunächst nicht um Eberhard Reichert. Eine Justizangestellte blies gestern Vormittag die Kerzen aus, die zum Gedenken vor Reicherts Zellentür aufgestellt worden waren. Wie berichtet, war der schwerkranke 56-Jährige am Sonntag beim Gottesdienst in der Gefängniskirche nach einem Anfall gestorben. Erst auf Anfrage des Tagesspiegels entschied Anstaltsleiter Klaus Lange-Lehngut am späten Nachmittag, dass die Kerzen wieder entzündet werden dürfen.
Häftlinge kritisierten das Kerzenverbot durch die Vollzugsdienstleiterin K. in Haus 5 als „neue Schikane gegen Herrn Reichert“. Er hatte im vergangenen Jahr gegen K. eine Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt. Eine Schulfreundin, die den 56-Jährigen regelmäßig besucht hat, sagte, dass er „nie die Hilfe bekommen hat, die er gebraucht hätte“. Reichert litt an einem schmerzhaften Zungentumor. Häufig habe er sich aus Verzweiflung das Gesicht oder die Arme aufgekratzt, um die Schmerzen im Mund zu vergessen. „Es war allen klar, dass er eine lebensbedrohliche Krankheit hat“, sagte die langjährige Freundin. Wegen der schweren Krankheit hatte Reicherts Anwalt ein Gnadengesuch gestellt – dieses war noch nicht beantwortet worden.
Die Grünen im Abgeordnetenhaus kritisierten gestern erneut, dass Schwerkranke in Haft bleiben müssen. So sei selbst ein schwer kranker Rollstuhlfahrer in Tegel inhaftiert, sagte der Abgeordnete Benedikt Lux. Der wegen Scheckbetruges verurteilte Eberhard Reichert war seit Dezember 2004 in Tegel, mit einer Obduktion wollen die Behörden die Todesursache klären. Justizverwaltung und Anstaltsleitung wollten gestern zu diesem Fall keine Stellung nehmen. Zeugen des letztlich tödlichen Anfalls in der Gefängniskirche bestätigten gestern, dass die Hilfe „professionell und recht zügig“ erfolgt sei. In der Vergangenheit dagegen sei die Anstalt häufig sehr schäbig mit Reichert umgegangen. Dieser war, wie er im Oktober in einem Brief geschrieben hatte, in Tegel bereits 16-mal ohnmächtig geworden, mehrfach war er mit einem Rettungswagen in ein externes Krankenhaus gebracht worden. Gefangene forderten gestern, dass eine unabhängige Kommission die vielfältigen Vorwürfe untersuchen solle. Die Justizsenatorin hat wegen des Medikamentenskandals in Moabit eine solche Kommission eingesetzt.
Der Vorsitzende des Beamtenbundes, Joachim Jetschmann, kritisierte gestern, dass mit dem vorhandenen Personal keine ausreichende Betreuung mehr möglich sei. Die Überbelegung steige immer weiter, das Personal nehme ab. Die Zahl der Überstunden bei den Beschäftigten sei im vergangenen Jahr stark gestiegen. JVA-Leiter Klaus Lange-Lehngut bestätigte, dass derzeit nur noch 835 Menschen in der JVA beschäftigt sind. Vor Jahren, als es weit weniger Inhaftierte gab, seien es über 1000 gewesen. Etwa 170 Zellen seien gegenwärtig doppelt belegt .
Gefangene aus dem Tegeler Haus 6 bereiten indessen eine Protestresolution gegen die Doppelbelegung vor, die am Mittwoch im Rechtsausschuss vorgelegt werden soll. Jetschmann forderte gestern Neueinstellungen, da sonst die Unzufriedenheit unter den Gefangenen noch mehr steigen würde. Dem Vernehmen nach gärt es derzeit in Tegel. Zuletzt hatte es Ende Dezember 2005 eine zweistündige Meuterei gegeben.
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